Schienengüterverkehr

Schienengüterverkehr Verladers Liebling Die Mängelliste der Verlader für den Schienengüterverkehr ist lang. Und trotzdem halten sie den Bahnen die Treue. Nicht nur das: Einige Auftraggeber wollen in Zukunft noch mehr Güter auf die Schiene setzen. Die Kunden im Schienengüterverkehr sind Kummer gewöhnt. Die Anlässe für ihre Sorgen sind vielfältig – Ursachen sind häufig die unzureichenden Leistungen der Bahnen. So beklagen heute immer noch viele Verlader, dass ihr Werk aufgrund des bereits 2004 beendeten Sanierungsprogramms Mora C vom Gleisnetz der Deutschen Bahn (DB) abgehängt wurde. Andere Kunden kritisieren die Pünktlichkeit im Schienengüterverkehr (die sich womöglich nicht mal verschlechtert hat, die aber sehr schwankt, was für die Kunden häufig das größere Übel ist). Nur leichte Einbußen auf der Schiene Nicht zuletzt ist der Preis ein Dauerbrenner: Vor allem die fehlende Ausrichtung an den Frachtraten des Konkurrenten LKW wird der Bahn immer wieder vorgehalten. Und in der Tat, seit 2006 sind die Preise im Straßengüterverkehr laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes um 9,2 Prozent gestiegen, bei den Bahnen hingegen um 15,9 Prozent. Da wäre es nachvollziehbar, wenn sich die Verlader und Spediteure in Scharen dem LKW als Verkehrsträger zuwendeten. Doch dem ist nicht so. Zwar hat der Schienengüterverkehr 2012 Marktanteile verloren und es ging auch in absoluten Zahlen mit der Verkehrsleistung leicht zurück (von 113,3 Milliarden Tonnenkilometer (tkm) 2011 auf 109,8 Milliarden tkm). Aber nach wie vor ist der Rekordwert aus dem Jahr 2008 (115,7 Milliarden tkm) nicht weit entfernt. Offenbar halten die Unternehmen dem Verkehrsträger Schiene nach wie vor die Treue. Da stellt sich natürlich die Frage, warum? Erst recht, wenn ein Unternehmen wie die BASF jetzt sogar verkündet, noch mehr Güter auf die Bahn verlagern zu wollen. „Wir wollen den Anteil der Bahn an unserem Modal Split von jetzt 30 Prozent auf 40 Prozent in fünf Jahren erhöhen“, kündigte Gerd Fischer, Senior Manager Rail Logistics bei der BASF SE in Ludwigshafen, auf dem 6. Schienengüterverkehrsforum des BME (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik)und des VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen), in Köln an. Acht Millionen Tonnen pro Jahr lässt der Chemiekonzern derzeit von Lokomotiven ziehen. In den nächsten fünf Jahren soll eine weitere Million dazu kommen. Jetzt könnte man meinen, das seien strategische Aussagen eines Konzernunternehmens, dem die alltäglichen Probleme im Schienengüterverkehr unbekannt sind und das deshalb leichtsinnigerweise eine solche Zielmarke verkündet. Zumal solche Absichten ja auch dem Image eines Konzerns gut tun. Doch weit gefehlt. Denn BASF kennt sich aus im Schienengüterverkehr. Der Chemieproduzent gehört zu den Unternehmen, die maßgeblich die Liberalisierung im Schienengüterverkehr in Deutschland vorangetrieben haben. Ein vielbeachteter Meilenstein war die Gründung der Privatbahn Rail4chem 2000 zusammen mit drei Logistikdienstleistern. Dass BASF sich der Probleme im Schienengüterverkehr bewusst ist, zeigt die Kritik, die Fischer am Bahnsystem äußerte: „Nach wie vor gibt es eine Regelungswut der nationalen und europäischen Institutionen, die für den Schienenverkehr zuständig sind“, beklagt