"Uns brennt nicht der Kittel"

Seit Jahresanfang sind Sie, Herr Magnor, neuer CEO Germany Surface & Contract Logistics von Hellmann Worldwide Logistics. Wie sehen Sie Ihre neue Rolle? Matthias Magnor: Ich bin seit zwölf Jahren in dem Unternehmen tätig. Ich kenne die Stärken und Schwächen und Alleinstellungsmerkmale der Hellmann-Organisation sehr genau, an welchen Stellen wir etwas drehen und noch besser werden müssen. Ich kann aber auf ein hervorragendes Mitarbeiternetz zurückgreifen. Das hilft sehr, zumal Deutschland mit rund 700 Millionen Euro Umsatz die größte Hellmann-Landesorganisation ist, in der ich nun die Sparten Straße und Schiene, KEP und Kontraktlogistik, nicht aber See- und Luftfracht, verantworte. Wie unabhängig können Sie überhaupt agieren? Über Ihnen stehen ja mit Jost Hellmann, Klaus Hellmann und Thomas Knecht drei Geschäftsführer und das neu geschaffene "Executive Board" mit drei "Produkt-CEO", in dem unter anderem Jürgen Burger den Landverkehr global verantwortet. Magnor: In einer globalen Organisation haben Sie immer Organisationseinheiten, an die Sie berichten müssen. Nicht zuletzt Geschäftsführer immer dem Gesellschafter, einem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung. Das ist nichts Ungewöhnliches. Im Rahmen meiner Befugnisse werde ich aber natürlich eigenständig agieren und entscheiden können. Ich habe allerdings nicht die Intention, Alleingänge zu starten. Diese Entscheidungen werden in enger Abstimmung mit unserem Executive Board und unseren beiden Inhabern erfolgen. Kann man Hellmann angesichts der neuen Führungsstruktur noch als Familienunternehmen bezeichnen oder ist es inzwischen ein Konzern, der noch in Familienhand ist? Magnor: Hellmann ist nach wie vor eindeutig ein Familienunternehmen. Darauf sind wir zu Recht stolz. Das hebt uns ab - auch von Mitbewerbern. Selbst wenn wir uns nun teilweise neue Strukturen geben, sind und bleiben wir ein Familienunternehmen. Was ist passiert, dass man zum Jahreswechsel gleich die gesamte Führungsmannschaft komplett umgekrempelt hat? Jürgen Burger: Wie Klaus Hellmann vor zwei Jahren sagte: Bei uns steht der Generationenwechsel an. Deshalb haben die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Jost und Klaus Hellmann schrittweise an Personen übergeben, die über die entsprechenden betriebswirtschaftlichen und speditionellen Kompetenzen oder auch die entsprechenden Verbindungen verfügen. Wir leiten damit den Generationenwechsel in unserem Unternehmen ein. Sie sprechen von Generationenwechsel. Mit Thomas Knecht hat man aber sicher nicht umsonst einen ausgewiesenen Restrukturierungsexperten ins Haus geholt! Burger: Thomas Knecht verfügt in der Tat über sehr viel betriebswirtschaftliches und organisatorisches Know-how, das man auch als Familienunternehmen immer braucht. Thomas Knecht spielt daher für uns eine sehr wichtige Rolle, um die Organisation schlanker und effizienter zu machen. Konkret gefragt: Hat Hellmann ein Ertragsproblem? Burger: Es gibt natürlich wie in jedem Unternehmen Produkte und Länder, wo es Luft nach oben gibt - und ich glaube, das gilt für jeden global tätigen Logistikdienstleister. Unsere Geschäfte in Asien laufen sehr gut, in Nahost laufen sie gut und in Teilen von Südamerika. Probleme haben wir in Brasilien und auch die US-Organisation muss sich in den nächsten Jahren verbessern, daran wird gearbeitet. Insgesamt hat die interkontinentale Luft- und Seefracht aber überproportional im Bruttonutzen dazu gewonnen. Und natürlich haben wir in Deutschland, wie viele unserer Mitbewerber, Bereiche, in denen die Erträge besser sein müssen, was auch dem Marktumfeld geschuldet ist. Insgesamt arbeiten wir im Team an der ganzheitlichen Optimierung und Verbesserung, die sich auch in den Zahlen niederschlagen soll. Dann legen Sie doch mal die Zahlen auf den Tisch: Wie hat sich Hellmann im vergangenen Jahr entwickelt? Burger: Unsere finalen Jahreszahlen haben wir erst im zweiten Quartal vorliegen. Ich möchte auch nur über meinen Bereich sprechen. Wir dürften aber im Landverkehr, der rund ein Drittel des