Wettrennen der Giganten um die Fracht

Auf Unternehmen, die Container per Lkw zu den Terminals der Hamburger Hafen und Logistik HHLA liefern beziehungsweise dort abholen, kommen einige Änderungen zu. Ab 30. November 2016 müssen sie alle Transporte zu den Terminals anmelden. "Ohne Tourenplannummer lassen wir kein Fahrzeug mehr einfahren", kündigt HHLA-Betriebsdirektor Heinrich Goller an. Ausschließlich Fahrer und Frachtführer, die alle wichtigen Transport- und Containerdaten über die HHLA-App eingeben, erhalten eine solche Nummer. Goller verspricht sich hiervon kürzere Warte- und schnellere Abfertigungszeiten. Terminals verbessern Abholzeiten Ab 15. Januar 2017 können die Fahrer Container auch mitten in der Nacht oder am Wochenende schneller abholen. An diesem Stichtag führt HHLA für den Burchardkai, dem größten Terminal im Hafen, ein neues Schichtmodell ein. Mit diesem soll die Arbeitsleistung um bis zu 30 Prozent steigen. Von den beschleunigten Prozessen profitieren vor allem die Reeder, die laut Goller noch stärker "an den Burchhardkai gebunden werden sollen". Solche Maßnahmen fallen in eine Zeit, in der die Hafenumsätze phasenweise stagnieren und der Standortwettbewerb immer heftiger wird. Für Container wie Schütt-, Massen- und Stückgut zeichnet sich nach einem mäßigen ersten Halbjahr immerhin ein minimales Wachstum in der zweiten Jahreshälfte ab. Von Januar bis September 2016 wurden im Hamburger Hafen 6,7 Millionen TEU (Zwanzig-Fuß-Container) und damit 0,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum umgeschlagen. Der gesamte Seegüterumschlag inklusive Stück- und Massengut kletterte um 0,3 Prozent auf 104,9 Mio. Tonnen. Einen ähnlichen Trend melden die Bremer Häfen. Der Containerumschlag stieg bis Ende August auf 3,75 Mio. TEU (+0,4 Prozent) und der Seegüterumschlag auf 50,2 Mio. Tonnen (+1,7 Prozent). Sorgen bereitet lediglich der Automobilumschlag, weil die Hersteller weniger Fahrzeuge nach China und in andere Überseemärkte verkaufen (-6,3 Prozent). Rotterdam zählt weniger Container Die internationale Konkurrenz zieht eine durchmischte Bilanz. Rotterdam meldet bis einschließlich September einen Seegüterumschlag von 335 Mio. Tonnen (-1,9 Prozent) und einen Containerumschlag von 9,27 Mio. TEU (-0,4 Prozent). Vor allem die Einfuhren von Heizöl, Flüssigerdgas, Eisenerz und Kohle sind rückläufig. Antwerpen hingegen erweist sich einmal mehr als Wachstumsführer unter den Nordseehäfen und schlug knapp 162 Mio. Tonnen Seegüter (+3,3 Prozent) und 7,56 Mio. TEU (+4 Prozent) um. Stark gestiegene Stahl- und Ölimporte konnten Rückgänge vor allem bei Eisenerzen, Düngemitteln und Baumaterialien kompensieren. Offenbar ist es dem belgischen Hafen gelungen, mit der durch den Schelde-Ausbau und anderen Baumaßnahmen verbesserten Infrastruktur sowie neuen Hinterlandverkehren zusätzliche Schiffsverkehre zu akquirieren. "Wir können nach der Eröffnung der 765 Millionen Euro teuren Liefkenshoek-Trasse bis zu 30 Prozent zusätzliche Eisenbahnkapazität anbieten", nennt Hafenchef Marc van Peel einen weiteren Vorteil. Der belgische Hafen, der jährlich 65 Mio. Tonnen (2015) nach Deutschland umschlägt, will die grenzüberschreitenden Schienenverkehre, die im aktuellen Modal Split nur 17 Prozent ausmachen, weiter erhöhen. Anfang Oktober startete die Hafenbehörde Ausschreibungen für zusätzliche beziehungsweise verbesserte Linienverkehre nach Rhein-Main und Rhein-Ruhr. Auf der Messe "Transport Logistic 2017" in München will sie bekannt geben, welche