Fischer. Nachdenklich stimmt ihn die „katastrophal schlechte Ertragslage“ bei fast allen europäischen Bahnen, die in einem intensiven Wettbewerb mit dem LKW stehen, unzureichende Kooperationen beziehungsweise die Marktabschottung der ehemaligen Staatsbahnen und die nach wie vor nicht realisierte Liberalisierung, „die teilweise schon wieder auf dem Rückzug ist“. „Und immer noch nicht gelöst ist das Lärmthema im Schienengüterverkehr“, zählte er eine weitere Hürde auf. Frachtraten um fast 50 Prozent gesunken Von Bedeutung ist für BASF aber selbstverständlich auch die Frage, ob die Güterbahnen preislich mit dem LKW mithalten können. Hier widersprach Fischer der These, dass die Frachtratenentwicklung nur eine Richtung kennt: die nach oben. Denn mit der Liberalisierung seien die Preise im Shuttle-Verkehr zwischen Ludwigshafen und Antwerpen gesunken, und zwar bis 2009 um fast 50 Prozent gegenüber 2000. Doch ging dieser Nachlass nicht alleine zulasten der Bahnen, sondern war auch Ergebnis der Prozessoptimierung und der Vermarktung von Bahnkapazitäten durch BASF, die zu einer besseren Auslastung geführt haben. Fischer gesteht aber ein, dass seit 2009 die Frachtraten aufgrund allgemeiner Preissteigerungen wieder anziehen. „Da wir jedoch weiterhin selbst Güterzüge fahren, können wir genau beurteilen, ob die mit höheren Einkaufskosten begründeten Preissteigerungen gerechtfertigt sind“, sagt Fischer. BASF hält weiterhin an den Bahnen fest, eben weil die derzeitigen Probleme noch ein Optimierungspotenzial in sich bergen. Ein Beispiel dafür ist das eigene Flottenmanagement. So sollen Einsparungen erzielt werden durch eine Standardisierung der Waggons und die Verbesserung der logistischen Verfügbarkeit durch eigene Serviceeinrichtungen (Reinigung, Instandhaltung). Und BASF will freie Zugkapazitäten an Dritte vermarkten. Fischer sieht die Auslastung der Züge durch BASF-Mengen bei 80 Prozent. Da ist noch Platz für andere Nutzer, die somit dazu beitragen sollen, dass sich die intensivere Nutzung der Bahn für BASF lohnt. Keinerlei Zweifel lässt Fischer daran, wer von diesem zusätzlichen Auftragsvolumen profitieren wird: der Kombinierte Verkehr (KV). Das liegt daran, dass sich im Konzern die Prozesse verschoben haben. Die Beschaffung von Rohstoffen hat bei BASF deutlich an Bedeutung verloren, während im gleichen Umfang die Herstellung von Zwischen- und Endprodukten (und damit deren Distribution) eine immer wichtigere Rolle spielt. Folglich verliert der konventionelle Verkehr an Bedeutung, während der KV deutlich besser geeignet ist für die Verteilung von Stückgütern und Teilpartien. Daher wird der Zuwachs von einer Million Tonnen ausschließlich dem KV zugutekommen. Um an ihren großen Standorten in Europa einen reibungslosen Ablauf gewährleisten zu können, investiert BASF in den Aufbau von KV-Terminals. So soll beispielsweise die Kapazität des Kombiterminals Ludwigshafen (KTL) von derzeit 300.000 Hüben pro Jahr auf knapp 500.000 im Jahr 2014 gesteigert werden, wobei BASF ihren Anteil von 100.000 auf etwa 170.000 Hübe steigern will. Eifriger Nutzer der Bahn ist auch die Freixenet Gruppe, nach eigenen Angaben einer der größten Hersteller von Schaumweinen weltweit. Doch die intensive Nutzung der Schiene erfolgt eher gezwungenermaßen als freiwillig. Denn die für die Produktion des