Der Glanz vergangener Tage

Krupp, Mannesmann, Thyssen: Große Namen, nicht nur für die deutsche Stahlindustrie, sondern für die gesamte deutsche Wirtschaft. Noch heute sind diese Namen ein Aushängeschild in der deutschen Stahlindustrie: Thyssenkrupp Steel als die Nummer eins unter deutschen Stahlherstellern, dazu die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), Nummer vier in dieser Rangliste. Doch der Glanz vergangener Jahrzehnte, den gibt es nicht mehr. Die Unternehmen müssen kämpfen, um im Markt zu überleben. Der Wettbewerb ist ein globaler geworden. ArcelorMittal, Stahlkonzern mit europäischen und indischen Wurzeln, ist laut Welt-Stahl-Verband der weltweit größte Hersteller mit einer Jahresproduktion von 97 Millionen Tonnen und mittlerweile die Nummer zwei in Deutschland. ArcelorMittal produziert weltweit sechsmal so viel Stahl wie ThyssenKrupp, mit 17,4 Millionen Tonnen auf Rang 16 der Weltrangliste der Stahlproduzenten. Doch Sorge bereitet den Stahlherstellern in Europa und Deutschland vor allem der Stahl aus China. Ihr Vorwurf: Der chinesische Staat würde die Stahlindustrie subventionieren und die Produzenten würden dann in Europa ihren günstigen Stahl zu Dumpingpreisen anbieten - denn was weltweit gilt, gilt auch für China: Es bestehen massive Überkapazitäten. Damit dort nicht Hochöfen stillgelegt und tausende Arbeiter entlassen werden müssen, subventioniert der Staat die Stahlproduzenten. Immer mehr Stahl kommt aus Übersee Die Folge: Immer mehr Stahl aus Übersee wird in Europa angeboten. Das stellt auch Dirk Michael Müller, Geschäftsführer der Spedition Rheinkraft, fest: "Es kommen immer mehr Mengen per Seeschiff in Antwerpen an." Rheinkraft hat sich auf den Transport von Stahl in jeglichen Formen konzentriert. Das Unternehmen beschäftigt 360 Mitarbeiter in 13 Niederlassungen und steuert in seinem Fuhrpark 250 Fahrzeuge, darunter etwa 100 eigene. "Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass der in Antwerpen gelöschte Stahl vor allem nach Spanien und Frankreich geht und weniger nach Deutschland", sagt Müller. Allerdings: Müller schließt nicht aus, dass der Stahl irgendwann auch den Weg nach Deutschland finden wird. Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) stellt in seinem aktuellen Konjunkturbericht fest, dass der Anstieg der chinesischen Lieferungen für den deutschen Markt, zumindest was die direkten Wirkungen angeht, ein geringeres Problem darstellt als für andere EU-Länder. Mit weitem Abstand bedeutendstes Herkunftsland der deutschen Drittlandsimporte von Stahl ist Russland. Die deutsche Stahlbranche versucht über verschiedene Maßnahmen, dem Stahl aus China den Weg nach Deutschland/Europa zu verbauen. So haben sich in der Industrie-Allianz 14 Verbände der stahlnahen Industrie zusammengetan und ein Positionspapier erstellt. Darin fordern sie die Politik auf, China den Marktwirtschaftsstatus nicht vorschnell zuzuerkennen. Erhält China diesen Status, ist es schwierig, Schutzmaßnahmen gegen günstige Stahlimporte zu verhängen. Gerade im Stahlbereich spiele China nicht mit fairen Mitteln, heißt es bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Ein wichtiger Grund seien die massiven Überkapazitäten in China. Nach Aussage des Stahlverbandes betrug der Anteil Chinas im Jahr 2015 rund zwei Drittel der globalen Überkapazitäten von rund 640 Millionen Tonnen Rohstahl. "Statt marktgetriebene Anpassungen zuzulassen, überschwemmt das Land weiterhin die Weltmärkte mit Stahl zu wettbewerbsverfälschenden Bedingungen und lädt damit seine Strukturprobleme auf andere Wirtschaftsregionen ab", lautet der Vorwurf von Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Stahlexporte Chinas hätten sich seit 2012 auf 110 Millionen Tonnen verdoppelt und würden sich auch im Jahresverlauf 2016 auf diesem Niveau bewegen. Gleichzeitig