„Wir können auch einmal Nein sagen“

Interview „Wir können auch einmal Nein sagen“ Die Jahre der Bescheidenheit sind vorbei – nun will das Unternehmen Schnellecke Logistics ganz nach vorne. Wie, sagt Vorstandschef Nikolaus Külps im Interview exklusiv in der VerkehrsRundschau. Wer an Schnellecke Logistics denkt, denkt automatisch an Ihren Großkunden VW. Empfinden Sie es eher als Fluch oder als Segen, so stark mit einem Auftraggeber in Verbindung gebracht zu werden? Für uns ist das auf jeden Fall ein Segen. Wir sind seit 1967 als Transport- und Logistikdienstleister für VW tätig und machen mit diesem Unternehmen inzwischen über 50 Prozent unseres Umsatzes. Inzwischen ist mit VW eine sehr vertrauensvolle Partnerschaft entstanden, die es uns ermöglicht hat, die Expansion dieses Unternehmens im Ausland zu begleiten. Ich würde sogar so weit gehen, dass VW der Motor für viele Entwicklungen der Schnellecke Group war und ist. Die jüngste Schüchen-Pleite zeigt allerdings, wie riskant es ist, auf einem Bein zu stehen und von einer Branche abhängig zu sein. Natürlich besteht eine gewisse Abhängigkeit, wenn man wie Schnellecke so stark auf eine Branche spezialisiert ist, die sich aus wenigen, sehr großen OEMs zusammensetzt. Und natürlich beeinflusst diese Abhängigkeit auch unsere Verhandlungsposition. In unserer Branche haben wir nun einmal mit Gesprächspartnern zu tun, die ihre eigenen Interessen verfolgen, weil sie wissen, wie attraktiv ihr Geschäft ist und wie umkämpft es ist. Deshalb lässt das Geschäft mit der Autobranche nicht sehr hohe Margen zu. Für uns besteht also häufig die Kunst darin, nicht von ein oder zwei Aufträgen an einem Standort abhängig zu sein, sondern diese fallweise mit anderen Geschäften, etwa aus der Zulieferindustrie, anzureichern, um das Geschäft profitabel zu machen. Als ehemaliger Banker kennen Sie die Zahlen von Schnellecke ja ganz genau. Was sind aus Ihrer Sicht die Kronjuwelen, was die Baustellen? Eines unserer Alleinstellungsmerkmale ist die starke Spezialisierung auf die Automobilindustrie. Unsere Manager und Führungskräfte kommen alle aus dieser Branche. Wir verstehen die Prozesse unserer Kunden deshalb besser als viele unserer Wettbewerber. Natürlich machen wir uns mit dieser Spezialisierung von dieser Industrie abhängig. Entsprechend haben wir uns auch mit dem Thema Diversifizierung auseinandergesetzt und fächern, zumindest in den Emerging Markets, unser Produktportfolio in Richtung Konsumgüterwirtschaft auf. Unterm Strich sehen wir aber unsere Stärken und damit auch unsere Zukunft in der Automobil-, Nutzfahrzeug- und Landmaschinenindustrie. Gleichwohl machte Schnellecke im letzten Jahr mit 16.000 Mitarbeitern gerade einmal 750 Millionen Euro Umsatz. Sprich: Im Schnitt sind das 46.000 Euro Umsatz pro Mitarbeiter. Zum Vergleich: Bei Frischelogistiker Kraftverkehr Nagel machte ein Mitarbeiter im Schnitt über 90.000 Euro mehr Umsatz. Verdient man in der Automobillogistik so schlecht? Ihr Vergleich hinkt. Im Gegensatz zu Nagel arbeiten bei uns in Deutschland 3000 Mitarbeiter und im Ausland fast viermal so viele. Allein in Mexiko beschäftigen wir 6500, in Brasilien 1000 und in Südafrika 2500 Mitarbeiter. Fast drei Viertel unserer Belegschaft sind also in Low-Cost-Ländern tätig, in denen die Entgelte viel niedriger als in Deutschland und in Westeuropa sind, wo Nagel seinen Schwerpunkt hat. Der Umsatz ist hier also eine Kennzahl, die sich kaum vergleichen lässt. Aber stimmt Sie Ihre Ertragsentwicklung wirklich zufrieden? Zugegeben, wir sind noch nicht damit zufrieden. Wir sind aber auf dem richtigen