Rodgau. Der Rumäne Mihai ist seit gut einem Monat mit dem Lastwagen einer ungarischen Spedition unterwegs. Bald gehe es für zehn Tage zurück nach Hause, sagt der 40-Jährige während einer Pause auf dem Rastplatz Weiskirchen an der Autobahn 3 Frankfurt-Würzburg. 400 Euro Mindestlohn bekommt der Familienvater plus Spesen, insgesamt zwar 1800 Euro, wie Michael Baumgarten vom DGB-Projekt „Faire Mobilität” übersetzt. Sozialabgaben zahlt er aber nur für die 400 Euro. Die Entsenderichtlinie, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, müsse auch für das Transportwesen gelten, fordert DGB-Vorstand Stefan Körzell am Dienstag auf dem Rastplatz.
Auf dem Platz an der stark befahrenen Autobahn sind Lastwagen aus Osteuropa in der Mehrzahl. Auch der Fahrer eines Sattelzugs mit niederländischem Kennzeichen ist Rumäne. Er sei heute mit mehreren Landsleuten in einem Kleinbus in den Niederlanden angekommen und habe dort den Lkw übernommen, erzählt er.
„Ihre Arbeitsrealität spielt sich komplett in West-Europa ab”, sagt Michael Wahl vom Präventionsprojekt „Faire Mobilität” für osteuropäische Fernfahrer. Viele Rumänen seien drei Monate und länger unterwegs, bevor sie wieder nach Hause fahren. Bei Polen, Serben, Kroaten und Slowenen seien es oft drei bis zehn Wochen. 95 Prozent der Fahrer seien Männer im Alter zwischen 30 und 40, manchmal wechselten sich auch Paare am Steuer ab. „Viele Fahrer leben in dieser Zeit ausschließlich in und um ihren LKW”, sagt Wahl. „Die Rastplätze sind eigentlich immer voll.”
Deutscher Mindestlohn nicht immer bekannt
Nicht jedem sei klar, dass deutscher Mindestlohn gelte, sobald sie in Deutschland arbeiteten und dies auch bis zu drei Jahre rückwirkend eingeklagt werden könne, sagt Wahl. „Viele können wenig oder kein Deutsch und freuen sich, wenn sie jemand anspricht”, sagt Dragana Bubulj von dem Projekt. Flyer in acht Sprachen über die Rechte der Fernfahrer in Deutschland haben Wahl, Baumgarten und Bubulj dabei; und sie sprechen Polnisch, Rumänisch, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch.
Rund 3,5 bis 4 Millionen Beschäftigte gibt es dem DGB zufolge bei Speditionen in der EU. Darunter seien etwa 555.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland. Der Druck auf die, die nach Tariflohn bezahlten, sei enorm, sagt DGB-Vorstand Körzell. Viele sattelten auch zunehmend auf kleinere Lastwagen, sogenannte Sprinter, um. „Damit werden viele Regulierungen, die es für große Fahrzeuge gibt, umgangen.”
Digitale Fahrtenschreiber müssten eingeführt werden, um Kontrollen zu vereinfachen, fordert Körzell. Polizei, Zoll, Gewerbeaufsichtsämter und das Bundesamt für Güterverkehr bräuchten zudem mehr Personal für die notwendigen Kontrollen.
Verbände fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit
Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), spricht sich ebenfalls für gleichen Lohn für gleiche Arbeit aus. Fahrer, die drei Wochen unterwegs waren, sollten nicht nur ein Wochenende, sondern vier, fünf Tage bei ihren Familien verbringen können.
Der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV), in dem etwa 3000 Unternehmen mit mehr als 570.000 Beschäftigten organisiert sind, fordert auch: „Der mehrmonatige Einsatz von Fahrern, die währenddessen ausschließlich in ihren Fahrzeugen leben und arbeiten, und die vorsätzliche Umgehung von Sozialvorschriften sind ebenso gesetzlich zu bekämpfen wie die illegale Kabotage (innerdeutsche Transporte ausländischer Unternehmen).”
„Die Wochenruhezeit muss international einheitlich, für Fahrer sozialverträglich und für Unternehmen wettbewerbsneutral geregelt werden”, sagt DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. Gesetzliche Mindestlohnregelungen seien zwar notwendig, müssten aber die jeweiligen nationalen Standards und Lebenshaltungskosten berücksichtigen.
Allerdings gebe es auch Unternehmen, die das Recht missbräuchlich ausnutzten oder brächen, kritisiert Huster. „Einen Fahrer sechs Monate durch Europa zu schicken, oder eine Briefkastenfirma in Osteuropa sind heute bereits Gesetzesverstöße.”
Der Fahrer Mihai sagt, die lange Trennung von seiner Familie falle ihm sehr schwer. Aber in Rumänien gebe es derzeit nur wenig Jobs, deshalb fahre er weiter. (dpa)