Welcher Lohn gilt denn nun?

Bei einer Kontrolle kam der Fall ins Rollen: Polizisten hielten den tschechischen Lkw-Fahrer Jirí Gabrhel auf einer deutschen Autobahn an und befragten ihn nicht nur nach seinen Papieren, sondern auch nach seinem Stundenlohn. 10.000 Euro Entschädigung für Jirí Heute weiß Jirí, dass er damals zu wenig verdiente. Denn von den Polizisten erhielt der Lkw-Fahrer auch ein Flugblatt, das ihn über seinen Anspruch auf deutschen Mindestlohn informierte sowie Telefonnummern von deutschen Gewerkschaften nannte, an die er sich wenden konnte. Jirí ging zu Verdi und klagte mit deren Unterstützung gegen Deutsche Post DHL auf deutschen Mindestlohn für Fahrten, die er für ein Sub-Subunternehmen im Auftrag des Bonner Logistikkonzerns innerhalb Deutschlands durchgeführt hatte. Jirí bekam sein Geld, weil die Post vor dem Verhandlungstermin beim Arbeitsgericht Bonn offenbar bereit war, ihm nachträglich über 10.000 Euro als Entschädigung für entgangenen Lohn zu zahlen. Damit hatte sie dem Verfahren den Verhandlungszweck entzogen und das Gericht musste den Fall abschließen. Ohne Urteil. "Jirí hat bekommen, was er verdient hat. Das ist ein Riesen-Erfolg, auch wenn die Post mit der Zahlung dafür gesorgt hat, dass das Gericht das Mindestlohngesetz nicht bestätigen durfte", beklagt Michael Wahl. Wahl koordiniert "Faire Mobilität", ein Informationsprojekt für Lkw-Fahrer aus Mittel- und Osteuropa, das vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ins Leben gerufen worden war, um faire Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten (MOE) auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen. Gefördert wird "Faire Mobilität" von den DGB-Gewerkschaften, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Als alle Beweise im Fall Jirí auf dem Tisch lagen, erzählt Wahl, habe Deutsche Post DHL dem tschechischen Fahrer den ausstehenden Lohn plötzlich bezahlt. "Der Fall Jirí hat eine dennoch große Bedeutung, auch weil er für breites Medienecho sorgte," sagt der Gewerkschafter. "Viele Fahrer erfuhren dadurch erst davon, wie sie ausgebeutet werden, und welche Rechte sie in Deutschland haben. Es haben sich dadurch weitere 100 tschechische Fahrer bei 'Faire Mobilität' gemeldet", führt Wahl aus. Und natürlich plane die Initiative "unbedingt weitere Fälle zu generieren, um hier eine Klärung herbeizuführen. Nicht aber, ob der gesetzliche Mindestlohn gilt oder nicht. Dies ist unstrittig", betont der Gewerkschafter. "Aktuell wird Fahrern wie Jirí ihr Mindestlohn zu zwei Dritteln in Spesen bezahlt. Wir wollen Klarheit, dass dieses Spesenmodell illegal ist." Noch hält das BMAS an dem Mindestlohngesetz (MiLoG) fest. "Der Gesetzgeber hat bei der Einführung des Mindestlohns darauf geachtet, dass dieser nicht nur für Arbeitnehmer in Deutschland ansässiger Arbeitgeber gilt, sondern auch die Arbeitnehmer von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland schützt. Er gilt also gleichermaßen für jede Beschäftigung in Deutschland", betont Christian Westhoff, BMAS-Pressesprecher auf Anfrage der VerkehrsRundschau. Ansbacher Urteil sorgt für Aufsehen Demnach gelten die deutschen Mindestlohn-Vorschriften für ausländische Frachtunternehmen - sowohl für Kabotageverkehre in Deutschland als auch für grenzüberschreitende Verkehre, unterstreicht der BMAS-Sprecher. Zahlt also ein ausländischer Frachtführer seinem Lkw-Fahrer auf dem deutschen Streckenanteil nicht die derzeit geltenden 8,84 Euro/ Stunde, kann der Arbeitnehmer dies direkt beim (deutschen) Auftraggeber geltend machen und bei Verstoß droht ein Bußgeld bis zu 500.000 Euro. Lediglich für den reinen Transit, so der Sprecher, habe sein Ministerium die staatliche Kontrolle des Mindestlohns einschließlich der Ahndung etwaiger Verstöße durch Ordnungswidrigkeitsverfahren vorerst ausgesetzt. Doch das Landgericht Ansbach urteilte im März 2018 ganz anders: "Bei Kabotage innerhalb von Deutschland ist kein Mindestlohn fällig (LG Ansbach Az. 1 S 872/17)." Darauf verweist Bogumil Kus. Der Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht und Partner der Kanzlei Viadrina in Frankfurt/Oder hatte die beiden polnischen Fuhrunternehmen vor dem Gericht vertreten. In dem besagten Fall hatten beide gegen eine bayerische Spedition geklagt, die die zugesicherte Fracht nicht