Verkehr muss für CO2

InterviewVerkehr muss für CO2 Ausstoß zahlenDem Zwei-Grad-Ziel ordnet er alles unter: Warum der Wissenschaftler Professor Franz Josef Radermacher gegen die Atomwende ist, aber für eine Verteuerung des Kraftstoffes auf fünf Euro und gegen einen Emissionshandel im Güterverkehr. Ein Interview mit dem Mitglied des Club of Rome.Fliegen Sie in Zeiten des Klimawandels noch? Ja, sogar ziemlich häufig. Jeder, der aus beruflichen Gründen fliegt, muss deshalb aber kein schlechtes Gewissen haben. Das Problem des Klimawandels ist ohnehin nur global lösbar. Individuelle Sparaktionen sind vergleichsweise wirkungslos. Die Staaten dieser Welt müssen einen adäquaten Kompromiss finden. Wie muss dieser Kompromiss aussehen?Um den Klimawandel zu bewältigen, darf die globale Erwärmung bis 2050 nicht mehr als zwei Grad betragen. Der entscheidende Hebel dazu liegt in globaler Kooperation. Dabei müssen sich die entwickelten Länder im Ressourcenverbrauch zunehmend zurückhalten und die anderen Staaten finanziell unterstützen, damit diese nur noch wenig zulegen. Es geht dabei nicht um Verzicht auf Wohlstand, sondern um einen Weg zu besserer Technologie und einen anderen Lebensstil. Aber bisher hat der Fortschritt immer zu mehr Ressourcenverbrauch geführt.So ist es – der sogenannte Bumerang-Effekt. Wir haben leider den Gesamt-Ressourcenverbrauch nicht limitiert. Aber genau das muss geschehen – eine Deckelung des Verbrauchs. Bis 2050 müssen die jährlichen Klimagasemissionen in die Atmosphäre auf ein Drittel im Vergleich zu heute verringert werden – sonst verfehlen wir das Zwei-Grad-Ziel. Machbar wäre das mit einem globalen Klimaregime unter Nutzung innovativer Technologien und massiver, weltweiter Aufforstung, einer höheren Bepreisung des Verbrauchs fossiler Energien etc. Ist eine weltweite Kooperation realistisch? Das ist zumindest eine Chance. Aus logischer Sicht ist jedenfalls klar, was zu tun ist. Wenn Sie nicht gegen einen Baum fahren wollen, müssen Sie zumindest versuchen zu bremsen oder diesem auszuweichen. Gelingt das nicht, wird es unangenehm. Aber selbst das hat manchmal etwas Gutes – man hat die Chance, dazuzulernen. Die Menschheit lernt vor allem aus Katastrophen, wie auch die jüngste Finanzkrise zeigt. Nach dem Crash arbeiten die Staaten endlich mehr zusammen, um zukünftige Katastrophen zu verhindern, auch wenn das immer noch nicht ausreicht. Beim Klimaschutz sind ebenfalls Fortschritte zu sehen. In Kopenhagen und Cancún haben sich die Staaten der Welt unter Federführung der USA und China auf einen Grundkonsens einer zukünftigen Vereinbarung geeinigt. Müsste die Welt zur Vermeidung der CO2-Emissionen nicht verstärkt auf Atomkraft setzen?Langfristig müssen wir von der Atomkraft wegkommen, da die Risiken zu hoch sind. Denken Sie nur an das entstehende Waffenmaterial, die Terrorgefahr oder die Entsorgungsproblematik. Aber die entscheidende Frage im Zusammenhang mit der Klimaproblematik ist die Zeitfrage. Hier halte ich in einer langfristigen Perspektive die Bedrohung durch den Klimawandel für sehr viel größer als die Risiken aus dem temporären Weiterbetreiben von Atomkraftwerken. Dann ist die vor Kurzem in Deutschland beschlossene Energiewende mit dem vorgezogenen Atomausstieg also ein Fehler?In ihrer Kurzfristigkeit – eher ja: Die Energieform, die die Atomkraft ersetzt, wird jetzt vor allem die Kohle sein. Damit verschärfen wir das Klimaproblem: Die Energiewende wird zu einer Erhöhung der direkten Klimagasemissionen Deutschlands führen – und Deutschland hat ohnehin schon sehr hohe Pro-Kopf-Emissionswerte. Was wäre der richtige Ausstiegstermin?Der ursprüngliche schwarz-gelbe Kompromiss war aus meiner Sicht eine tragfähige Lösung. Die zusätzlichen Profite aus der Verlängerung der Laufzeiten wären zum größten Teil auf die öffentliche Seite gelenkt worden und man hätte damit die Forschung zu erneuerbaren Energien ausbauen und die Umsetzung querfinanzieren können. Ist Energie in Deutschland denn grundsätzlich zu billig?Die Antwort hängt davon ab, was der Staat mit dem Geld macht, das er über eine höhere Energiebesteuerung einnimmt. Wird damit ein sozialer Ausgleich finanziert, hat das den Vorteil, dass Energie trotz Verteuerung nicht nur den Reichen zur Verfügung