Schienengüterverkehr: Gelingt der Switch?

In Kürze Von 2024 bis 2030 soll das deutsche Schienennetz modernisiert werden. Ein Drahtseil-Akt, der den Beteiligten in der Schienengüterverkehrs-Logistik einiges abverlangen wird. Zumal die Politik den Modal-Split-Anteil der Schiene weiter steigern will. Wie das gelingen soll, haben Branchen-Vertreter jetzt besprochen. Georg Dettendorfer, Geschäftsführer der Dettendorfer Spedition in Nußdorf am Inn, ist kein furchtsamer Mensch. Doch vor einer Sache ist ihm bange: Das ist die für 2027 geplante Generalsanierung der Bahnstrecke von München nach Salzburg. Denn dafür soll nicht nur in der ersten Jahreshälfte die Strecke von München nach Rosenheim fünf Monate komplett gesperrt werden, sondern auch fünf Monate lang in der zweiten Jahreshälfte die Strecke von Rosenheim nach Salzburg. "Natürlich müssen wir auch in dieser Zeit unsere Kunden adäquat bedienen können", sagt der Spediteur, der aktuell rund 16 Prozent seiner Verkehre auf der Schiene abwickelt - auf den Relationen München-Verona, Leipzig-Verona, Hamburg-Verona. Kampf um Bahn-Kunden "Wir kämpfen heute schon um jeden Kunden, um mehr Transporte von der Straße auf die Schiene zu bringen - gerade aufgrund der vielen Einschränkungen auf der Brenner-Autobahn. Wenn wir bei Totalsperrungen keine adäquaten Ausweich- oder aber Umfahrungs-Möglichkeiten bekommen", warnt er, "haben wir keine Kunden mehr. Die wechseln dann von der Schiene wieder auf die Straße und vielleicht in ganz andere Märkte." Umso dringlicher appelliert er an die DB Netz, während der Korridorsanierung entsprechende Ausweich- und Umfahrungs-Optionen zu schaffen. "Rastatt darf nicht noch einmal passieren. Sonst sind die Kunden für die Bahn verloren." Die Korridor-Sanierung: Die wichtigsten Eckpunkte im Überblick In 2024 geht es mit der Generalsanierung des deutschen Schienennetzes los, die in 2030 abgeschlossen sein soll. Dazu hat die Deutsche Bahn (DB) dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) einen vorläufigen Sanierungsplan zur Freigabe vorgelegt. Die Generalsanierung startet in 2024 mit der Riedbahn. In 2025 folgen die Korridore Hamburg-Berlin und Emmerich-Oberhausen. Details zum Sanierungsplan für die Jahre 2026 und 2027 folgen voraussichtlich im Herbst, sobald das BMDV eine Freigabe erteilt hat. Zur Korridorsanierung im Detail: Die jeweiligen Streckenabschnitte sollen jeweils fünf Monate lang beidseitig gesperrt werden. In diesem Zeitraum wird die DB die Züge im Fern- und Güterverkehr über Umleitungsstrecken führen. Vom 15. Juli bis 15. Dezember 2024 wird die Riedbahn-Strecke Frankfurt/Main-Mannheim komplett gesperrt. Dafür gibt es zwei Haupt-Umleitungsstrecken mit einer Stunde Fahrtzeit-Verlängerung, die insbesondere für den Schienengüterverkehr und Fernverkehrszüge reserviert werden. Für Regional- und S-Bahn-Züge wird derzeit von der DB mit diversen Experten ein Konzept erarbeitet. Zudem wird die DB einen Lok-Pool bereithalten, um Gütertransporte auch über nicht elektrifizierte Umleitungsstrecken zu ermöglichen. "Für die Unternehmen werden auch in Zeiten der Streckensperrungen ausreichend Schienen-Kapazitäten zur Verfügung stehen - mit geringen Fahrzeit-Verlängerungen", betont Yvonne Bounin, Leiterin von Vertrieb und Kommunikation der DB Netz AG. "Zudem werden wir Eisenbahn-Unternehmen