bezahlt hatte, obwohl die beiden die Transporte ordnungsgemäß durchgeführt hatten. Die Zahlung war von dem Spediteur zurückbehalten worden, weil sich die Transportunternehmer geweigert hatten, diesem schriftlich zu bestätigen, dass sie ihre Lkw-Fahrer nach dem MiLoG bezahlten, obwohl dies im Vorfeld in den Bedingungen des Auftrages vorgegeben war. Die Transporteure zogen daraufhin vor Gericht und erhielten die eingeklagte Fracht gegen ihren deutschen Auftraggeber vom Arbeitsgericht Weißenburg vollständig zugesprochen (siehe auch Kasten Seite 20). In der Berufungsverhandlung nahm der bayerische Spediteur seine Berufung nunmehr zurück, nachdem das Landgericht Ansbach einen Hinweis auf die Aussichtslosigkeit der Berufung erteilt hatte. Das erstinstanzliche Urteil war damit rechtskräftig. Deutliche Abfuhr für das MiLoG Bemerkenswert an der Entscheidung sei, so Fachanwalt Kus, "dass es sich in dem Rechtsstreit um einen reinen Inlandstransport (Kabotage) handelt und selbst dafür der Anwendung des MiLoG eine klare Abfuhr erteilt wurde." Im Klartext: "Das deutsche Mindestlohngesetz verstößt bis auf Weiteres gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit und ist künftig auf Transportunternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten nicht mehr anwendbar", kommentiert Kus. Transport- und Speditionsunternehmen aus den MOE-Staaten seien also nicht verpflichtet, ihren Lkw-Fahrern auf deutschem Boden deutschen Mindestlohn zu bezahlen. Schützenhilfe erhält Kus von Martin Pfnür aus Görlitz, Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht: "Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Anwendungsexzess des MiLoG auf ausländische Transportunternehmen einer gerichtlichen Prüfung bereits in Deutschland nicht standhält, auch ohne dass dazu der Europäische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden muss." Ein Rechtsgutachten des Hamburger Rechtswissenschaftlers Professor Peter Mankowski im Auftrag des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und des DGB gelangte im vergangenen Jahr indes zu einem anderen Schluss.Darin heißt es, dass der deutsche Mindestlohn auch für Lkw-Fahrer aus anderen Mitgliedstaaten gelten müsste. Das MiLoG müsse also nicht nur für Kabotageverkehre Anwendung finden, sondern auch für Transitverkehre und internationale Transporte, befindet Professor Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des BGL. Er ist sich gleichwohl des Verwaltungsaufwandes bewusst, der auf die Unternehmen zukommt, die ihre Lkw quer durch Europa schicken und für jedes Land den jeweiligen Mindestlohn dem Fahrer zahlen müssten. "Wir haben daher ein einheitliches europäisches Melderegister vorgeschlagen, um den Bürokratieaufwand in Grenzen zu halten." Dieses System soll die genauen Zeiten der Grenzübertritte erfassen und speichern und somit eine belastbare Grundlage für die Berechnung der Löhne bilden. Der BGL-Hauptgeschäftsführer wörtlich: "Uns ist daran gelegen, dass dieses System kein Bürokratiemonster wird. Deshalb plädieren wir für ein digitales System, bei dem die Datenübermittlung über den digitalen Tachographen im Lkw unbürokratisch und mit geringem Aufwand erfolgt." Engelhardt geht davon aus, dass es zukünftig weitere Klagen von osteuropäischen Fahrern geben wird, die auf die Zahlung des deutschen Mindestlohns pochen und den im Nachhinein einfordern werden. "Die Fahrer sind immer weniger bereit, zu den derzeitigen Konditionen zu arbeiten", sagt der BGL-Hauptgeschäftsführer. DSLV: Mindestlohn-Vergleiche hinken "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" - mit dieser Forderung der Gewerkschaft für Lkw-Fahrer kann Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), nichts anfangen. "Es gibt nun einmal unterschiedliche Lebensumstände, unter denen Arbeit erbracht wird", betont Huster. Daher sei es auch unstrittig, dass beispielsweise in Norwegen andere Gehälter gezahlt würden als in Griechenland. Bei der Debatte um eine gerechte Bezahlung für Lkw-Fahrer werden laut Huster häufig nicht zutreffende Vergleiche gemacht: "Wenn der derzeitige Mindestlohn in Bulgarien in Höhe von 1,57 Euro den Bruttohöchstlöhnen für Fahrer in Deutschland gegenübergestellt wird, hinkt dieser Vergleich doch gewaltig", moniert Huster. Denn Löhne und Gehälter hätten sich in Bulgarien