Unter den Möglichkeiten

Der KV gilt als Lieblingskind im Transport - zumindest in der breiten Öffentlichkeit und in der Politik. Was aber auch nicht weiter schwer ist, haftet dem Lkw in der Bevölkerung doch das Image eines Schmuddelkindes an, der für Staus sorgt und den man am liebsten von der Straße verbannen möchte - auch wenn dieser Laster zum Beispiel gerade die Schuhe befördert, die man gestern erst im Internet bestellt hat. 2017 ein schwarzes Jahr für den KV Bis 2017 konnte der KV den Erwartungen insofern gerecht werden, als dieses Segment immer stärker zunahm als der Verkehr auf der Straße. Doch im vergangenen Jahr dann der Einbruch. Der KV wächst nicht mehr, er verliert: 4,4 Prozent bei der Verkehrsleistung, sogar 4,7 Prozent beim Aufkommen, wie das Bundesamt für Güterverkehr BAG aktuell mitteilt. Stößt also der KV an seine Grenzen? Betrachtet man die Zahlen bei Europas größter Güterbahn - DB Cargo -, ist man geneigt, diese Frage zu bejahen. "Im kontinentalen Verkehr hatten wir im ersten Halbjahr leichte Rückgänge zu verzeichnen", wirft Raimund Stüer, Vorstand Vertrieb bei DB Cargo, einen Blick auf die Zahlen im KV. Als Grund nennt er unter anderem den Streik bei der französischen Bahn SNCF. "Leicht positiv haben sich die maritimen Transporte entwickelt, sodass wir uns in Summe auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahreshalbjahr befinden", so Stüer gegenüber der VerkehrsRundschau. Die Privatbahnen haben in der Vergangenheit häufig besser abgeschnitten. Das trifft im ersten Halbjahr 2018 auch für TX Logistik zu, die zur Mercitalia gehört, eine Güterverkehrstochter der italienischen Staatsbahn FS: "Im Trailergeschäft haben wir eine Zunahme im ersten Halbjahr 2018 in Höhe von 14 Prozent, maritim betrug das Plus sogar 19 Prozent", sagt Mirko Pahl, Vorstandsvorsitzender von TX Logistik. Für das Wachstum ist laut Pahl "ein breiter Mix von Faktoren" verantwortlich. Unter anderem bietet TX Logistik jetzt auch Verkehre in der Schweiz an, hat aber auch auf anderen Routen Neuverkehre aufgesetzt. In der Analyse des Marktes sind sich beide Bahnexperten einig: Die Nachfrage ist da, aber gravierende Engpässe führen dazu, dass die Schiene unter ihren Möglichkeiten bleibt. Ähnlich sieht es Carsten Hemme, Geschäftsführer der Spedition Paneuropa, einer der größten Kunden bei Kombiverkehr. "Die Maut, der Fahrermangel, die steigenden Dieselpreise: alles Argumente, die für die Schiene sprechen und die für eine Renaissance des KV sorgen werden", sagt Hemme. Im selben Atemzug schränkt er ein: Derzeit gäbe es kaum Platz auf den Intermodal-Zügen. "Wir bei Paneuropa können unseren Kunden aktuell zumindest in die Ballungszentren keine weiteren Kapazitäten anbieten", lautet die wenig erfreuliche Botschaft. Engpass für den Italien-Spezialisten sind vor allem die Terminals. "Zumindest in den Ballungszentren wie nach Verona finden wir keine oder kaum noch Slots. Und wir können auch nicht andere KV-Anlagen anfahren, weil dort die Kunden nicht hinwollen", erklärt Hemme. Dass aber der Trend zum KV anhält, vereutlichen Neuverkehre aus den vergangenen Wochen. So realisiert seit Anfang Mai die Spedition Schuon für einen Kunden aus der Automobilindustrie die Lagerlogistik, den Straßentransport und auch ein neues Door-to-Door-Konzept. Zwischen Stuttgart und Bremen erfolgt je Richtung täglich eine Verladung im KV. Ein anderes Beispiel ist die Spedition LIT. Gemeinsam mit Captrain Deutschland versorgt das Braker Unternehmen seit dem 1. Juni 2018 das Werk von Volkswagen in Emden per Bahn mit Fahrzeugteilen. Dazu werden die bisher auf der Straße transportierten Mengen von Lieferanten aus Tschechien, Polen, Sachsen und Thüringen in Dresden gesammelt und dann in Wechselbrücken per Bahn nach Emden gebracht. Geplant sind drei Abfahrten pro Woche. Ein Zufall, dass diese Beispiele den nationalen Verkehr betreffen? Eher nicht. Denn hier liefern auch die vom BAG veröffentlichten Zahlen einen eindrucksvollen Beleg: Um 7,6 Prozent ist die Verkehrsleistung im nationalen KV 2017 gestiegen, um 12,3 Prozent sogar das Aufkommen. International hingegen gab es sowohl bei den grenzüberschreitenden wie auch bei den Durchgangsverkehren spürbare Verluste zwischen 4,4 und 6,7 Prozent. Und das, obwohl doch gerade die langströmigen Transporte als ideal angesehen werden für eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene. Aber: Die internationalen Verkehre gelten auch als anfälliger. Unterschiedliche technische Systeme und Anforderungen an den Bahnbetrieb machen diese Transporte komplizierter. Zudem gibt es international - gerade im Alpentransit - zum Teil massive Beeinträchtigungen. So findet Hemme für seine