Weg. Das Krisenjahr 2009 ist gerade einmal drei Jahre her. 2009 war für alle Player in der Automobilbranche sehr schwierig – auch für Schnellecke. Die starken Rückgänge in der Automobilindustrie haben uns da ein gutes Stück mitgerissen. Unsere Umsätze sanken damals um über 20 Prozent und unsere Restrukturierungskosten waren hoch. 2009 schrieben wir in der Tat rote Zahlen. Mittlerweile hat sich die Auftrags- und Ergebnislage deutlich gebessert. Und schreibt Schnellecke heute schwarze Zahlen? Ja. Unsere Ebit-Marge liegt im Branchendurchschnitt, wenn nicht sogar leicht darüber. Diese Angabe können Sie allerdings auch nur bedingt mit anderen Logistikfirmen vergleichen, weil wir für unsere Kunden bestimmte wertschöpfende Zusatzservices erbringen, die andere nicht leisten. Wir kaufen zum Beispiel für Kunden Materialien ein, an denen wir wertschöpfende Tätigkeiten, wie zum Beispiel Montagen und Ähnliches erbringen. Diese Module werden vom Kunden dann zu bestimmten Zeiten bei uns abgerufen. Diesen Service bilden wir zwar über unseren Verkaufspreis ab, müssen aber dieses Material durch unsere Bücher ziehen … Das heißt, wenn die Absatzmengen Ihrer Kunden sinken, bleiben Sie auf den Materialien sitzen und somit auf den Kosten … Dieses Risiko ist überschaubar. Wir produzieren ja just-in-time und haben deshalb nur geringe Materialbestände auf Lager. Das lässt sich also leicht managen. Beim Personal ist das aber tatsächlich eine Herausforderung. Entsprechend flexibel müssen wir auf solche Auf und Abs reagieren. Wie schaffen Sie diese Flexibilität? Ein gutes Stück Flexibilität gelingt uns dank unserer Leiharbeiter. Wir beschäftigen im Moment rund 22 Prozent Leiharbeiter, wollen diesen Anteil aber künftig auf 15 bis 20 Prozent herunterfahren. Die Qualität und Erfahrung von Leiharbeitern ist nun einmal eingeschränkter als bei eigenen Mitarbeitern. Ganz ohne Leiharbeit geht es aber nicht, damit wir als Logistikdienstleister atmen können. 15 bis 20 Prozent Leiharbeiter-Anteil sind aber die richtige Größenordnung. Auch wenn mittlerweile gleiche Arbeits- und Entgelt-Bedingungen für Leiharbeiter gelten – Stichwort Equal Pay? Zu diesem Thema habe ich eine sehr dezidierte Meinung. Die Qualifizierung von Leiharbeitern ist bei aller Wertschätzung häufig nicht auf dem Niveau fest angestellter Mitarbeiter, sodass sich Lohnunterschiede teilweise rechtfertigen. Wenn allerdings die Entgelte für Leiharbeiter steigen, müssen wir prüfen, ob wir nicht unseren Anteil leicht zurückfahren und notfalls gegenüber unseren Kunden einpreisen. Aber lassen das Ihre Auftraggeber überhaupt zu? Wir können es auf alle Fälle versuchen. Ansonsten müssen wir einen Auftrag auch einmal ablehnen. Es gibt im Übrigen Wettbewerber von uns, die mit deutlich höheren Leiharbeiterquoten kalkulieren, deshalb einen Kundenauftrag auch bekommen, letztlich aber durch Schlechtleistung wieder verlieren. Das zeigt ein aktuelles Beispiel eines deutschen OEMs an einem deutschen Standort. Dort war ein Automobillogistiker mit über 60 Prozent Leiharbeiteranteil drin – die Personalfluktuation war entsprechend hoch und die Qualität der Dienstleistung schlecht. Das hatte zur Folge, dass der Auftrag nun neu vergeben wurde. Apropos Personalkosten. Die Gewerkschaft IG Metall will für produktionsnahe Aufgaben in der Automobillogistik künftig einen Flächentarifvertrag und damit höhere Entgelte für Mitarbeiter in der Logistikbranche durchsetzen. Ist das ein Damoklesschwert, das nun über Ihnen und der Branche schwebt? Diese Gefahr ist sogar sehr konkret. Das haben wir im letzten Jahr an unseren Standorten