steht. Jeder kann für sich entscheiden, ob er das rückerstattete Geld nicht doch lieber in andere Dinge als Energieverbrauch investiert. Verzichtet man auf die Ausgleichskomponente, treten Verhältnisse wie bei der Welternährung auf. Grundsätzlich haben wir genug zu essen für die ganze Welt. Leider jedoch kauft sich der reiche Teil der Welt die Nahrung als Nahrung für Tiere oder als Basis für Kraftstoff, während ein anderer Teil hungern muss. Und das ist eine Folge extremer Kaufkraftunterschiede. Deshalb können wir das Klimaproblem nicht einfach durch Preiserhöhungen lösen. Dies würde primär zu- lasten der ärmeren Schichten gehen. Das wäre die ökodiktatorische Dimension einer einseitigen Klimapolitik, die wir Brasilianisierung nennen und die zu verhindern ist. Man darf die ökologische Frage nicht primär zulasten der sozialen Frage regeln. Es gab ja mal die Forderung der Grünen 1998, der Sprit müsste fünf Mark kosten.Ja, und sie hatten damit recht – in mittelfristiger Perspektive. Wichtig ist aber die sozial ausgewogene Rückgabe der zusätzlichen Steuermittel – dies ist Teil der Idee einer ökologischen Steuerreform, die ohnehin überfällig ist. Wie hoch wäre denn heute der richtige Preis für einen Liter Kraftstoff?Das Automobil ist ein extrem leistungsfähiges System, das die Lebensqualität dramatisch verbessern kann. Wenn das Auto bezahlt ist, ist Mobilität mit einem Auto sehr preiswert im Verhältnis zu seinen hohen Leistungspotenzialen. Bevor man an den Punkt kommt, Menschen dazu zu bringen, diese Optionen aufzugeben, muss man in Richtung fünf Euro pro Liter gehen. Das Geld muss der Staat in substanziellem Umfang sozial ausgewogen zurückgeben. Das wäre also zugunsten des Klimas die richtige Strategie?Im Rahmen eines abgestimmten internationalen Pakets: ja. Der technische Fortschritt sorgt übrigens dafür, dass Autos bei gemäßigter Fahrweise deutlich weniger Kraftstoff verbrauchen als früher. So wird ein Teil der fünf Euro durch eine höhere Effizienz kompensiert. Der Rest ist zu zahlen. In der Politik ist eine solche Weiterentwicklung der Ökosteuer derzeit aber kein Thema.Der Atomunfall in Fukushima hat die Aufmerksamkeit einseitig auf die Atomdebatte gelenkt. Das größte Energie- und Umweltproblem auf der Erde ist aktuell jedoch der Klimawandel. Hier drohen Tragödien und ein hoher Wohlstandsverlust. Welche Folgen hat der Weltklimawandel für die Transportbranche?Wenn wir es richtig machen, wird irgendwann der Verkehr langsamer wachsen als der Wohlstand. Heute ist es umgekehrt. Es kann aber nicht sein, dass der Transport immer mehr Raum einfordert. Hier ist Balance zu finden, wie in unserem Körper. Der besteht auch nicht nur aus Adern, so wichtig der Bluttransport ist. Übrigens: Das heute zu große Güterverkehrswachstum ist auch dadurch bedingt, dass die wahren Kosten des Verkehrs für die Gesellschaft – die externen Kosten – nicht adäquat in Rechnung gestellt werden. Dazu zählt auch der CO2-Ausstoß. Eine falsche Entwicklung also? In der Tendenz ja. Obwohl dieser Prozess auch viel Positives bewirkt, für Wohlstand, für Partizipation, aber leider zulasten der Umwelt. Irgendwann ist das Rad überdreht. Der Transportumfang ist zu optimieren, so wie andere Prozesse auch.Wie sollten die Prozesse für den Transport aussehen? Die Anrechnung externer Kosten sollte bewirken, dass Güter niedriger Wertschöpfung im Nahbereich produziert und nur Güter höchster Wertschöpfung um die ganze Welt transportiert werden. Zugleich müssen sich die Lohn- und Besteuerungsniveaus weltweit anpassen. Wird damit das Rad der Globalisierung zurückgedreht?Nein. Und selbst wenn der Verkehr irgendwann weniger rasch wächst als die Weltwirtschaftsleistung, bedeutet das nicht das Ende der Globalisierung, sondern nur die Korrektur einer auf Dauer nicht durchhaltbaren Entwicklung. Ist ein Emissionshandel für den Straßengüterverkehr sinnvoll?Ich bin kein Freund solcher branchenbezogenen Lösungen. Jede sektorale Zuordnung von Zielen im Klimaschutz ist ökonomisch betrachtet schlechter, als wenn der weltweite Emissionsausstoß unter einer „Gesamtglocke / Cap“ optimiert wird. Wenn Menschen lieber zu Hause nicht mehr heizen und stattdessen lieber Auto fahren wollen, soll man ihnen diese Entscheidungsfreiheit