unterstütze China seine Stahlindustrie mit staatlich vergünstigten Rohstofflieferungen oder Energiebezügen. "All das zeigt überdeutlich, dass China nicht nach marktwirtschaftlichen Regeln spielt", mahnt Kerkhoff. Die Bedenken der Branche zeigten Wirkung. So hat der Bundestag Ende April einen Antrag beschlossen, in dem er die Bundesregierung auffordert, sich für eine effektive Außenhandelspolitik einzusetzen. Dazu gehöre eine konsequente und transparente Nutzung der handelspolitischen Schutzinstrumente und deren beschleunigte Anwendung. "Das Prüfverfahren der EU-Kommission bei Antidumpingverfahren muss deutlich beschleunigt werden", heißt es in dem Antrag. Und die EU-Kommission fordert der Bundestag darin auf, zügig zu klären, ob die EU völkerrechtlich gebunden ist, ab dem 11. Dezember 2016 China den Status einer Marktwirtschaft in Antidumpingverfahren zu gewähren. Immerhin, die EU prüft ... Aber auch in Brüssel ist man zu der Einsicht gelangt, dass China nicht mit sauberen Karten spielt, wenn es um den Verkauf von Stahl in Europa geht. So hat die Europäische Kommission Ende Juli eine Antisubventions-Untersuchung gegen chinesische Importe von kaltgewalztem Flachstahl eingeleitet. Die Kommission prüft nun, ob die Voraussetzungen für die Festsetzung vorläufiger Ausgleichszölle gegen die Importe dieser Produkte - nahtlose Rohre und Grobbleche - erfüllt sind. "Das verstärkte Vorgehen dient zum Schutz der europäischen Stahlindustrie vor unfairen Handelspraktiken aufgrund weltweiter Überproduktion", heißt es in einer Mitteilung. Trotz der Bedrohung durch Importstahl: Das erste Halbjahr 2016 ist für die deutsche Stahlindustrie annähernd zufriedenstellend verlaufen, vor allem, wenn man die eher skeptischen Prognosen zu Jahresanfang berücksichtigt. So ging im ersten Halbjahr 2016 die Stahlproduktion um ein Prozent gegenüber dem Vorjahrszeitraum zurück. Nach einem verhaltenen Start im ersten Quartal wurde im zweiten Quartal 2016 das Vorjahresniveau erreicht. Das RWI macht dafür die "spürbar ausgeweitete Bauproduktion" verantwortlich. Für 2016 rechnet das Institut mit einem Minus in der Rohstahlproduktion in Höhe von 1,4 Prozent (siehe Grafik unten). Die verhaltene Entwicklung bekommen auch die Logistikdienstleister zu spüren, die für die Stahlindustrie tätig sind - wobei die Stimmung unter ihnen besser zu sein scheint, als man vermuten könnte. "Das Jahr 2016 fing schleppend an", sagt Holger Kost, Geschäftsführer der Spedition Friedrich Kerkemeier in Hattingen. Das Unternehmen betreibt 50 eigene Lkw und hat sich auf die Lagerung und den Transport von Grobblechen und breiten Blechen spezialisiert. "Im zweiten Quartal zog dann das Geschäft spürbar an", sagt Kost. Er führt diese zusätzliche Nachfrage auf einen Preisanstieg für Stahl zum 1. Juli zurück: "Daraufhin wollten viele Stahlhändler ihre ohnehin knappen Bestände noch im zweiten Quartal aufstocken." Für eine hohe Auslastung der Fahrzeuge hätten dann noch die vielen Feiertage gesorgt. Auch Eckhard Siebel, Geschäftsführer der Spedition Siebel in Kreuztal (Siegerland), ist mit dem Auftragsvolumen im ersten Halbjahr zufrieden. Das Unternehmen betreibt 73 eigene Sattelzüge und ist im Transport und in der Lagerung von Flachblechen, Bauprofilen, Coils und Rohren tätig. "Das Geschäft für die Bauindustrie ist gut verlaufen", sagt Siebel. Angefacht wurde diese Nachfrage durch das Wachstum in der Baubranche. "Die Nachfrage nach verarbeitetem Stahl ist weiterhin da, weshalb die Stahl-Servicecenter gut zu tun haben", nennt Siebel einen weiteren Wachstumsfaktor. Das bestätigt auch Rheinkraft-Geschäftsführer Müller: "Die Industrie wie die Automobilhersteller fragen ja weiterhin Stahl nach. Der wird hierzulande bearbeitet, aber womöglich nicht in den deutschen Stahlwerken hergestellt." Es ergeben sich also neue