"Wir krempeln unser ganzes Unternehmen um"

Das Thema ,Prozess-Optimierung' brennt aktuell vielen Transportund Speditionsdienstleistern unter den Fingernägeln", weiß Rainer Hoppe, geschäftsführender Gesellschafter von Apari Consulting (siehe Seite 29). Selbst kleinere Betriebe unter 15 bis 20 Millionen Euro Jahresumsatz hätten inzwischen, sagt er, die Bedeutung effizienter und durchgängiger Prozesse - sowohl zum Verlader als auch zum Empfänger hin - erkannt und seien bereit, in entsprechende Tools zu investieren: An der Umsetzung hapere es aber noch, auch weil es mindestens ein bis zwei Jahre dauere, bis ein Transport-Management-System im Betrieb wirklich implementiert sei. Mit der Folge, so Hoppe: "Der Prozessreifegrad ist in vielen Transport- und Speditionsbetrieben nach wie vor unzulänglich. In den meisten liegt dieser noch zwischen Stufe 2 und 3, also im unteren Bereich." Das zeigen ihm Potenzialanalysen, die er in deren Auftrag durchführt. Wo es in der Praxis noch hakt Um die Prozesse optimieren zu können, braucht es aber das Zusammenspiel aller Beteiligten in der Prozesskette - auch die Unterstützung seitens der Auftraggeber. Darauf verweist Gerald Penner, Geschäftsführer des Speditions- und Logistikunternehmens Streck Transport (siehe Kasten Seite 30). "Wir haben zwar eine DFÜ-Quote von über 85 Prozent. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Prozesse unterbrochen werden, weil wir für unsere Kunden Daten aus Lieferpapieren erfassen und in unser System einpflegen müssen, bevor wir die Ware entladen und scannen können", erzählt er. Und das, obwohl Streck seinen Auftraggebern IT-technisch inzwischen alle Möglichkeiten offeriere, Daten in das Streck-System zu übermitteln. Noch schlimmer sei es aber, führt Penner aus, wenn die Speditionen Sendungen im Eingang habe, die weder per DFÜ übermittelt, noch belabelt seien - das erschwere die Prozesse ungemein. "Wir sind Gesellschafter der Stückgutkooperation System Alliance, und ein solches Netzwerk funktioniert nur mit industrialisierten Prozessen. Wenn es da an einer Stelle kneift, zieht sich das durch alle Prozesse - schlimmstenfalls bleibt eine Sendung irgendwo stehen und keiner kann sie zuordnen", schildert er damit verbundene Folgeprobleme. Gar nicht zu reden von der häufig mangelnden Datenqualität, mit der Dienstleister zu kämpfen haben, weil Verlader und Spediteure bestimmte Begrifflichkeiten unterschiedlich definieren. Typisches Beispiel dafür: "Auf den Lieferpapieren steht der Begriff Palette - ob Einweg-, Euro- oder Mehrwegpalette wird nicht gesagt. Das erschwert für uns das Palettenhandling und verursacht in den Speditionen unnötigen Mehraufwand", moniert Penner. Kosten, die keiner der Spedition bezahlt. "Im Regelfall ist es die Aufgabe des Spediteurs, die Daten korrekt zu interpretieren und fallweise zu korrigieren, damit die Folgeprozesse trotzdem reibungslos funktionieren", sagt Penner. "Die meisten Auftraggeber verspüren also gar nicht die Notwendigkeit, etwas in diesen Abläufen und Prozessen zu ändern. Der Schmerz ist nicht da." Unterschiedlichste Systeme im Einsatz 500 bis 1000 Auftraggeber - kleine, mittelständische und auch große Unternehmen - hat Streck allein an ihrem Standort Freiburg - mit höchst unterschiedlichem Sendungsaufkommen jede Woche. Zusätzlich arbeitet das Unternehmen mit 25 bis 30 IT-Systemen, unter anderem mit CRM-Lösungen, einem zentralen Transportmanagementsystem inklusive spezifischer Teillösungen, etwa für Disposition, Palettenmanagement, Scannung, Archivierung, Dokumentenmanagement, Kostenrechnung für alle Verkehrsträger, Finanzbuchhaltung, Personal und Zoll, um nur wenige Beispiele zu nennen. Die Teillösungen kommunizieren untereinander über diverse Schnittstellen, sodass ein reibungsloser Datentransfer gewährleistet ist. Hinzu kommt eine zentrale Auswertungslösung (Business