lassen. Für den Verkehr einen eigenen Emissionshandel zu installieren, ist ein bürokratischer Albtraum. Aber dennoch ist dies besser, als gar nichts zu tun, wenn wir mit einer ganzheitlichen Lösung nicht vorankommen.Im Verkehrsgewerbe mehren sich die Angebote klimaneutraler Transporte. Sind solche Angebote sinnvoll oder nur der Tropfen auf den heißen Stein?Ich bin ein starker Verfechter der Klimaneutralität. Viele Organisationen, Unternehmen und Individuen arbeiten daran, ihre Aktivitäten klimaneutral zu stellen. Klimaneutralität bedeutet, dass ich für von mir erzeugte Emissionen im Gegenzug dafür sorge, dass Emissionen an anderer Stelle in gleichem oder größerem Umfang nicht entstehen beziehungsweise der Atmosphäre entzogen werden. Man könnte Zertifikate des europäischen Klimaregimes kaufen und diese stilllegen oder in Afrika Aufforstung finanzieren. Das wird das Weltklimaproblem nicht lösen, wenn woanders auf der Welt munter weiter CO2 in die Luft gepustet wird, ohne diese Prozesse zu neutralisieren. Und natürlich gibt es Volumengrenzen für Neutralisierung. Aber die Bereitschaft zur Klimaneutralität und dafür zu zahlen, ist dennoch ein entscheidender Hebel zu einem funktionierenden, weltweiten Klimaregime, wenn die Politik dafür die Voraussetzungen schafft. In der Theorie hört sich alles einfach an …Es kommt noch etwas dazu. Das Motto muss heißen: Einmal Klimaschutz ist nicht genug. Für den Spediteur würde das bedeuten: Er kauft das umweltfreundlichste Auto. Damit treibt er die Technik in die richtige Richtung. Dann neutralisiert er alle seine Emissionen mittels weltweiter Aufforstung. Und dann zahlt er nochmals seine Emissionen und legt dafür Zertifikate still. Wer das tut, dem kann man nichts mehr vorwerfen.Er muss dann aber auch entsprechende Preise im Markt umsetzen können.Das funktioniert sicher nicht überall, aber immer öfter. Viele Dax-Unternehmen, die unter kritischer Beobachtung der Öffentlichkeit stehen, publizieren jedes Jahr ihr CO2-Budget. Diese Firmen lassen konsequenterweise ihre Mitarbeiter klimaneutral reisen und werden früher oder später auch die Gütertransporte klimaneutral abwickeln. Das wird allerdings zunächst bei den Zulieferern, die nicht so unter öffentlicher Beobachtung stehen, nicht der Fall sein. Sind Sie eher Optimist oder Pessimist, was die Rettung des Planeten betrifft? Ich glaube, dass wir mit 15 Prozent Wahrscheinlichkeit in einem ökologischen Kollaps enden werden, mit 50 Prozent in der Brasilianisierung der Welt und mit nur 35 Prozent Wahrscheinlichkeit in der klugen Welt einer ökonomischen und sozialen Balance. Aber keiner der drei Fälle ist das Ende der Welt. Selbst im Falle eines Öko-Kollaps leben die meisten Menschen weiter, nur sehr viel schlechter als heute. Und unter den Bedingungen der Brasilianisierung gibt es auch keinen Weltuntergang. Nur geht es der Mehrzahl der Menschen deutlich schlechter als heute. Wir können aber auch eine schöne Welt für 10 Milliarden Menschen haben. Ob uns das gelingt, hängt wesentlich ab von der Einsichtsfähigkeit der Staatenwelt, der zuständigen Politiker und der Menschen, die diese Politiker wählen. ❙❚■ Michael Cordes, Tobias RauserHeißes Klima im Getreidefeld: Prof. Franz Josef Radermacher im Gespräch mit den VR-Redakteuren Tobias Rauser (links) und Michael CordesInterviewVitaGrenzen des Wachstums: Mit diesem Buch er-regte der Club of Rome in den Siebzigerjahren Aufsehen. Seitdem gilt die Organisation als ein angesehenes Gremium, das sich disziplinübergreifend mit Zukunftsfragen der Menschheit befasst. Die Mitglieder werden berufen.Radermacher, Jahrgang 1950, erhielt die Berufung 2002. All seine Mitgliedschaften in diversen Vereinigungen und Beiräten aufzuführen, würde den Platz sprengen. Der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler ist unter anderem Präsident des Senats der Wirtschaft in Bonn, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (seit 2000) und war zwischen 2002 und Mai 2011 Mitglied im Beirat der Deutschen Bahn (DB) Radermacher ist verheiratet und Vater eines Sohnes. In seiner knapp bemessenen Freizeit fährt er gerne Rennrad und erklimmt beispielsweise den Mont Ventoux (1912 Meter). cdInterviewInterview

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