Operateure den Zuschlag erhalten. Außerdem wurden 2016 die Verbindungen nach Polen, Tschechien und Österreich ausgebaut. Für 2017 plant der zweitgrößte europäische Hafen neue Kombinierte Verkehre KV nach München, Stuttgart und anderen süddeutschen Hubs. Es sollen aber auch die Binnenschifffahrtsverkehre, deren Modal- Split-Anteil 36 Prozent beträgt, ausgebaut werden. Mit Online-Tools, welche per Schiffsidentifikation Verkehre koordinieren und Zeitfenster für die Be- und Entladung festlegen, sieht sich der Hafen für zusätzliches Wachstum gerüstet. Am Ziel, 2030 über 300 Mio. Tonnen im Jahr umzuschlagen und den Lkw-Anteil im Modal Split von 47 auf 40 Prozent zu drücken, hält man in Antwerpen weiterhin fest. Die Terminalbetreiber stellen sich auf diese Entwicklung ein. Gegenwärtig erweitert der örtliche Marktführer MSC PSA European Terminal MPET, der täglich bis zu 12.000 Einheiten umschlägt, seine neuen Anlagen am linken Schelde-Ufer um zusätzliche Flächen und Kräne. Für den alten Standort gibt es bereits Nachfolgelösungen. In den nächsten fünf Jahren wollen die belgische SEA Invest und die amerikanische Zenith Energy 650 Mio. Euro in neue Anlagen für Container und Flüssiggut investieren. Beide Transportgüter sorgen als "Wachstumstreiber" (van Peel) mit über 208 Millionen Tonnen (2015, +4,6 Prozent) bereits heute für den Löwenanteil des Umsatzes. Antwerpen will mit Rotterdam Schritt halten. Beim Ausbau der Hinterlandverkehre bietet der größte europäische Seehafen über die Betuwe-Linie außer den täglichen KV-Linien nach Duisburg weitere Direktverkehre zu acht Logistikzentren entlang der Rheinschiene an. Weiter existieren wöchentliche Shuttle-Verkehre nach Österreich, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien. In den vergangenen zwei Jahren konzentrierten sich die Niederländer auf Bayern und zogen im Rahmen der Bayrolo-Kooperation mit Bayernhafen von TX Logistik und European Gateway Services EGS betriebene KV-Linienverkehre nach Nürnberg und München hoch. Jetzt soll deren Frequenz von wöchentlich fünf auf sechs erhöht werden. Seit Anfang Oktober bietet EGS außerdem mit drei Schiffen Container-Verkehre nach Nürnberg an. EGS-Netzwerkmanager Paul Zoeter schließt regelmäßige Shuttle-Verkehre nicht aus. "Für Güter mit langer Umlaufzeit sind Binnenschifffahrtslinien gerade nach Bayern eine hervorragende Alternative, weil sie über die trimodalen Terminals in Nürnberg und anderen Häfen leicht mit anderen Verkehrsträgern kombiniert werden können", sagt der Logistiker. Auch Österreich und Schweiz im Blick Ansonsten setzt Rotterdam vor allem auf die Schiene, welche im aktuellen Modal Split wie Antwerpen nur auf 17 Prozent kommt und gemeinsam mit der Binnenschifffahrt (40 Prozent) langfristig 65 Prozent ausmachen soll. Mit zusätzlichen Verbindungen zum neuen Terminal der Rail Cargo Group in Wien, das Mitte November seinen Probebetrieb aufgenommen hat, und weiteren Logistikzentren in Österreich, Norditalien und der Schweiz wollen die Niederländer diesem Ziel noch im laufenden Jahr ein wenig näher rücken. Außerdem möchten sie mit der sogenannten Rail Incubator-Initiative im Zusammenspiel mit Eisenbahnen, Operateuren und sonstigen Marktakteuren weitere Linienverkehre entwickeln. Das erste Projekt ist der Rhein-Shuttle nach Wolfurt im österreichischen Vorarlberg (siehe auch Seite 24). Vor allem bei den KV-Hinterlandverkehren setzt Rotterdam auf ein starkes Wachstum: 2016 werden diese vermutlich über 600.000 TEU transportieren, 2020 sollen es 