Cava notwendigen Trauben müssen unweit von Barcelona geerntet werden – das schreibt das spanische Cava-Gesetz vor. Der Reifeprozess führt dazu, dass der Wein frühestens ein Jahr nach der Ernte ausgeliefert werden kann. Und da Schaumwein in Deutschland vorwiegend zum Jahresende getrunken wird, muss ein großer Teil des gesamten Transportvolumens (67.500 Tonnen, entspricht 2700 LKW-Ladungen) ab dem Spätherbst ausgeliefert werden – genau zum Zeitraum der Orangenernte. „Damit gibt es einen extremen Mangel an LKW-Frachtraum zur Zeit des höchsten Bedarfs“, klagte Jörg Seyffarth, zuständig für das Supply Chain Management bei Freixenet. LKW zu teuer – dann doch lieber die Bahn Daher bleibt Seyffarth gar nichts anderes übrig, als auch die Schiene als Transportmittel zu nutzen – will er nicht horrende Summen für die LKW-Fracht bezahlen. Da muss er dann in den sauren Apfel beißen und sich mit einer Reihe von Widrigkeiten auseinandersetzen: So ist die Spurweite in Spanien eine andere als in Frankreich. Deshalb ist ein zusätzlicher LKW-Vorlauf nach Frankreich erforderlich. Außerdem beklagt er, dass der Rangierbahnhof Mannheim als Ziel des Linienzuges kein KV-Terminal hat. Nicht zuletzt muss Seyffarth eine deutlich längere Transportzeit auf der Schiene einkalkulieren. Während der LKW zwei Tage benötigt, ist die Bahn acht bis zwölf Tage unterwegs. Doch für Seyffarth ist das offenbar kein größeres Problem: „Die längere Laufzeit kann durch entsprechende Planung ausgeglichen werden.“ Der Transportmix sei entscheidend. Auch für die Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH) spielt die Bahn in der Distribution eine wichtige Rolle. „2011 sind im Export 38 Prozent der in Deutschland produzierten Waren per Bahn transportiert worden“, sagte Christian-Daniel Schoene, bei BSH Referent für Logistik-Verkehrswesen. Dabei setzt BSH seit fünf Jahren beim Transport der weißen Ware verstärkt auf Ganzzüge und geht dabei einen ähnlichen Weg wie BASF, indem an ausgewählten Standorten firmeneigene Umschlagterminals errichtet werden. BSH hat auch gute Erfahrungen mit der Bahn gemacht, auch bei einem Thema, wo ihr immer Schwächen nachgesagt werden: „Ganzzüge erreichen eine höhere Pünktlichkeit“, sagte Schoene, und große Volumenströme könnten effizienter abgewickelt werden. Allerdings gelte dies nur für exportierte Waren: Die nationale Distribution sei extrem zeitkritisch, „das schaffen wir nicht per Bahn.“ Für die Bahn spricht aus Sicht von BSH zudem, dass es im Export möglich sei, BSH-Produktionsmaterialien zwischen den Werken mit diesem System zu transportieren. Hinzu komme, dass es gerade im Ganzzugsektor eine Vielzahl von spezialisierten Eisenbahnverkehrsunternehmen gäbe. Eine andere Herausforderung für die BSH-Logistiker ist die Distribution nach Russland. Das Land gewinnt als Absatzmarkt zunehmend an Bedeutung. Fünf Millionen Geräte verkauft BSH in der Vertriebsregion Russland. Dazu werden 5400 Ladungen aus Deutschland verschickt, wobei BSH mehrgleisig fährt: Über Short-Sea werden 50 Prozent der Waren exportiert, per LKW via Brest 35 Prozent und per Bahn gehen 15 Prozent nach Russland. Doch die beiden letzten Werte sind schon überholt, denn seit Mitte letzten Jahres hat BSH den Anteil der Bahn auf 30 Prozent verdoppelt. „Wir haben uns 2011 entschieden, Alternativen zum