Viele Brandherde

Die Stahlindustrie ist heißes Feuer gewohnt. Doch momentan gibt es in Deutschland zahlreiche Brandherde, die den Stahlkochern weniger lieb sind. Der Emissionshandel, ein neues Klimaschutzgesetz, der Kohleausstieg und, nicht zu vergessen, die Handelskonflikte: Die Stahlbranche wird gleich von mehreren Seiten in die Zange genommen. Politik hat den Ernst der Lage erkannt Kann da die Politik Feuerwehr spielen, für bessere Rahmenbedingungen sorgen und so das Feuer zumindest eindämmen? Immerhin gibt es jetzt seitens der Politik Initiativen, damit die Stahlindustrie in Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt. "Das ist ein ganz wichtiges Ziel von uns", betonte Christoph Dammermann, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen (NRW), auf dem 19. Netzwerkforum Stahl, das der VVWL (Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW) und Logistik.NRW vergangene Woche in Dortmund veranstaltet haben. Dammermann weiß sich der Unterstützung anderer sicher. Auf einem Stahlgipfel im Saarbrücken im vergangenen Jahr wurde die Allianz der Stahlländer ins Leben gerufen: ein Verbund der Bundesländer NRW, Saarland, Niedersachsen, Brandenburg, Bremen und Hamburg. Das Ziel der Länder ist es, auf die steigenden Anforderungen hinzuweisen, denen sich die Stahlindustrie ausgesetzt sieht. "Sie steht vor allem vor großen handels- und klimapolitischen Herausforderungen", sagte Dammermann. "Wir begrüßen die Stahlallianz außerordentlich", sagte Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl. In Brüssel sei man von den Geschehnissen vor Ort manchmal weit entfernt. "Da ist es wichtig, dass sich die Regionen zusammenschließen, um in Brüssel gemeinsam auf die industrielle Realität hinzuweisen", sagte Theuringer. Er mahnte aber nicht nur politische Unterstützung an. "Zur Erreichung der Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen benötigen wir nicht nur finanzielle Unterstützung in der Forschung klimaarmer Techniken, sondern auch bei der Umstellung der Anlagen, die teurer und stromintensiver sein werden", lautete seine Forderung. Von Dammermann erhielt er eine Zusage: "Wenn es infolge des Kohleausstiegs zu Strompreissteigerungen kommt, müssen wir dafür sorgen, dass die Industrie in Deutschland wettbewerbsfähig bleibt: Dann wird es Kompensationen geben." Ein Brennpunkt ganz anderer Art ist vor allem für die Stahlspediteure die Abwicklung der Lkw am Tor bei der Abholung oder der Auslieferung ihrer Kunden. Hier hat Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) an seinem Werk in Duisburg zahlreiche Veränderungen eingeleitet. Der Eingangsbereich am Tor 6, über das die meisten der täglich mehr als 2000 Lkw im Werk und auch viele Mitarbeiter-Pkw und sonstige Verkehre abgewickelt werden, ist komplett erneuert worden. "In fünf Minuten rein und nach einer Stunde wieder raus: Das ist das Ziel", sagte Bert Kloppert, Leiter Transport/Logistik 1 bei TKSE. Dazu hat das Unternehmen unter anderem fünf integrierte Waagen sowie Terminals im Abfertigungszentrum errichtet, an denen die Lkw-Fahrer sich selbst einchecken können. Im Werk selber soll eine App den Fahrer komplikationslos zum Verladeort navigieren. Eine besondere Bedeutung kommt dem Torkontrollschein zu: Der soll Eintrittskarte, Nachweis und wichtiger Informationsträger zugleich sein. Denn auf dem Papier ist ein QR-Code aufgedruckt, der alle notwendigen Daten beinhaltet, die für die Abwicklung benötigt werden. "Ende September 2019 sollen alle Prozesse am neuen Tor umgesetzt sein", kündigte Kloppert an. Dazu gehört auch, dass die Spediteure von ihrer Firma aus ein Zeitfenster für ihre Fahrer buchen können und sich anmelden können. "Der Fahrer kann sich dann am Terminal den Torkontrollschein ausdrucken und wie beim Check-in am Flughafen direkt zur Ladestelle fahren", sagt Kloppert. Das langfristige Ziel sei ein durchgängig digitalisierter Prozess bis zum Endkunden, bei dem irgendwann gar kein Papier mehr benötigt wird. Doch so weit sind die Prozesse noch nicht. "Derzeit sind wir bei einer Verweildauer im Werk von