Genf. Schlechte Luft schadet der Gesundheit stärker als lange angenommen, und die bestehenden Grenzwerte für Schadstoffbelastungen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu lasch. Sie hat ihre Richtwerte für die maximale, gesundheitlich noch vertretbare Belastung deshalb deutlich verschärft. Es geht unter anderem um Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2).
Die neuen Richtwerte seien niedriger als erwartet und das Ziel, sie zu erreichen, sei ehrgeizig, meinte Tamara Schikowski vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der Universität Düsseldorf (IUF).
Sieben Millionen Menschen sterben pro Jahr infolge von schlechter Luft
Die WHO passt die Richtwerte erstmals seit 2005 an, weil Studien gezeigt haben, wie stark die Gesundheit unter Luftverschmutzung leidet. Eine Überschreitung der neuen Grenzwerte sei mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden. Jedes Jahr sterben nach WHO-Schätzungen weltweit sieben Millionen Menschen frühzeitig infolge von Luftverschmutzung. Millionen Menschen würden gesunde Lebensjahre geraubt. Bei Kindern könne das Wachstum der Lungen gestört werden und es könnten verstärkt Asthma-Symptome auftreten. Bei Erwachsenen könne Luftverschmutzung Herzkrankheiten und Schlaganfälle begünstigen.
Die Belastung mit Stickstoffdioxid, das in Ballungsräumen vor allem aus Diesel-Autos kommt, soll statt wie bislang höchstens 40 künftig nur noch 10 Mikrogramm pro Kubikmeter betragen. Die EU erlaubt zurzeit 40. Selbst die 40er Grenze wurde in Deutschland 2019 aber noch verletzt, wie die EU-Umweltagentur EEA in Kopenhagen gerade berichtete. „Insbesondere die jährlichen Konzentrationen für NO2 sind überraschend niedrig und es wird schwer sein, diese niedrigen Werte auch in Deutschland zu erreichen“, meinte Schikowski.
Feinstaub, der in die Lunge und den Blutkreislauf eindringen kann, sei von besonderer Bedeutung, so die WHO. Er entsteht etwa durch Verbrennungsprozesse im Verkehr, in der Energiewirtschaft, Haushalten, Landwirtschaft und auf Mülldeponien. Sehr hoch sei die Belastung in Südostasien und im östlichen Mittelmeerraum, so die WHO.
EU-Richtwerte bei Feinstaub deutlich höher
Bei Feinstaub liegen die EU-Richtwerte, die auch für Deutschland gelten, deutlich höher als die WHO-Empfehlungen von 2005. Der EU-Grenzwert für Feinstaub mit Partikelgröße 2,5 Mikrometer (PM 2,5) liegt bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die WHO empfahl bislang 10 und senkte diese Zahl nun auf 5 Mikrogramm. Bei Feinstaub mit der Partikelgröße 10 Mikrometer erlaubt die EU sogar 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, während die WHO den Richtwert von 20 auf 15 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft senkt.
Nach Angaben des Umweltbundesamtes in Dessau ermittelten 2020 im Jahresmittel 83 Prozent aller Messstationen in Deutschland einen Stickstoffdioxid-Wert, der oberhalb des neuen WHO-Grenzwertes lag. Beim Feinstaub der Partikelgröße PM10 waren es demnach 36 Prozent, bei PM 2,5 ganze 99 Prozent.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte, die Luftqualität sei in Deutschland zwar in den vergangenen Jahren besser geworden. „Dennoch bleibt noch viel zu tun.“ Verbesserungen bei Feinstaub würden in den nächsten Jahren vor allem durch den Kohleausstieg, den Umstieg auf eine weniger intensive Landwirtschaft und die Verkehrswende hin zu mehr Elektromobilität erreicht. „Bis 2030 will Deutschland den Ausstoß von Luftschadstoffen erheblich senken“, so Schulze.
Die WHO-Leitlinien enthalten auch Empfehlungen für Ozon (O3), Schwefeldioxid (SO2) und Kohlenmonoxid (CO). Sie sind nicht verbindlich, sondern gelten als Richtschnur für Länder und Staatenverbünde wie die EU. (dpa/sn)