in Sachsen erlebt. Da gelang es der IG Metall binnen kürzester Zeit, viele unserer Mitarbeiter davon zu überzeugen, bei ihnen Mitglied zu werden. Mit der Folge, dass wir dort heute nach IG Metall bezahlen müssen. Unsere Lohnkosten sind dadurch im Schnitt um acht bis zehn Prozent gestiegen. Und da wir uns im laufenden Vertrag befanden, konnten wir diese Mehrkosten nicht an unsere Kunden durchreichen. Natürlich steuerten wir mit Rationalisierungsmaßnahmen dagegen. Kostensteigerungen in dieser Höhe lassen sich aber nicht komplett auffangen. Lohnt es sich angesichts der wohl steigenden Lohnkosten in der Logistikbranche für die Industrie überhaupt noch, logistische Dienstleistungen an Dritte zu vergeben? Sie dürfen den Erfolg und die Dienstleistungen von Schnellecke Logistics nicht darauf reduzieren, dass wir mit niedrigeren Löhnen agieren als die Industrie. Wir sind ein extrem spezialisierter Dienstleister, der dank seines Know-hows die Logistik für seine Kunden sehr schlank und effizient abwickeln kann. Logistik ist unser Kerngeschäft. Kernkompetenzen der Automobilindustrie sind die Entwicklung, der Vertrieb und das Marketing von Fahrzeugen. Außerdem kaufen sich unsere Kunden durch ihr Outsourcing nicht in erster Linie niedrigere Löhne ein, sondern vor allem Flexibilität. Sprich: Sie können ihre Fixkosten dank unserer Unterstützung variabel gestalten. Das Outsourcingmodell ist also durch die beschleunigte Lohnentwicklung bei Logistikdienstleistern nicht gefährdet. Wie realistisch ist das angesichts des brutalen Preisdiktats in der Automobilindustrie? Natürlich ist in unserer Branche der Preis eines der maßgeblichen Auswahlkriterien. Die namhaften Automobilkonzerne können es sich aber nicht erlauben, Lieferanten oder Logistikdienstleister zu beschäftigen, die Dumpinglöhne zahlen. Das sagen Sie, weil Schnellecke als einer der führenden Automobillogistiker selbst eine gewisse Marktmacht hat. Wir haben in der Tat weltweit maximal 15 Mitbewerber. Wir haben also eine Größe erreicht, die es uns ermöglicht, auch unsere Forderungen auf den Tisch zu legen. Wenn diese nicht erfüllt werden, können wir also auch einmal Nein sagen. Wir müssen nicht jeden Auftrag abwickeln. Wer ist in Ihrer Branche überhaupt der größte Preistreiber? Das ist sehr unterschiedlich. Das hängt davon ab, ob ein Wettbewerber aus strategischen Gründen in ein Geschäft kommen will oder nicht. Im Moment beobachten wir diese Entwicklung in der Kontraktlogistik und dem Transportgeschäft. Es ist schon überraschend, mit welchen Preisen manche Anbieter Ausschreibungen gewinnen. Unser Geschäftsmodell ist das aber nicht. Schnellecke will durch Innovation, Zuverlässigkeit und beste Lösungen Kunden überzeugen und nicht durch Niedrigpreise. Wie sieht Ihr Rezept aus, da weiter nach vorne zu kommen? Als Familienunternehmen agieren wir sehr langfristig. Wir haben uns das ehrgeizige Strategieprogramm „BEST 2020“ zum Ziel gesetzt. Das Kürzel BEST steht für „Business Excellence Strategic Tour“. Dafür haben wir vier Ziele definiert: Wir wollen dank unserer Werte Top-Arbeitgeber sein, zusätzlich haben wir uns für 2020 das Wachstumsziel von größer einer Milliarde Euro gegeben. Vor allem aber wollen wir bis 2020 der beste Automobillogistiker werden, gemessen an der Kundenzufriedenheit. Welchen Rankingplatz nimmt Schnellecke heute ein? Heute sind wir bereits unter den ersten drei Automobillogistikern. In Bereichen wie der Modulmontage, wo wir produktionsnahe Wertschöpfungstätigkeiten in die Logistikprozesse integrieren und der Verpackungslogistik haben wir bereits Alleinstellungsmerkmale