Umsatzanteils ausmacht, ein deutlich besseres Ergebnis als in den Vorjahren erzielt haben - trotz leicht rückläufiger Sendungsmengen. Eine gute Entwicklung sehen wir im internationalen Ladungsverkehr und im Rail Eurasia Geschäft, die Zugverbindung zwischen Europa und Asien. Magnor: In der Kontraktlogistik, mit der wir rund zehn Prozent unseres Umsatzes hierzulande erwirtschaften, haben wir in 2015 sogar so viele interessante Projekte gewonnen, dass wir fast den "Annahme-Stopp" verkünden mussten. Zudem hat sich die neu geschaffene Sparte KEP unter neuer Führung positiv entwickelt. Es war richtig, diesen Bereich unabhängig vom speditionellen Geschäft zu positionieren. Die Geschäftsleitung Air- und Seafreight ist in Deutschland ebenfalls mit der Entwicklung zufrieden. Mit dem abgelaufenen Geschäftsjahr sind wir also zufrieden - gerade mit unserer Ertragsentwicklung. Um diesen Turnaround im Landverkehr in Deutschland zu schaffen, haben wir aber noch einiges zu tun. Was tun Sie für diesen Turnaround im Ergebnis konkret? Burger: Im Landverkehr haben wir in den vergangenen Jahren den gesamten Regional- und Fernverkehr in Angriff genommen. Zudem beschäftigten uns Gebietsüberarbeitungen, Maßnahmen zur Optimierung des Regionalverkehrs und der Einsatz neuer IT-Tools schon mehrere Jahre und werden uns weiter beschäftigen. Auch unsere Gebiets-Zuschnitte in den einzelnen Regionen haben wir fallweise neu justiert. Alles das trägt dazu bei, dass wir unseren Ertrag in 2015 deutlich steigern konnten. Zusätzliche Dynamik brachte vor allem die Neuausrichtung unserer Führungsstruktur, gerade in Deutschland. Wir haben dafür neue Ressort-Verantwortlichkeiten in den Sparten Straße und Schiene (Landverkehr), KEP und Kontraktlogistik geschaffen. Durch diese neue Struktur haben wir, gerade in der Kontraktlogistik und im Stückgut, einen stärkeren Fokus auf die Produkte und gleichzeitig flachere Hierarchien, weil wir mit der klassischen Gebietsdenke aufgeräumt haben. Die jeweiligen Ressort-Manager, die das Ergebnis ihrer Sparte verantworten, sind für die Einheit in Deutschland verantwortlich, die produktübergreifenden Verantwortlichkeiten haben wir aufgelöst. Magnor: Wichtiger Schritt war auch, dass wir unseren Vertrieb in Deutschland neu aufgestellt haben. Bislang war der Vertrieb zentral aufgestellt. Fachlich ist er dort neben dem Key Account Management zwar nach wie vor angesiedelt; die disziplinarische Verantwortung für den Flächenvertrieb haben wir aber in diesem Jahr den Niederlassungen in die Hand gegeben. Diese können also selbst steuern, welchen Erfolg sie vor Ort haben. Das sind zwar Einschnitte, aber die ersten Früchte der neuen Struktur zeigen sich, wie die Geschäftszahlen zeigen. Im Ihrem Stückgutgeschäft in Deutschland hat sich dieser Erfolg aber offenbar noch nicht niedergeschlagen. Dort sollen die Ertragsprobleme massiv sein. "Bei Hellmann brennt die Hütte", heißt es im Markt. Magnor: Weder mir noch meinen Kollegen brennt der Kittel (lacht). Richtig ist, dass wir unendliche Potenziale haben, im nationalen Stückgut viel besser zu werden. Ich habe ganz viel Enthusiasmus und viele tolle Ideen aus den Gesprächen mit unseren Mitarbeitern mitgenommen und bin sehr positiv gestimmt. Das werden wir jetzt angehen. Das ist die Aufgabenstellung. Wir werden jetzt einfach die dafür notwendigen Entscheidungen treffen. Was planen Sie da genau? Magnor: Wir drehen derzeit die gesamte Organisation unseres Deutschland-Geschäfts um 90 Grad, wie Jürgen Burger gerade ausgeführt hat. Darüber hinaus stehen noch einige Restrukturierungsthemen an. Denn wir müssen und werden unsere Ertragsstärke weiter deutlich steigern. Dafür schauen wir uns in diesem Jahr zum Beispiel den Overhead in unserer Unternehmenszentrale in Osnabrück sehr genau an. Der Wertbeitrag, den eine Zentralabteilung abliefert, muss für eine Niederlassung klar erkennbar sein und geleistet werden. Das ist in diesem Jahr ein wichtiges Ziel. Sie sprechen von Restrukturierung: Müssen Sie dafür Mitarbeiter abbauen? Wenn ja, wie viele? Burger: Wir haben derzeit wie in