durchschnittlich 1,5 Stunden", sagte Kloppert. Dirk M. Müller, geschäftsführender Gesellschafter der Spedition Rheinkraft International, meldete leise Zweifel an. "Die 1,5 Stunden kann ich fast bestätigen", sagte er. Kloppert gab zu bedenken, dass es auch von der jeweiligen Ladestelle abhängt, wie schnell die Abfertigung erfolge. "Raum für Verbesserung ist schon noch da", lautete die Einschätzung Müllers zu den Prozessen. "Aber der Weg bei TKSE ist absolut richtig. Was uns gefällt ist die Flexibilisierung von Zeitfenstern", so der Spediteur. Deutliche Kritik äußerte er an der aktuellen Zeitfensterregelung. "Die ist ein absolutes Desaster im Markt, da es das Fahrzeug an zwei verschiedenen Stellen bindet: bei der Beladung und bei der Entladung." Daher begrüßte er die Bestrebung, ein flexibles Zeitfenster einzurichten. "Starre Zeitfenster sind schwierig für die Spediteure", bestätigte auch Frank Michalk von Logenios, einer Plattform, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Schnittstellen der unterschiedlichen Transportmanagementsysteme in den Unternehmen zu verbinden. Eine Dynamisierung sei der richtige Weg. Neben der Einhaltung der Zeitfenster kämpfen die Spediteure aber auch mit organisatorischen Hürden. "Unsere Disponenten können kaum planen. Sie buchen mehrere Zeitfenster in der Hoffnung, dass sie ein geeignetes erwischen. Bei uns macht eine Person fast nichts anderes mehr, als sich um Zeitfensterbuchungen zu kümmern", sagte Ferdinand Menn, Geschäftsführer der Spedition Menn in Kreuztal. Kloppert zeigte Verständnis: "Wir wissen um die Probleme und wollen daher ja auch die Zeitfenster dynamisieren." Am besten wäre es, so sein Vorschlag, die Fahrzeuge zu dynamisieren. Will heißen, TKSE könnte die Lkw dann orten und wüsste bereits während deren Anfahrt, ob und wenn ja, welche Verspätung die Fahrzeuge haben. Eines stellte Kloppert jedoch klar: "Wir wollen nicht mehr von den Zeitfenstern lassen. Nur so sind wir in der Lage, die Prozesse überhaupt zu steuern." Noch gibt es also keine einvernehmliche Lösung. Hier brennt immer noch ein Feuer, auf das die Akteure weiterhin ein Auge haben werden. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Deutsche Stahlindustrie unter Druck Stahlhersteller spüren die höheren US-ZölleDie Stahlindustrie in Deutschland befindet sich in einer schwierigen Lage."Die Unternehmen in Deutschland sehen sich wachsenden Risiken bei der konjunkturellen Entwicklung gegenüber", sagte Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, auf dem 19. Netzwerkforum Stahl. Er zählte verschiedene Ursachen auf. Eine sei die rückläufige Nachfrage. Exemplarisch nannte er die Autoindustrie, die nicht zuletzt aufgrund des Dieselskandals Absatzschwierigkeiten habe. Die Folge: Die Rohstahlproduktion in Deutschland ist rückläufig. 2018 sank der Ausstoß von 43,4 Millionen Tonnen im Vorjahr auf 42,4 Millionen Tonnen (-2,0 Prozent). Im ersten Quartal 2019 betrug der Rückgang laut Theuringer sogar 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.Ein weiterer Grund ist die Handelspolitik der USA. Das Land hat Zollerhöhungen beschlossen, von denen jetzt fast 80 Prozent der US-Importe 2017 betroffen sind. Dabei ist weniger von Bedeutung, dass davon auch deutscher Stahl betroffen ist."Viel bedeutsamer ist, dass es Umleitungseffekte gibt, von denen der einzige frei zugängliche Markt - Europa - besonders betroffen ist", so Theuringer. Während in den USA die Importmengen 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 3,6 Millionen Tonnen rückläufig waren, sind sie in der EU um 4,5 Millionen Tonnen gestiegen.Deshalb hat die EU sogenannte Safeguard-Maßnahmen beschlossen. Doch anders als die Zölle der USA stimmen die Schutzklauselmaßnahmen der EU mit den Richtlinien der Welthandelsorganisation überein, sind weniger hoch und lassen zahlreiche Ausnahmen zu. Für Theuringer jedenfalls gibt es keine Zweifel: "Die konsequente Anwendung der Handelsschutzregeln sind unverzichtbar - gerade auch in der aktuellen Lage." cd

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