Weg vom Zufallsprinzip

Ich hatte schon länger geplant, dass sich jemand von außen unsere Prozesse ansieht. Selbst sieht man manchmal gar nicht, was im eigenen Unternehmen verbessert werden könnte", erklärt Cargo-Network-Geschäftsführer Jürgen Klein die Beweggründe, warum der Tourenoptimierer aus dem osthessischen Niederaula für die Optimierung der Betriebsabläufe Logistik-Studenten der Hochschule Darmstadt zurate gezogen hat (siehe Kasten). Unter anderem ist CargoNetwork Generaldienstleister für die nationale Entsorgung des in Niederaula ansässigen Zentral-Hub der Stückgutkooperation System Alliance. Auf diesem Gelände befindet sich ein Rangierplatz mit separater Einfahrt, auf der die Direktverkehre mit Wechselbrücken abgewickelt werden. Und dort herrscht reges Treiben: Jede Nacht werden zwischen 21:30 Uhr und 2 Uhr rund 150 Wechselbrücken ausgetauscht; bis zu 90 Lkw steuern in diesem Zeitraum den Umschlagplatz an, um ihre Wechselbrücken abzustellen, die von anderen Fahrern zu einem späteren Zeitpunkt abgeholt werden. "Als Professor Bohnhoff, der gleichzeitig Vorsitzender unseres Beirats ist, mir von der Projektarbeit an seiner Hochschule erzählte, habe ich gerne zugesagt", so Klein. Fahrer unter Zeitdruck Den Studierenden bot sich folgendes Szenario: "Die Straße, an der das Hub und unser Umschlagplatz liegen, ist bereits ein Nadelöhr, Staus sind nicht selten", sagt Klein. Wenn dann noch zu viele Lkw aufs Gelände kommen und abfahrende Fahrzeuge gleichzeitig nicht schnell genug vom Hof kommen, werde es innerhalb kurzer Zeit "sehr, sehr eng", klagt der CargoNetwork-Geschäfstführer. Da die Fahrer unter permanentem Zeitdruck stünden, werde oft nicht unbedingt darauf geachtet, wenn der Platz eigentlich schon überfüllt ist. Eine weitere Herausforderung war der Umschlagprozess. "Die Studierenden fanden auf dem Rangierplatz ein eher nach dem Zufallsprinzip funktionierendes System vor: Jeder Fahrer setzt seine Wechselbrücke dort ab, wo er es als sinnvoll betrachtet", erklärt Professor Armin Bohnhoff, der an der Hochschule Darmstadt Logistik-Management lehrt und das Praxismodul betreute. Bei den Linienverkehren, bei denen sich die Fahrer oft kennen und erfahrungsgemäß wissen, wo sie fündig werden, sei das auch wenig problematisch, betont Klein. "Da wir allerdings im Charterbereich immer mehr Einheiten verzeichnen, kommt es immer häufiger vor, dass Fahrer nur mit der Suche nach der Wechselbrücke wertvolle Zeit verlieren." So ergaben sich also gleich zwei Aufgaben, die die Studierenden zu lösen hatten. Für die Analyse führten die Nachwuchslogistiker als Erstes eine Fahrer- und Mitarbeiterbefragung durch. Einen Überblick über die Prozesse verschafften sie sich mittels einer Videokamera, die das Geschehen auf dem Hof aus der Vogelperspektive filmte. "Die erste Idee, die kurz darauf vor Ort ausgetestet wurde, war ein simuliertes Ampelsystem", berichtet Klein. Dabei gingen die Studierenden sehr pragmatisch vor: "Mittels Besenstil und Pappe wurde eine Ampel simuliert. Sobald der Rangierplatz drohte, zu voll zu werden, wurde 'auf Rot geschaltet'. Das hat erstaunlich gut funktioniert", sagt Klein. Das Unternehmen arbeite bereits an der Umsetzung einer solchen Signal-Lösung. "Was die Studierenden dadurch schon jetzt geschafft haben, ist die Verhinderung von künftigen Deadlock-Situationen", lobt Bohnhoff. Stellplatzsystem verschlankt Prozesse Den eigentlichen Umschlagprozess zu optimieren, war dagegen deutlich kniffliger. "Wir können den Umschlagplatz nicht räumlich erweitern. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als durch eine bessere Organisation Platz für die stetig steigende Anzahl von Einheiten zu schaffen", erläutert Klein. Aber auch hier erwiesen sich die jungen Leute als kreativ. "So kamen sie schnell auf die Idee, dass die Prozesse auf dem Hof deutlich verschlankt werden können, wenn sie den Wechselbrücken bestimmte Bereiche zuweisen", erzählt Bohnhoff. Das Rangiergelände wurde entsprechend aufgeteilt und beschriftet, für die Disposition von CargoNetwork wurde ein Excel-Tool geschrieben. "Ziel wäre nun, dieses Stellplatzsystem zu automatisieren", sagt Klein. Angedacht sei eine Wechselbrückenverfolgung per Kameraunterstützung, die den Ablauf auf dem Hof nochmals sehr vereinfachen würde: Der Fahrer würde seine Wechselbrücke