jedem Unternehmen eine natürliche Fluktuationsrate. In einigen Landverkehrsstationen werden wir sorgfältig prüfen, ob eine Nachbesetzung notwendig ist. Es gibt auch Bereiche in Deutschland, in den wir uns personell verstärken müssen. Aber natürlich haben sich im vergangenen Jahr, im Zuge unserer Gebiets-Neuarrondierung, Mengen in den einzelnen Standorten verschoben. Unser Geschäft ist dynamisch und auch in der Zentrale überarbeiten wir ständig unsere Strukturen. Das hat vereinzelt auch Mitarbeiter getroffen. Wo drückt Hellmann im deutschen Stückgutgeschäft der Schuh? Magnor: Das Stückgutgeschäft ist eine austauschbare Dienstleistung. Es ist relativ egal, ob eine Palette in einem weißen, blauen oder gelben Lkw versandt wird. Das Geschäft ist rein preisgetrieben. Daher analysieren wir die Kostenstrukturen nun sehr genau. Als Stückgutnetz-Betreiber haben wir allerdings einen sehr großen Kostenapparat, der mit Mengen bestückt werden muss. Das war bislang unser Blick auf das Stückgutgeschäft. Die Frage ist: Wie können wir die Themen Netz und Mengen entkoppeln, was will der Kunde wirklich, wo steckt der Kundennutzen und warum arbeitet er gerade mit Hellmann? Und im zweiten Schritt prüfen wir, wie wir das abwickeln, ob wir das alles in Eigenregie erbringen wollen oder an bestimmten Stellen mit anderen Dienstleistern stärker kooperieren sollten. Apropos Kooperation: Wie zufrieden stimmt Sie noch Ihre Partnerschaft mit der System Alliance? Mittlerweile machen Hellmann ja einige Partner Ärger. So soll zum Beispiel Cretschmar im Sammelguteingang seine Preise um 50 Prozent angehoben haben. Magnor: Natürlich macht uns das nicht glücklich. Man ist in Partnerlandschaften sehr schnell dabei, Eingangsvergütungen hochzusetzen. Das ist ein "süßes Gift". Am Ende führt das nur dazu, dass das gesamte System teurer wird. Das kann nicht der richtige Weg sein. Parallel stellen sich für uns daher die Fragen: Wie könnte es sonst funktionieren? Wie schaffen wir die Produktivitäten? Ist die Ausprägung des Netzes die Richtige? Passen unsere Standorte noch? Ist ihre Größe richtig oder sollten wir zur besseren Gebietsabdeckung kleinere Niederlassungen größeren Standorten zuordnen? Alles das sind Fragen, die wir Hellmannintern und mit unseren System-Alliance-Partnern führen, die noch nicht abgeschlossen sind. Flexibilität und Agilität in puncto Netz werden künftig eine viel größere Rolle spielen, um auf Veränderungen, wie Sie sie skizziert haben, reagieren zu können. Wie viel Umsatzrendite macht Ihr Stückgutgeschäft in Deutschland? Magnor: Über unsere finanzielle Performance sprechen wir nicht öffentlich. Angeblich soll Ihre Umsatzrendite im Stückgut unter 1,5 Prozent liegen. Magnor: Wie gesagt, darüber äußern wir uns nicht öffentlich. Wie attraktiv ist für Sie überhaupt noch das Stückgutgeschäft in Deutschland? Magnor: Das Stückgutgeschäft ist nach wie vor sehr wichtig für uns. Es ist das Geschäft, mit dem Hellmann groß geworden ist. Es ist das Geschäft, mit dem wir in Deutschland zwei Drittel unseres Umsatzes machen, davon rund 90 Prozent im Bereich Road und rund 10 Prozent im Bereich Rail. Deshalb liegt uns das Stückgut sehr am Herzen und wir achten sehr genau darauf, wie wir den von Jürgen Burger beschriebenen Turnaround in diesem Segment noch besser verankern, um das Stückgutgeschäft wieder zu einem echten Rendite-Bringer zu machen. Brauchen Sie dafür noch die Kooperation System Alliance? Burger: Auf jeden Fall! An den Standorten, in denen Hellmann nicht präsent ist, unbedingt. Hellmann ist im Norden, Nordosten und Südwesten in wirtschaftsstarken Regionen Deutschlands mit eigenen Niederlassungen stark. Dazwischen decken wir unser Netz mit guten Partnern ab, etwa mit Zufall und Streck. Dank der noch engeren Integration unserer IT wachsen wir innerhalb der System Alliance sogar noch enger zusammen. Andererseits hat Partner Raben erst im vergangenen Jahr mit Heilbronn, Wuppertal und Berlin drei Standorte aus der System Alliance abgezogen. Bislang ist in solchen Fällen Hellmann stets als Feuerwehr eingesprungen. Dieses Mal