Transportketten, "aber zumindest die Stahlverarbeitung wird auch noch für längere Zeit in Deutschland erfolgen", zeigt sich Siebel in dieser Hinsicht optimistisch. Weniger erfreulich reagieren Siebel und Müller, wenn man sie auf das Thema "Frachtraten" anspricht: "Die Frachtpreise sind derzeit nicht löblich", drückt es Siebel freundlich aus. Müller befürchtet trotz steigender Kosten, "dass sich an der Preislage wohl nicht viel ändern wird". Wenn schon nicht die Preise steigen, dann zumindest die Ansprüche der Kunden, ist man versucht zu sagen angesichts der Aussagen der Spediteure. "Die Anforderungen an die Dienstleister werden immer höher", stellt Kost fest. Die Avisierung der Sendungen bei dem Kunden sollen die Speditionen übernehmen, gleichfalls die Zusammenstellung der Touren. Auch Siebel vernimmt immer häufiger solche Äußerungen. "Der Wunsch geht dahin, nicht mehr nur reine Komplettladungen zu fahren, sondern auch mehr Teilladungen", sagt der Stahlspediteur. Das würde mehr Kenntnisse unter anderem bei den Fahrern voraussetzen, womit andererseits der Vorteil verbunden sei, nicht so leicht austauschbar zu sein, gerade gegenüber der Konkurrenz aus Osteuropa. "Tracking and Tracing wird ganz groß geschrieben bei den Kunden", sagt Müller. Der Informationsbedarf in der Stahlindustrie und im Stahlhandel werde immer größer. Die Folge: "Wir investieren derzeit stärker in Software als in den Fuhrpark", sagt der Rheinkraft-Geschäftsführer. Abbau der Kapazitäten unumgänglich Und wie beurteilen die Spediteure die Zukunft des Stahlstandortes Deutschland? Zumindest was die Produktion betrifft, da sind sie sich einig: Sie wird langfristig geringer ausfallen. "Es wird zu Standortschließungen kommen", prophezeit Siebel stellvertretend für die zwei anderen Spediteure und nennt als Beleg die verschiedenen Fusionsgespräche und -gerüchte, von denen derzeit zu hören ist. Aber er rechnet dennoch nicht mit einem großen Mengenrückgang. Der Stahl werde dann vermutlich verstärkt importiert und dann in Deutschland in Stahl-Servicecentern verarbeitet. "Die Verkehrsströme werden sich ändern, damit müssen auch wir uns auf neue Herausforderungen einstellen", sagt Müller. Auch das RWI geht davon aus, dass sich das Problem weltweiter Überkapazitäten verschärft, auch deshalb, weil der weltweite Stahlverbrauch langfristig rückläufig sein wird. "Daher wird man um einen Abbau der Kapazitäten nicht herumkommen", schreiben die Wissenschaftler. Vor diesem Hintergrund sind auch die Fusionsgespräche zu sehen, die derzeit die großen Stahlhersteller führen. Als Beispiel seien nur Tata und ThyssenKrupp genannt, die solche Verhandlungen bereits bestätigt haben. Es könnte also sein, dass ein weiterer schillernder Name aus der deutschen Stahlbranche verschwindet oder einen Zusatz erhält. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Emissionsrechtehandel gefährdet Stahlstandort 380.000 Arbeitsplätze gefährdet Eine Studie des Beratungsunternehmens Prognos hat ermittelt, welche Folgen es für die deutsche Stahlindustie hätte, wenn der Emissionshandel laut einem Vorschlag der EU-Kommission ab 2021 reformiert wird. Laut der Untersuchung, die die Wirtschaftsvereinigung Stahl in Auftrag gegeben hat, würden Produktion und Beschäftigung bis 2030 um 60 Prozent gegenüber dem Niveau sinken, das sie ohne zusätzliche Kosten durch den Emissionshandel halten könnten. Insgesamt, unter Berücksichtigung der Effekte auf andere Branchen, fällt die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung 2030 um 30 Milliarden Euro geringer aus. Das soll 380.000 Arbeitsplätze kosten. Prognos geht davon aus, dass die deutsche Stahlindustrie mit dem Emissionshandel ihre Investitionstätigkeit einstellen wird. Langfristig würde damit die Produktion auf null zurückgehen. cd

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