auf einem nummerierten Stellplatz abstellen, die Kamerabilder und eine noch zu entwickelnde Software die Information direkt in die Disposition geben. "Der Fahrer, der die Wechselbrücke anschließend aufnimmt, muss sie also nicht erst auf dem Hof suchen, sondern weiß sofort, wo sie steht", erläutert Klein. Umsetzung hängt an den Kosten Ein solcher Ansatz dürfte in der Umsetzung allerdings sehr teuer sein, gibt der CargoNetwork-Chef zu bedenken. "Ob wir ihn weiterverfolgen, hängt also auch ein Stück weit davon ab, wie viel man in Hardware und vor allem die Softwareentwicklung investieren müsste." Dass ein solches Trackingsystem nicht so schnell umzusetzen ist wie die Installation einer Ampel, weiß auch Bohnhoff. Auf dem Hof müssten mehrere Kameras installiert und schließlich eine Bildverarbeitungssoftware entwickelt werden, die das gefilmte Geschehen analysiert. "Ich selbst hätte diesen Ansatz wahrscheinlich aus Kostengründen schnell verworfen", so der Professor. Die Studierenden hätten aber viel Kreativität und Eigeninitiative gezeigt und bereits Angebote von Firmen eingeholt. Ob das Kamera-Tracking-System letztendlich auch wirtschaftlich Sinn ergibt, müsse im Detail geprüft werden. "Im nächsten Sommersemester könnten wir das Projekt gemeinsam mit einem Industriepartner weiter begleiten", so Bohnhoff. Diese Fragestellung oder auch die Simulation der Hofabläufe sei zudem ein schönes Thema für eine weiterführende Bachelorarbeit, meint der Hochschullehrer. Königsdisziplin Yard Management Nach Ansicht von CargoNetwork-Geschäftsführer Klein wäre die Königsdisziplin, irgendwann ein vollwertiges Yard-Management-System zu entwickeln, bei dem den Fahrern gleich bei der Einfahrt angezeigt wird, auf welchem Stellplatz sie ihre Wechselbrücken abstellen sollen. "Wir arbeiten als Tourenoptimierer viel mit einzelnen Wechselbrücken. Die stehen in der jetzigen Praxis in den seltensten Fällen beieinander - wenn es richtig voll wird, sind Blockadesituationen beim Aufbrücken vorprogrammiert", sagt Klein. Wenn die Fahrer jedoch die Möglichkeit hätten, die Brücken mit den verschiedenen Destinationen gleich richtig hinzustellen, würde dies den Ablauf deutlich beschleunigen. "Je schneller die Lkw unseren Rangierplatz wieder verlassen, desto pünktlicher kommen sie schließlich beim Kunden an", sagt Klein. Online-Unterweisung Wechselbrücken sicher aufnehmenDas richtige Handling von Wechselbrücken will gelernt sein. Mit der Online-Unterweisung "Wechselbrücken" können Fahrer im sicheren Umgang mit den Ladungsträgern geschult werden, so werden Blechschäden langfristig minimiert. haFür Abonnenten der VerkehrsRundschau ist diese Online-Unterweisung kostenfrei. www.weiterbildung.verkehrsrundschauplus.de Das Hochschulprojekt Früh Praxiserfahrungen sammelnDer Studiengang Logistik Management an der Hochschule Darmstadt ist noch vergleichsweise jung: Im Wintersemester 2017/2018 startete erst der zweite Jahrgang. Das Projekt "Produkt- und Prozessoptimierung bei der CargoNetwork", an dem zehn Bachelor-Studierende aus dem zweiten Semester teilnahmen, lief von Anfang April bis Ende Juni 2018. Betreut hat es Professor Armin Bohnhoff. Der promovierte Ingenieur war bis 2014 in verschiedenen Managementpositionen bei dem KEP-Dienstleister DPD tätig, bevor er in die Beratertätigkeit und Lehre wechselte. Bohnhoff hat derzeit eine Vollprofessur an der Hochschule Darmstadt inne und lehrt unter anderem im Studiengang Logistik Management. Zu seinen Nebentätigkeiten gehört der Beiratsvorsitz bei CargoNetwork."Uns liegt sehr am Herzen, dass unsere Studierenden möglichst früh Praxiserfahrungen sammeln. Daher findet das Praxismodul 'Management von Logistikprojekten' bereits im zweiten Semester statt", so Bohnhoff. Hier konnten die Studierenden im zurückliegenden Sommersemester zwischen insgesamt acht Projekten wählen. Neben der Produktund Prozessoptimierung bei der CargoNetwork standen unter anderem Projekte beim Pharmakonzern Roche in Mannheim, beim Intralogistikanbieter Dematic in Heusenstamm oder den Darmstädter Entsorgungsbetrieben EAD zur Auswahl."Daher war es toll, dass gleich eine zehnköpfige Gruppe von Studierenden den vergleichsweise langen Fahrtweg zu CargoNetwork ins osthessische Niederaula angetreten hat", so Bohnhoff. mh

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