Streit um die Zeitfenster

Zeitfenstermanagement-Systeme sind in. Auch in der Stahlbranche. "Die Idee ist grundsätzlich gut", meint Christian Döring von der Spedition Rheinkraft International in Duisburg. Doch damit hat es sich auch schon mit seinem Lob. Die Slots für die Belieferung können sich aber auch für Dienstleister und den Stahlhändler respektive die Stahlindustrie auszahlen. Der Logistiksoftwareanbieter Transporeon, der Zeitfenstermanagementsysteme vertreibt, liefert ein Beispiel. So mussten Transporteure beim Schweizer Stahlhersteller Swiss Steel vor der Einführung eines Zeitfenstermanagements Wartezeiten von bis zu einer Stunde in Kauf nehmen. Das System war einfach: Wer zuerst an die Rampe kam, wurde zuerst abgefertigt. Mit dem Managementsystem sieht das Unternehmen Einsparungen bei den Prozesskosten von jährlich 50.000 Schweizer Franken (46.000 Euro) . Doch auch die Speditionen profitierten. Die Lkw seien pünktlicher und die Wartezeiten für die Transporteure hätten sich um 30 Minuten pro Ladung verringert, so Swiss Steel. Wartezeiten der Lkw verringern sich Auch Accelor Mittal berichtet von geringeren Warte- und Abfertigungszeiten. Etwa 70 Prozent der Fahrzeuge kämen pünktlich. Im Schnitt habe sich die Wartezeit um ein Drittel auf unter eine Stunde verkürzt. Bei Standgeldern von 40 bis 50 Euro pro Stunde je Lkw summieren sich die Einsparungen schnell auf hohe Beträge. Seit 2010 setzt auch Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) ein Zeitfenstermanagement-System ein. Die Spediteure erhalten ihre Transportaufträge aus dem Logistiksystem und können ihre Zeitfenster planen. "Wir konnten dadurch die Belegung und die Abfertigung an diesen Ladestellen erheblich optimieren", teilt TKSE mit. Laut Transporeon-Vertriebsleiter Raphael Triemer haben mittlerweile alle großen Stahlunternehmen in Europa solche Systeme installiert oder seien dabei, diese auszurollen. Der wesentliche Treiber sei, die Wartezeiten an den Rampen zu reduzieren. Viele Unternehmen hätten in der Vergangenheit den Hof voller Lkw gehabt, die auf eine Be- oder Entladung warteten. "Da verliert auch der Spediteur Zeit und Geld", weiß Triemer. Zudem wollten die Unternehmen die Einsatzzeiten des eigenen Personals besser planen. Soweit die positiven Einschätzungen zum Zeitfenstermanagement. Doch trotz der von den Unternehmen genannten schnelleren Abfertigungen kommt die Idee bei Transporteuren und Spediteuren weniger gut an. "Solche Zeitfenstersysteme werden vielfach dazu benutzt, um die Preise zu drücken", lautet das Urteil eines Spediteurs, der nicht genannt werden möchte. Es gebe sogar Verlader, die sich bei Verspätungen nicht nur die Standgelder komplett sparten, sondern gar Strafgelder oder Nachlässe forderten. Der Verzicht auf das Standgeld ist dann besonders bitter, wenn der Verlader den Lkw bis zum nächsten Tag warten lässt, da erst dann wieder ein Zeitfenster gebucht werden kann. Doch auch wenn nicht gleich mit Strafen gedroht wird, können die Zeitfenstersysteme für Spediteure Nachteile haben. Ein Unternehmer berichtet, dass ihm bei Verhandlungen über Preise gerne sogenannte Qualitätslisten auf den Tisch gelegt werden. Darin wird dann minutiös aufgezählt, wie oft die Fahrzeuge zu früh oder zu spät an der Rampe waren. "Dann haben Sie kaum noch Argumente für eine Preiserhöhung", sagt der Spediteur. Bei anderen müsse man Zeitfenster bereits drei Tage vorher buchen. "Da manche Stahlunternehmen ihre Produktion viel kurzfristiger planen, ist das gar nicht machbar", beschwert sich ein Transporteur. Manche Firmen ziehen daraus Konsequenzen. "Es gibt Unternehmen, die können wir nicht mehr beliefern", sagt ein Dienstleister. Die höheren Kosten, die sich aus den Zeitfenstermanagement-Systemen ergeben würden, blieben ausschließlich bei den Speditionen hängen, ist der breite Tenor. Auch sei der Personalaufwand deutlich