nicht, warum? Burger: Ganz ehrlich: Wir waren im vergangenen Jahr zu sehr beschäftigt! Wir hatten ja in 2013 und 2014 diverse Firmenübernahmen: die Spedition Kunze an den Standorten Bielefeld, Dresden und Karlsdorf, das Honold-Stückgutgeschäft in Augsburg sowie das Joint Venture mit Lehnkering in Mannheim. Zudem haben wir über die Integration der vormaligen Elsen-Betriebe den kompletten Südwesten in unserem Netz arrondiert. Solche Integrationsaufgaben binden Management-Kapazitäten. Noch mehr Aufschaltungen auf unser Netz hätten wir nicht geschafft. Apropos Zukäufe: Was hat da Hellmann konkret vor? Burger: Geplant ist das nicht. Wenn sich aber eine passende Gelegenheit ergibt, warum nicht? Entsprechende Verkaufsangebote würden wir prüfen, vor allem wenn wir uns dadurch im Stückgut- und Expresssegment verstärken können. Plant Hellmann also doch sein eigenes Stückgutnetz in Deutschland? Burger: Wir sind und bleiben klarer Verfechter der Kooperation. Wie gesagt, dank der noch engeren Integration unserer IT wachsen wir innerhalb der System Alliance sogar noch enger zusammen. Dann verraten Sie uns zumindest, welche Umsatz- und Mengenziele Sie sich in Deutschland für 2016 gesetzt haben? Magnor: Ich gehe davon aus, dass wir unsere Umsatz-Wachstumsraten von jeweils sechs Prozent in den letzten Jahren in 2016 sogar noch überschreiten. Auch in unserer Ertragsstärke werden wir deutlich zulegen. Die Zahlen, die wir im ersten Quartal sehen, sind bislang positiv. Das zeigt, dass unsere Maßnahmen greifen, die wir in 2015 eingeleitet haben. Zudem schalten wir in diesem Jahr diverse neue Kundenprojekte in der Kontraktlogistik auf, die wir im vergangenen Jahr gewonnen haben. 2016 wird also ein richtig gutes Jahr. Was stimmt Sie da so zuversichtlich? Magnor: Zuversichtlich stimmt uns die Entwicklung im ersten Quartal. Die ersten drei Monate laufen für Hellmann gut. Interessante Wachstumspotenziale sehen wir insbesondere in der Kontraktlogistik. Der Umsatzanteil in diesem Geschäftsfeld liegt bislang nur bei zehn Prozent, also deutlich unter unseren Aktivitäten im Landverkehr, mit dem wir nach wie vor zwei Drittel unseres Umsatzes national erwirtschaften. Erhebliche Wachstumschancen sehen wir last but not least im B2C-Geschäft - im KEP-, aber auch im Stückgutsegment. Dem Thema B2C werden und müssen wir uns offensiv stellen, auch mit neuen Produkten. So viel sei an dieser Stelle verraten. Und wie und in welchen Ländern will Ihr Unternehmen im internationalen Landverkehr wachsen? Burger: Asien ist da nach wie vor sehr attraktiv, Stichwort Rail Eurasia. Gleichzeitig arbeiten wir im internationalen Landverkehr daran, weiter die Komplexität zu reduzieren. Wir arbeiten da mit zu vielen Frachtführern zusammen. Die Zahl dürfte gut vierstellig sein. Das muss auf den Prüfstand. Letztendlich kann das aber nur vor Ort und nicht zentral entschieden werden. Vita Jürgen Burger Jürgen Burger ist seit Dezember 2015 Mitglied im Executive Board des Speditionsund Logistikunternehmens Hellmann Worldwide Logistics in Osnabrück. Der 47-Jährige ist dort Chief Digital Officer, verantwortlich für E-Commerce, Information Systems und Prozessmanagement. Außerdem ist er im Executive Board CEO Land Transportation Landverkehr. Vor seiner Tätigkeit bei Hellmann absolvierte Burger eine Ausbildung zum Bankkaufmann und ein Wirtschaftsinformatik-Studium. Im Anschluss daran war er zehn Jahre lang in der Unternehmensberatung Accenture Management-Berater. eh Vita Matthias Magnor Matthias Magnor ist bei Hellmann Worldwide Logistics seit 2016 CEO Germany Surface & Contract Logistics in Deutschland mit den Ressorts Landverkehr, KEP, Kontraktlogistik und Vertrieb & Marketing. Zuvor war der 41-Jährige CEO der LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft LHBW, Geschäftsführung Projekt-Management bei Hellmann sowie Global Sourcing Product Manager von C & A. Magnor absolvierte unter anderem das European Business Programm an der Business School der University of Portsmouth UK sowie den Executive MBA in Logistics an der Universität St. Gallen/Schweiz. eh