auf allen Umleitungsstrecken, die nicht elektrifiziert sind, kostenlos Triebfahrzeuge und Triebfahrzeugführer zur Verfügung stellen." Die DB arbeite zusätzlich aktuell mit Hochdruck daran, eine Partnerschaft mit der französischen Bahn SNCF Réseau aufzubauen, um in 2024 im Fall der Riedbahn- und Rastatt-Sanierung auch Umleitungen über Frankreich anbieten zu können. eh Damoklesschwert Rastatt Dettendorfer ist kein Einzelfall. Die geplante Großsanierung des deutschen Schienennetzes schwebt als Damoklesschwert über den Köpfen vieler Firmen. Das "Rastatt-Debakel" vor sechs Jahren steckt ihnen noch in den Knochen. Im August 2017 war der Boden unter den Bahngleisen in der Nähe von Rastatt abgesackt. Sieben Wochen lang wurde deshalb eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen auf der Schiene beidseitig gesperrt. Selbst eine Umfahrung oder Umleitung war nicht möglich, weil auch diese Strecke damals gerade saniert wurde. Sorgt die Deutsche Bahn (DB) dieses Mal besser vor? Dazu befragt, sagt Yvonne Bounin, Leiterin Vertrieb und Kommunikation der DB Netz AG: "Wir haben aus dem Unterbruch bei Rastatt viel gelernt. Um bei der anstehenden Generalsanierung die Verkehre besser zu organisieren, haben wir sehr intensiv mit der Branche darüber beraten. Ein wichtiges Thema sind ausreichend Umleiter, die in Rastatt baustellenbedingt seinerzeit nicht verfügbar waren", betont Bounin. "Wir haben dafür im ersten Schritt die Branche frühzeitig eingeladen, um eine Entscheidungsgrundlage zu entwickeln, welche Strecken in welcher Reihenfolge saniert werden müssen." Auf dieser Basis habe die DB dann das Konzept erarbeitet und dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) zur Freigabe vorgelegt (mehr dazu siehe Kasten oben). Klingt gut. Doch wie so oft hakt es in der Praxis dennoch. Das zeigen die Aussagen von Jürgen Albersmann, CEO des LogistikUnternehmens Contargo, das Transporte zwischen den Seehäfen und dem europäischen Hinterland im trimodalen Verkehr durchführt. So habe die Bahn just auf dem Streckenabschnitt Rastatt für den gesamten August 2024 eine Totalsperrung der Strecke angekündigt. Zwei Ausweichstrecken seien Contargo in dieser Zeit angeboten worden, sagt er. "Eine über Singen und eine über Frankreich." Die eine sei nicht elektrifiziert; die andere sei verstopft, und die Franzosen wollten keine zusätzlichen Güterzüge aufnehmen. Mit der bitteren Folge, dass Contargo seine Regelverkehre aus der Schweiz heraus 31 Tage lang nicht auf der Bahn aufrechterhalten könne, das Land einen ganzen Monat vom Schienengüterverkehr quasi abkapsle. Kritisch sieht der CEO auch, dass die Baumaßnahmen im Rhein-Korridor in der zweiten Jahreshälfte erfolgen sollen - in der Zeit, in der der Rhein meist Niedrigwasser habe und daher auf der stark frequentierten Nord-Süd-Achse als Alternative zur Schiene weniger leisten könne. Sinnvolle verkehrliche Verlagerung weg von der Straße sieht also anders aus. "Die Sanierung in die erste Jahreshälfte zu verlegen, wäre ein Schritt in die richtige Richtung - da gibt es kein Niedrigwasser und genügend freie Kapazitäten", sagt er. Die Bahn sollte sich bei der Baumaßnahmen-Planung noch enger mit Industrie und Transportwirtschaft abstimmen, findet Albersmann. Flaschenhals für die Logistik? "Austausch der DB und Politik mit der