schon längst vom Mindestlohn entfernt. "Auch dass Spesen gezahlt werden, wird völlig außer Acht gelassen." Die Haltung des DSLV zu einer künftigen Regelung ist deshalb eindeutig: "Kabotageverkehre müssen zweifelsohne mindestlohnpflichtig gemacht werden", sagt Huster. Bei grenzüberschreitenden Transporten oder im Transit sieht er hingegen dafür keine Notwendigkeit. Ähnlich sieht es Rechtsanwalt Detlef Neufang vom Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Der deutsche Gesetzgeber berufe sich bei der Anwendung des MiLoG auf ein überragendes öffentliches Interesse in Form der Herstellung gleicher Lebensbedingungen, weshalb für jede Beschäftigung in Deutschland Mindestlohn gezahlt werden muss. "Es ist jedoch fraglich, ob das in jedem Fall berechtigt ist. Im Transit mache ich ein ganz großes Fragezeichen dahinter", sagt der Rechtsexperte des BWVL. Zur Unterstützung seiner These zitiert auch er ein Urteil des Landgerichtes Ansbach, wonach das MiLoG überhaupt nicht anwendbar sei auf Straßengütertransporte durch ausländische Unternehmen in Deutschland. BWVL: MiLoG sollte für Kabotage gelten "Wir als BWVL halten die Anwendung des MiLoG auf Kabotagetransporte aber für gerechtfertigt", sagt Neufang. Er begründet das damit, dass diese Transporte in unmittelbarer Konkurrenz zu den Transporten deutscher Frachtführer stehen und hier die Gefahr eines Dumpinglohnwettbewerbs bestünde. "Aber: Auch darüber lässt sich diskutieren. Und es ist vollkommen ungewiss, wie der Europäische Gerichtshof darüber urteilt", sagt der Rechtsexperte. Alles das zeigt: Wirkliche Rechtsklarheit gibt es nicht. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, hilft nur eines: Die Logistikdienstleister müssen von ihren Auftragnehmern Verpflichtungs-, Freistellungs- und Nachweiserklärungen einholen. "Die Folge ist zwar ein enormer bürokratischer Aufwand", wie Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der Johann Dettendorfer Spedition, beklagt. Aber es sei nun einmal die einzige Möglichkeit, um die Auftraggeberhaftung gesetzeskonform umzusetzen. Mehr zum Thema im Dossier Löhne und Gehälter www.verkehrsrundschau.de/dossiers Statement Es drohen hohe Geldbußen Auftraggeber müssen darauf achten, dass von ihnen beauftragte Unternehmer und deren Nachunternehmer ihren Mitarbeitern den deutschen Mindestlohn für in Deutschland geleistete Arbeit bezahlen. Durch einige Urteile aus jüngerer Zeit ist die Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes (MiLoG) auf Beschäftigte ausländischer Arbeitgeber aber infrage gestellt worden: Bei grenzüberschreitenden Beförderungen und selbst bei Kabotage müsse dem ausländischen Fahrpersonal nur der vertraglich vereinbarte Stundensatz und nicht der deutsche Mindestlohn bezahlt werden.Wie sollen sich deutsche Auftraggeber jetzt verhalten? Der BWVL rät seinen Mitgliedsunternehmen, weiterhin von der Geltung des MiLoG für die Beschäftigung ausländischer Unternehmer und deren Mitarbeiter auszugehen. Das MiLoG ist geltendes Recht. Wer es ignoriert, riskiert ein Ordnungswidrigkeitenverfahren und Geldbußen bis 500.000 Euro. Die Zweifel einiger Instanzgerichte - und des österreichischen Obergerichtshofes - an der Anwendbarkeit auf ausländische Beschäftigungsverhältnisse vermögen daran einstweilen nichts zu ändern. Dabei bleibt es, solange das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof nichts anderes entscheiden. Wer Kabotagefahrten oder Transporte von oder nach Deutschland in Auftrag gibt, muss sich deshalb - am besten schriftlich - versichern lassen, dass die Fahrer den deutschen Mindestlohn erhalten, wobei in soweit auch vorbehaltlos und unwiderruflich gezahlte Zulagen, über die deutschen Spesensätze hinausgehende Tagegelder, etc, im Monat der Zahlung Berücksichtigung finden müssen. Im Einzelfall sollte konkret nachgefragt werden. Darüber hinaus ist nach Ansicht des BWVL auch Brüssel gefordert, durch eine einheitliche Regelung des Entsendebegriffs baldmöglichst Rechtsklarheit zu schaffen.Der BWVL vertritt die Interessen von rund 1200 Unternehmen aller Größenordnungen aus Industrie und Handel in puncto Transport und Logistik. Mehr unter: www.bwvl.de Rechtsanwalt Detlef Neufang, Geschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL)

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