gestiegen. Ein Mitarbeiter in der Disposition sei nur damit beschäftigt, die Zeitfenster zu buchen und umzubuchen, berichten mehrere Unternehmen. Systeme zerschießen die Tourenplanung Stefan Windgätter, Chef der Spedition Windgätter & Sohn und Fachausschussvorsitzender Stahl des Verbandes Verkehrswirtschaft und Logistik (VVWL), ist ebenfalls nicht begeistert. "Wir versuchen uns dagegen zu wehren", sagt er. Denn knappe Zeitfenster seien kaum einzuhalten. Schon ein Stau könne die Planung zunichtemachen. Also plane man mit Puffern. "Am Ende des Tages fahren wir dann eine Tour weniger, als möglich gewesen wäre", rechnet Windgätter vor. Eckhard Siebel von der gleichnamigen Spedition aus Kreuztal äußert sich gleichfalls kritisch. Vor allem bei Firmen, in denen es schon vorher systematische Fehler in der internen Logistik gegeben habe, sei das schnellere Be- und Entladen ausgeblieben. Bei Unternehmen, die das im Griff hätten, würde es auch mit den Zeitfenstern einigermaßen klappen. Da gehe es mitunter sogar schneller als vorher, gesteht Siebel. Auch Triemer gibt zu, dass vor allem in Ballungsgebieten mit stauanfälligen Strecken die Effekte nicht ganz so groß sind, wie er es sich wünscht. "Unter dem Strich funktioniert das, aber es gibt noch Standorte mit Optimierungspotenzial", so Triemer. Wenn die Stahlrollen erst aus dem Lager geholt werden müssten, obwohl der Lkw pünktlich an der Rampe war, stimme etwas nicht. Das größte Problem sei, dass die Anforderungen und Bedürfnisse der Dienstleister nicht berücksichtigt würden, bemängelt Döring von Rheinkraft. Immerhin gesteht er ein, dass die meisten Verlader versuchen würden flexibel zu sein. Bei der TKS etwa wurde zur Unterstützung der Spediteure eine Hotline eingerichtet. An Verzögerungen seien aber auch die Spediteure nicht unschuldig, meint man bei TKS. Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Dienstleister in der Ladungssicherung ungeübt oder unerfahren sei. Siebel beobachtet, dass sich einige Firmen bereits von ihren engen Zeitfenstern verabschieden. Sie würden Korridore anbieten. Damit seien die Touren besser planbar, sagt auch Windgätter. So hat etwa TKS an vielen Ladestellen von Zeitfenstern von lediglich einer halben Stunde auf Korridore von 1,5 bis 3,5 Stunden umgestellt. In dieser Zeit werden mehrere Lkw eingeplant und nach dem Motto "first come, first serve" beladen. "Damit ist der Durchfluss besser", bestätigt Siebel. Die Standzeiten seien geringer. Systeme werden flexibler In Zukunft sollen die Systeme noch flexibler werden. Es gebe einen Trend zum mobilen Zeitfenstermanagement, sagt Triemer. Dabei werden die Zeitfenstersysteme mit der voraussichtlichen Ankunftszeit des Lkw gefüttert. Durch die Information, wo sich ein Lkw tatsächlich befindet, ließen sich Zeitfenster umplanen. Wenn der Verlader wisse, welcher Lkw früher oder später komme, ließen sich die Zeiten in Echtzeit anpassen und die Waren im Lager entsprechend vorbereiten. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Gabriel macht sich für die Stahlindustrie stark Stahlunternehmen stehen nach wie vor unter Druck Die Unternehmen der Stahlindustrie in Deutschland und Europa fühlen sich derzeit von zwei Entwicklungen in die Zange genommen. Zum einen, weil stark subventionierter Stahl aus China die Märkte unter Druck setzt. Deshalb fordern deutsche und europäische Hersteller Strafzölle gegen chinesischen Billigstahl. Zum anderen befürchten europäische Stahlhersteller gravierende Kostennachteile, wenn der Emissionshandel wie geplant umgesetzt werden sollte. Verbale Unterstützung kommt jetzt von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)."Wir dürfen den Stahl in Deutschland und Europa nicht aufgeben. Stahl ist das Herz unserer Industrie", lautete sein Bekenntnis anlässlich einer Demonstration von 10.000 Stahlbeschäftigten am 9. November in Brüssel. cd