LKW aufzubauen, um saisonalen Engpässen vorzubeugen“, sagte Schoene. BSH fährt auch nach Russland per Bahn Um solch ein Ziel auch umzusetzen, bedarf es Geduld und mehrerer Anläufe. Zunächst fuhren für BSH Einzelcontainer und gemischte Ganzzüge ohne verlässliche Laufzeit. Nach einer sechsmonatigen Pause wurde das System von Transa und Trans Eurasia Logistics (TEL) neu aufgesetzt. Dabei werden am eigenen Terminal in Giengen die Mengen gebündelt und die Waggons mit 42 Containern dann von DB Schenker Rail bis nach Malaszewice/Brest gezogen. Hier übernehmen die Staatsbahnen BC und RZD den Zug. „Mit einer konstanten Laufzeit von sechs bis sieben Tagen bietet der Zug eine verlässliche Alternative zu Shortsea und LKW“, sagte Schoene. Dabei soll es laut Schoene nicht bleiben. Der BSH-Manager kann sich den Einsatz der Bahn beim Warennachschub vom BSH-Werk St. Petersburg nach Moskau, für die innerrussische Distribution ab Zentrallager Moskau Richtung Osten und für den Warennachschub von BSH-Werken in China bis nach Moskau vorstellen. Dafür sucht BSH noch nach Dienstleistern, die diese Projekte mit BSH gemeinsam umsetzen. Die Bahn scheint bei den Verladern alles andere als ein Auslaufmodell zu sein. ❙❚■ Michael Cordes Sorgen bereitet BASF die „katastrophal schlechte Ertragslage“ fast aller europäischer Bahnen Das höhere Aufkommen will BASF ausschließlich im KV befördern „Wir wollen den Anteil der Bahn an unserem Modal Split von jetzt 30 Prozent auf 40 Prozent erhöhen“ Gerd Fischer, Leiter Bahnlogistik, BASF SE „Nach Russland ist die Bahn eine verlässliche Alternative zu Shortsea und LKW“ Christian-Daniel Schoene, Referent Logistik-Verkehrswesen, BSH GmbH „Die längere Laufzeit per Bahn kann durch entsprechende Planung ausgeglichen werden“ Jörg Seyffarth, Supply Chain Management, Freixenet GmbH Neue Impulse für den Schienengüterverkehr Verdoppelung der Kapazitäten auf der Gotthard-Route Einen zusätzlichen Schub für den Schienengüterverkehr im Alpentransit soll der neue Gotthard-Basistunnel zwischen Erstfeld und Bodio bringen. Derzeitiger Termin für die Inbetriebnahme der zwei Einspurröhren mit einer Länge von 57 Kilometern (längster Eisenbahntunnel der Welt) ist Dezember 2016. Von der neuen Verbindung wollen die Bahnen profitieren, allen voran die SBB Cargo. „Wenn der 4-Meter-Korridor realisiert ist, können dadurch pro Jahr 210.000 LKW-Fahrten vermieden werden“, sagte Edmund Prokschi, Leiter Vertrieb & Angebotsentwicklung bei der SBB Cargo International. Durch die Tunnelführung werde zudem das Problem des Lärmschutzes deutlich reduziert. Und nicht zuletzt steigt die Konkurrenzfähigkeit zur Straße, weil es sich um eine Flachbahn handelt: Es können längere Züge mit höheren Lasten durch die Schweiz fahren bei gleichzeitigem Verzicht auf eine Schiebelok. Die Zahl der Züge auf der Gotthardtrasse erhöht sich von 140 bis 180 Züge auf 220 bis 260 Züge. Prokschi geht davon aus, dass sich die Transportkapazität von 20 Millionen auf 50 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht. Ein Risiko bleibt aber der Zulauf im Norden wie im Süden. Hier sind Italien und die Bundesrepublik gefragt. „Ich gehe davon aus, dass ab 2020/2022 der 4-Meter-Korridor zur Verfügung steht“, zeigte sich Prokschi zuversichtlich. cd

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