Wirtschaft, ja Community-Bildung, das ist jetzt für die Planung der Baustellen in den kommenden Jahren enorm wichtig. Sonst wird die Großsanierung zum Bottleneck in der Logistik." Das ist auch laut Daniel Küster der Weg, die anstehenden Herausforderungen für alle Beteiligten möglichst zu minimieren. Küster ist Supply Chain Director der Haus Cramer Gruppe (mit Marken wie Warsteiner - Anm. d. Red.) und Geschäftsführer der Tochterfirma Boxx Intermodal Logistics, die auch für Drittkunden Transporte auf der Schiene erbringt. Seit 2005 befördert die Haus Cramer Gruppe ab ihrem Standort Warstein ihr Bier mit der Westfälischen Landes-Eisenbahn und verfügt auf dem Firmengelände über einen eigenen Gleisanschluss. Rund 20.000 Lkw-Fahrten spart sich die Brauerei so jährlich ein, und es sollen noch mehr werden. Doch bei aller Liebe zur Schiene muss die Brauerei auch auf die Betriebswirtschaftlichkeit ihrer Verkehre achten. "Jeder Umwegkilometer, den wir durch die Bau-sanierung mehr fahren müssen, kostet Geld. Geld, das wir nicht einpreisen können", betont Küster. Bislang fahre Warsteiner etwa im Hauptlauf von Warstein nach Hamburg rund 350 Kilometer auf der Schiene. Bei Umleitungen summiere sich diese Strecke schnell auf 450 bis 500 Kilometer. "Das ist bei uns in keinem Business Case eingepreist. Dadurch verlieren wir auf diesen Trassen richtig Kunden. Die gehen zurück auf den Lkw, und die bekomme ich auch nicht wieder zurück." Wird es dennoch gelingen, den Modal-Split-Anteil im Schienengüterverkehr von rund 19 Prozent in 2021 bis auf 25 Prozent in 2030 zu steigern, wie es die Bundesregierung im Koalitionsvertrag als Ziel definiert hat? "Gelingen kann das", sagt Clemens Bochynek, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr (SGKV). "Ich wünsche mir aber weniger Sonntagsreden im politischen Bereich, sondern mehr ehrliche Rückendeckung mit allen politischen Risiken, die damit für den Einzelnen möglicherweise verbunden sind." Viele Maßnahmen liegen auf dem Tisch, die müssten aber auch umgesetzt werden, mahnt er. Im Bereich KV wäre dies etwa der Umgang mit der Förderung von Umschlaganlagen, um mehr Kapazität zu schaffen. Denn die Erwartungshaltung an den KV steigt kontinuierlich, schon heute nimmt er 40 Prozent der Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr ein. Es werde erwartet, die Verlagerung von der Straße auf die Schiene und Wasserstraße schnellstmöglich voranzutreiben, aber die Rahmenbedingungen dafür würden im Haushalt des Bundes ignoriert, so Bochynek. "In Deutschland fehlt es an leistungsfähiger Infrastruktur, um mehr Güter auf die Schiene zu bringen", zeigt sich auch Detlef Berndt, Bereichsleiter der Westfälischen Landes-Eisenbahn skeptisch. Ein weiteres Problem sei, dass die großen Land-KV-Terminals völlig überfüllt seien, an denen die Güter von der Schiene auf die Lkw ins Hinterland umgeschlagen werden. Das zeige etwa das Beispiel München-Riem. "Wenn man da einen Slot für einen Güterzug außerhalb der Reihe einholen will, hat man keine Chance, weil die absolut voll sind." Zudem fehlen laut Berndt vor den Terminals Abstellgleise, etwa wenn ein Zug im Hauptlauf ankommt. Man wisse also gar nicht, wo man seinen Zug abstellen könne. Fazit: Es wird spannend auf der Schiene in den kommenden Jahren.

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