erarbeitet, die in der Industrie führend sind. Wie gesagt, es gibt kein Logistikunternehmen, das sich auf die Automobilindustrie so spezialisiert hat wie wir. Nicht umsonst haben wir in diesem Jahr einige Aufträge dazu gewonnen, die Wettbewerber aufgrund ihrer Schlechtleistung verloren haben. Das klingt nach sattem Umsatzplus in 2012! Unser Umsatz wird tatsächlich in diesem Jahr kräftig wachsen, und zwar von 740 auf 840 Millionen Euro. Das sind 100 Millionen Euro mehr als in 2011! Darauf sind wir sehr stolz. Da fließt zwar mit 30 Millionen unsere Akquisition der Waldaschaff Automotive mit ein, die wir im letzten Jahr getätigt haben. 70 Millionen Euro sind aber rein organisches Wachstum mit Neugeschäften wie etwa das Betreiben eines Versorgungszentrums für Audi in Ingolstadt, die Werksversorgung von VW in Chattanooga/USA, ein Ersatzteillogistikprojekt von Mercedes in Brasilien sowie Aufträge von Skoda in Tschechien und das Betreiben eines LOZ in Bratislava in der Slowakei. Unterm Strich sind das über 13 Prozent Wachstum! Wird sich dieses starke Wachstum in 2013 fortsetzen? Von welchem Szenario gehen Sie da aus? Ich glaube nicht, dass die Automobilwirtschaft vor einer ähnlich tiefen Krise steht wie in 2009. Gleichwohl schlägt sich die Eurokrise inzwischen auf das Konsumverhalten nieder – selbst die OEMs werden mit ihren Prognosen vorsichtiger. Auch wir gehen davon aus, dass sich dieser Wachstumspfad so nicht fortsetzt. Entsprechend beschäftigen wir uns damit, unsere Kostenstrukturen weiter zu flexibilisieren. Dazu gehört auch, erste Gespräche mit unseren Arbeitnehmervertretern zu führen, um mit ihnen flexiblere Arbeitszeitmodelle, aber auch über Kurzarbeit zu diskutieren. Trotzdem, nochmals gesagt: Die Automobilindustrie ist die Stärke von Schnellecke Logistics und dort sehen wir auch weiterhin unsere Zukunft – auch und gerade als Familienunternehmen. ❙❚■ Eva Hassa Schnellecke-Vorstandschef Nikolaus Külps: „Weltweit maximal 15 Mitbewerber“ Daten & Fakten Schnellecke Group Die Schnellecke Group wurde 1939 in Wolfsburg gegründet und zählt heute nach eigenen Angaben zu den weltweit führenden Automobillogistikern. Alleingesellschafter ist Rolf Schnellecke. Kunden sind unter anderem VW, Audi, Porsche, Ford und Michelin. Das Unternehmen erwirtschaftete in 2011 mit knapp 16.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 742 Millionen Euro. Geschäftsfelder sind die KWD Automobiltechnik (Produktion von Karosserie-Einzelteilen und -baugruppen) und Schnellecke Logistics, in der das Unternehmen Aufgaben der Versorgungs- und Verpackungslogistik erbringt sowie Schweißzusammenbauten, Modulmontagen sowie Transportlogistik/Spedition. Das Unternehmen ist weltweit an 40 Standorten präsent, unter anderem in Deutschland, Spanien, Portugal, Osteuropa, Nord- und Südamerika, Südafrika und Asien (Indien und China). eh Wolfsburg: Hier sitzt der Schnellecke-Chef Vita Nikolaus Külps Nikolaus Külps ist 1972 geboren. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte er Jura. Nach erfolgreich abgeschlossenem Jura-Studium startete er bei Morgan Stanley in London im Bereich Mergers and Acquisitions. 2001 wechselte er zur Schnellecke Group und übernahm dort ab 2003 die Geschäftsführung der KWD Automotive Group. Seit 2009 ist Külps Vorstandsvorsitzender der Schnellecke Group in Wolfsburg. Er ist mit der Tochter von Gesellschafter Rolf Schnellecke verheiratet. eh Einen Börsengang schließt er für das Familienunternehmen Schnellecke kategorisch aus: Nikolaus Külps Interview Interview Interview

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