Intelligence), die aus den diversen Teillösungen die Daten für ein zentrales und übergreifendes Berichtswesen zusammenführt. Problem bei alledem: Einige der Systeme sind inzwischen 15 oder gar 20 Jahre alt. Mit der Folge, dass sich auf diesen nur sehr aufwendig neue Funktionen realisieren lassen. Auch das Thema E-Commerce und Privatkundenzustellung habe damals noch keiner im Blick gehabt, sagt Penner. Und noch schlimmer: Fallweise laufen bei Streck in den kommenden Jahren verstärkt Wartungsverträge für bestimmte Hardware und Betriebssysteme aus. Sprich: Bei einem Fehler würde das gesamte System stehen. Gründe genug für das Streck-Management, die Reißleine zu ziehen. Bereits 2014 ging Streck zusammen mit der Zufall Logistics-Group sowie Transit Transport und Logistik in die Offensive und legte mit Apari Consulting das Projekt "alternative Software" auf. Im Zuge dessen wird Streck im Landverkehr in seinen insgesamt sechs Landverkehrs-Niederlassungen in Deutschland und der Schweiz das Transportmanagementsystem (TMS) AX CargoSuite TMS von Anaxco auf Basis des ERP-Systems von Microsoft Dynamics AX einführen. Eine Operation am offenen Herzen Das neue TMS Land soll, erklärt Penner das Ziel, den gesamten Prozess von der Auftragsannahme bis zur Abrechnung inklusive der Frachtführer-Kommunikation, Hallen-Scanning, Statusinformationen sowie DFÜ-Anbindung an die Partner abbilden. Sprich: Das neue TMS werde das neue Herz der Streck-Prozesse im Landverkehr sein, führt Penner aus. Streck nutzt das besagte ERP-System zwar schon seit 2003 für CRM, in der Kostenrechnung und in der Finanzbuchhaltung, stellt aber nun im Vorfeld der neuen TMS-Einführung auf die neue Version Microsoft Dynamics AX 2012 um. "Wir müssen Kostenrechnung, Fibu und CRM also zunächst auf dem neuesten Stand bringen - vorgängig zur Einführung von TMS Land. Und gleichzeitig wird das CRM-System komplett neu eingeführt", zählt Penner die anstehenden Herausforderungen auf. Geplanter Start der Implementierungsphase des TMS ist 2019. Abgeschlossen soll das Ganze voraussichtlich im Jahr 2021 sein. Geplantes Investitionsvolumen insgesamt: ein siebenstelliger Euro-Betrag. Penner: "Das ist ein Riesenprojekt, in das eine Vielzahl von Mitarbeiter über Projektteams und Workshops eingebunden sind." "Wir krempeln dafür derzeit unser gesamtes Unternehmen um. Um uns zukunftsfähig aufzustellen, müssen wir diesen Schritt aber tun", betont der Geschäftsführer. Eine Operation am offenen Herzen: Einerseits muss die bestehende Software-Landschaft inklusive der dadurch bedingten internen Prozesse umgebaut werden; andererseits muss die neue Lösung eingeführt werden. Mit allen Folgen, die eine solche Neuerung mit sich bringt. "Der große Sprung passiert ja nur", formuliert es Penner, "wenn man alle bisherigen Prozesse und Sonderlösungen in Frage stellt. Neue Prozesse bedingen in der Regel aber auch neue Ablauf- und fallweise auch neue Organisationsstrukturen." So habe man schon in der Vergangenheit immer wieder die Prozesse und Organisation Schritt für Schritt optimiert und den neuen Bedürfnissen angepasst, betont Penner. Dieser Prozess werde mit der neuen Softwarelösung weitergehen, und natürlich erhoffe sich Streck durch die neue technologische Basis einfachere Anpassungsprozesse, weil die neue Software systemseitig ganz andere Voraussetzungen mitbringe. Schnittstellen entfallen ersatzlos Doch welche Vorteile bietet die neue Lösung von Anaxco nun konkret gegenüber der bisherigen DV-Architektur im Hause Streck? "Alle Informationen, die für das speditionelle Tagesgeschäft relevant sind, stehen nun auf einer Plattform allen Beteiligten zur Verfügung, die dazu zugangsberechtigt sind", erklärt Hoppe. "Kontrollmechanismen, Schnittstellen, die es heute zwischen Abteilungen in Speditionen vielfach noch gibt, entfallen damit ersatzlos." Sprich: Die Abrechnungsabteilung