880.000 TEU sein. Mit einem Modal Split von deutlich über 40 Prozent für die Schiene haben Hamburg und Bremerhaven gegenüber Antwerpen und Rotterdam weiterhin einen uneinholbaren Vorsprung. Trotz stagnierender Umschlagsvolumina ist das Verlagerungspotenzial offenbar noch nicht erschöpft. Von Januar bis September 2016 sind 1,8 Millionen TEU (+1,9 Prozent) auf der Schiene von und zum Hamburger Hafen transportiert worden. Auf solche Zuwächse hofft man auch in Bremerhaven. Im Modal Split 2015 hat die Straße wieder leicht auf 50 Prozent (Schiene: 46 Prozent) zugelegt, für 2016 liegen noch keine Zahlen vor. Beide Standorte bauen ihre Infrastruktur weiter aus: Die Akteure an der Weser investieren nach der Erweiterung des Hafenbahnhofs in Bremerhaven 40 Mio. Euro in das dortige Schienennetz, Hamburg baut das Terminal Altenwerder CTA weiter aus. In Zukunft soll der größte deutsche Containerbahnhof auf neun statt sieben Gleisen 970.000 statt 790.000 TEU im Jahr umschlagen. Für Professor Burkhard Lemper vom Bremer Institut für Seewirtschaft und Logistik ISL reicht das nicht aus. "Die deutschen Häfen müssen sich auch für bessere Schienen- und Straßenzufahrten starkmachen", sagt der Wissenschaftler. "Sie können nur so der starken Position von Antwerpen und Rotterdam in der Binnenschifffahrt etwas entgegensetzen." Gerade bei der Anbindung ans Schienennetz weisen die beiden Konkurrenten Schwächen auf. Während Rotterdam alle Hinterlandverkehre über die Betuwe-Trasse mit unzureichenden deutschen Anschlussstrecken abwickeln muss, macht Antwerpen die ausbleibende Modernisierung des "Eisernen Rheins" zu schaffen. "Wenn diese Engpässen nicht beseitigt werden, bleibt die Binnenschifffahrt der bevorzugte Verkehrsträger", urteilt Günter Haberland, Geschäftsführer der Spedition Zietzschmann in Neuss. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Seefracht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vor- und Nachteile der Seehäfen Steuerliche Vorteile, zu groß oder zu teuer Rotterdam ist für jedes große Containerschiff erreichbar, Hamburg hingegen nicht. Viele Logistiker führen dieses Argument an, zumal eine Realisierung der Elb-Vertiefung nicht in Sicht ist. Für Andreas Haber sprechen noch weitere Argumente für Rotterdam."Der niederländische Fiskus verzichtet bei Transitverkehren auf die Mehrwertsteuer, der deutsche hingegen nicht", sagt der Vertriebsleiter der Niederlassung München der Spedition MBS Logistics."Der Kunde muss sich diese rückerstatten lassen."Ein völlig anderes Argument für Rotterdam führt Cok Vinke vom Container-Hinterland-Netzwerk Contargo an."Hier gibt es keine Einschränkungen durch Schleusen und Durchfahrtshöhen", lobt er die gute Erreichbarkeit des Hafens für jeden Verkehrsträger. Für Karsten Scheidhauer hat Rotterdam hingegen mit seiner Größe zu kämpfen."Wenn Seelinienverkehre sich verspäten, müssen sie häufig an anderen Terminals entladen", sagt der Geschäftsführer von Optimodal, einem Tochterunternehmen der Kombiverkehr-Gruppe."Weil diese Anlagen weit auseinander liegen, erschwert das die Organisation von Schienenverkehren erheblich."Auch Antwerpen hat Scheidhauer zufolge wegen der mäßigen Schieneninfrastruktur Tücken. Für Günter Haberland zeichnet sich dieser Hafen durch überzogene Sozialstandards aus."Für Vorgänge, die anderswo drei bis vier Mann erledigen, muss ich hier doppelt so viel Personal einplanen", kritisiert der Geschäftsführer der Spedition Zietzschmann.bot

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