Verkehre nicht nur keine Slots in den Terminals. "Wir haben mit einer fehlenden Pünktlichkeit zu kämpfen über den Brenner aufgrund von Baustellen und fehlenden Lokführern", sagt der Spediteur (siehe dazu auch Interview Seite 32). "Von einer Pünktlichkeit von 85 Prozent, die wir im gesamten Netz brauchen, sind wir deutlich entfernt, derzeit bei 60 bis 65 Prozent." Zudem seien einige Züge komplett ausgefallen. Auch Pahl zeigt sich mit der Qualität im ersten Halbjahr 2018 im Transit über den Brenner nicht zufrieden. Seit Dezember 2017 bis jetzt würden Bautätigkeiten dafür sorgen, dass die Strecke in fünf Nächten der Woche jeweils für fünf, sechs Stunden gesperrt ist. Zudem würden nach wie vor Flüchtlingskontrollen die Abläufe zum Teil massiv beeinträchtigen. "Wir kämpfen jeden Tag um eine gute Qualität. Die hat sich seit Juni verbessert, war aber gerade im ersten Quartal 2018 nicht zufriedenstellend", sagt Pahl. Einen Silberstreif sieht auch Hemme: Einzelne Verbindungen würden mittlerweile wieder sehr stabil und auf einem guten Pünktlichkeitsniveau von über 80 Prozent laufen. Bahnen wie DB Cargo leiden unter den negativen Einflüssen. Stüer nennt hier auch den mehrwöchigen Streik der Eisenbahngewerkschaft in Frankreich im ersten Halbjahr 2018. "Der hat dazu geführt, dass einige Großkunden, die ihre Transporte auf die Schiene schicken wollten, das Volumen reduziert oder den Start verzögert haben. Solche Sperrungen und Streiks sind Tiefschläge für unsere Industrie", sagt Stüer. Eine Aussage, die Hemme teilt. Ihm war es erstmals gelungen, Kunden davon zu überzeugen, Kühlauflieger im KV zu befördern. "Die Kunden haben uns und der Schiene zwei, drei Chancen gegeben. Aber aufgrund der fehlenden Pünktlichkeit im KV sind die Auflieger jetzt wieder komplett auf der Straße gelandet", sagt Hemme. Und die Erfahrungen waren so prägend, dass er auch keine Chance sieht, diese Transporte auf absehbare Zeit wieder auf die Bahn zu bringen. DB Cargo rechnet 2019 mit Wachstum Trotz dieser Probleme ist die Nachfrage nach KV-Transporten nach wie vor groß. "Die steigende Belastung durch die Maut, höhere Dieselpreise und fehlende Lkw-Fahrer veranlassen immer mehr Unternehmen, über einen Transport per Bahn nachzudenken", sagt Hemme. Dem trägt DB Cargo Rechnung und investiert (siehe Interview Seite 32). "Ein Wachstumskurs ist fest eingeplant", sagt Stüer. Doch mit mehr Mengen rechnet er erst 2019: "Wir werden sicherlich den Start des einen oder anderen Neugeschäftes im zweiten Halbjahr 2018 haben. Aber Neugeschäfte bei der Bahn sind häufig mit dem Fahrplanwechsel Mitte Dezember verbunden." Die Akteure versuchen, mit verschiedenen Maßnahmen die Schiene attraktiver zu machen (siehe Interview Seite 31). Bei DB Cargo gibt es Planungen, mehr achsenbezogene Angebote den Kunden zu unterbreiten. "Wir sind dabei, auf wichtigen europäischen Korridoren umfassende Komplettangebote anzubieten. Wir starten auf der Achse Deutschland - Frankreich - Spanien sowie Benelux - Deutschland - Polen. Dasselbe haben wir auf der Nord-Süd-Achse zwischen Skandinavien und Italien sowie von und zu den Westhäfen vor", kündigt Stüer gegenüber der VerkehrsRundschau an. Die KV-Akteure setzen aber auch darauf, dass seitens der Politik die Rahmenbedingungen verbessert werden. Die beschlossene Trassenpreissenkung ist ein Beispiel dafür. Die neue EU-Richtlinie zum Kombinierten Verkehr ein anderes. Hier zeigt sich Hemme besorgt: "Ich hoffe, dass die Kommission vor allem beim Vor- und Nachlauf zu den Terminals marktgerechte, also praktikable Regelungen aufnimmt, die uns den Transport eher erleichtern als erschweren." Ralf Charley Schultze, Präsident der UIRR (Internationale Vereinigung für den Kombinierten Verkehr Schiene-Straße), sieht hingegen die Richtlinie zum KV auf einem guten Weg: "Im Vergleich zu dem ersten Vorschlag der Kommission ist diese Version des Verkehrsausschusses eine deutliche Verbesserung", begrüßt der KV-Experte den Entwurf der Richtlinie. Neue KV-Richtlinie sorgt für Klarheit Gerade bei dem Thema "Vor- und Nachlauf" hat er Verbesserungen festgestellt. "Es ist klar definiert, dass man sich im Umkreis von 150 Kilometern das Terminal aussuchen kann. Zugleich gibt es Ausnahmen, wenn das Terminal nicht geeignet ist. Dann muss der Akteur einen entsprechenden Nachweis liefern", sagt Schultze. Vielleicht sorgt ja auch diese Regelung dafür, dass die von der Bevölkerung und der Politik gewünschte Verlagerung erfolgt und mehr Platz auf den Straßen geschaffen wird. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Rail Cargo www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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