weiß schon zum Zeitpunkt der Auftragserfassung, was irgendwann abgerechnet werden muss. Oder aber ein Disponent muss nicht mehr nachkontrollieren, ob die Daten bei der Sendungserfassung richtig erfasst wurden, nennt er Beispiele. Kurz: "Alle relevanten Daten sind in einem Datentopf. Dadurch lassen sich die Prozesse so definieren, wie es zum Beispiel Streck will." Und natürlich lassen sich dadurch bestimmte Aufgaben rationeller abwickeln, etwa die Auftragserfassung. "Ein Spediteur muss nur darauf achten, dass die Datenqualität passt", sagt Hoppe. Dann könne man die Mitarbeiter auch, sofern sie den gesamten Prozess vor Augen haben, viel universeller einsetzen als bisher. Was sich da in klassischen Landverkehrs-Speditionen ändern kann - unabhängig vom Beispiel Streck -, zeigt laut Hoppe die Organisation von See- und Luftfracht-Abteilungen in internationalen Speditionskonzernen. "Dort gibt es Mitarbeiter, die in Kundenteams organisiert sind, jeder macht alles - von der Auftragsbearbeitung, Dispo bis hin zur Abrechnung und Kundenbetreuung." Sprich: Die strikte Trennung, wie im Landverkehr üblich, nach Auftragserfassungskraft, Disponent und Vertriebsinnendienst-Mitarbeiter gibt es dort nicht mehr. In der Seefracht arbeitet Streck heute schon so. Im Landverkehr sei dies aber keine Option, vor allem im nationalen Geschäft nicht, betont Penner. Denn dort würden die Prozesse heute schon sehr industrialisiert und rationalisiert ablaufen. Veränderungen im internen Ablauf Für Penner ist viel wichtiger: "Durch die neue IT-Lösung werden unsere Prozesse insgesamt deutlich einfacher, transparenter, planbarer und dadurch effizienter." Außerdem müssten die Mitarbeiter bestimmte Informationen nicht mehr lange suchen. "Stattdessen erhalten sie auf einem Dashboard künftig klar mitgeteilt, was sie zu tun haben und um welche Ausnahmefälle sie sich speziell zu kümmern haben", ergänzt Hoppe. Und was sieht der Streck-Geschäftsführer als größte Herausforderungen in dem Projekt? "Die neue DV-Architektur wird Veränderungen in unseren internen Ablaufprozessen mit sich bringen, auch weil wir das ERP-System zunächst auf unsere individuellen Anforderungen anpassen müssen", sagt er. Und eben für diese Veränderungen gelte es, das sei die eigentliche Herausforderung, die Mitarbeiter mitzunehmen. "Die Mitarbeiter müssen sich erst daran gewöhnen, dass es künftig eine zentrale Kommunikationsplattform im Landverkehr gibt. Das ist ein Change-Projekt, für das schon im Vorfeld entsprechende Trainings durchgeführt wurden." Schlussendlich gehe es Streck dank der anstehenden Neuerungen nicht darum, Mitarbeiter einzusparen, sondern den Gesamtprozess zu vereinfachen, unterstreicht Penner. "Wenn wir durch die Umstellung unseren Mitarbeitern einige Prozessschritte in ihrer täglichen Arbeit einsparen können, können sie diese gewonnene Zeit für unsere Kunden nutzen." Dies mache die Arbeit nicht nur für die Mitarbeiter abwechslungsreicher, sondern auch die Kunden noch zufriedener. Und wenn dadurch für Streck im Ergebnis auch mehr hängen bleibt, wäre dies sicher nicht unwillkommen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stückgut www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten & Fakten Streck Transport Das Speditions- und Logistikunternehmen Streck Transport wurde 1946 von Karl Streck in Lörrach gegründet. Binnen nunmehr 71 Jahren entwickelte sich Streck von einem Ein-Mann-Betrieb zu einem Unternehmen mit insgesamt 1160 Mitarbeitern, die im vergangenen Jahr insgesamt mehr als 250 Millionen Euro Umsatz erwirtschafteten. Streck ist in Deutschland und der Schweiz an insgesamt 19 eigenen Standorten tätig. Streck bietet Lösungen im Land-, See- und Luftfrachtverkehr sowie in der Kontraktlogistik. Zudem ist das Unternehmen Gesellschafter der Stückgut-Kooperationen System Alliance und System Alliance Europe.eh