Risikomanagement

Risikomanagement Auf der Suche nach dem Plan B Kunden achten aus Gründen der Lieferketten-Sicherheit bei ihrer Dienstleister-Auswahl verstärkt darauf, wie sich diese gegen Risiken absichern – Stichwort Risikomanagement. Eine neue Serie zeigt, was dafür zu tun ist. Man muss Instrumente schaffen, um die Risiken im Griff zu behalten“, sagt Georg Dettendorfer. Und genau dieses Credo hat der Geschäftsführer des gleichnamigen Transport- und Speditionsunternehmens in Nussdorf auch umgesetzt: In seinem Betrieb (300 Mitarbeiter) wird alles getan, um böse Überraschungen zu verhindern. So überwacht Dettendorfer ständig die Bonität seiner Auftraggeber, damit Forderungen nicht plötzlich ausfallen. Außerdem schlägt sein betriebseigenes Controlling sofort Alarm, wenn die Umsätze eines Kunden zu groß werden und eine gefährliche Abhängigkeit droht. „Vor fünf Jahren ist uns ein Großkunde aus strategischen Gründen weggebrochen“, erzählt der Spediteur. Durch das vorhandene Risikomanagement sei das Unternehmen aber zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen. Zusätzlich überwacht Dettendorfer ständig die Personaldecke und Treibstoffpreise seines Unternehmens. Dieses systematische Risikomanagement ist aber nicht nur unternehmerisch sinnvoll, sondern wird von großen Auftraggebern, etwa aus der Automobil- und Chemieindustrie, auch von Dettendorfer gefordert. „Teilweise kommen die Kunden sogar ins Haus, um unsere Systeme zu prüfen“, erzählt der Unternehmer. Empfindliche Störungen Auf den „Worst Case“ – den schlimmsten Fall – vorbereitet zu sein, das wird auch in der Transportbranche immer wichtiger. Denn eine Reihe von Katastrophen hat das Thema Risikomanagement vielerorts auf den Tisch gebracht (siehe Kasten Seite 39): Zunächst kamen die Anschläge vom 11. September 2001, dann der Tsunami in Asien 2004, zuletzt das Erdbeben und die Reaktorkatastrophe in Japan. „Spätestens seit der isländischen Aschewolke im März 2010 wissen alle, wie angreifbar die Lieferketten sind“, bestätigt Michael Kubenz, Präsidiumsmitglied des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV). Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Gefahrgut-Spedition Kube & Kubenz in Hamburg und kennt die Ansprüche der Kunden, die längst mehr als das reine Einhalten des Sicherheits- und Qualitäts-Bewertungssystems SQAS erwarten. „Das reicht bis zur Frage, was passiert, wenn sich eine Wespe in die Fahrerkabine verirrt“, erzählt Kubenz. Hinter diesen Forderungen nach mehr Risikomanagement stehen insbesondere die Verlader, die um die Stabilität ihrer Lieferketten bangen. Denn gerade in den letzten Jahren ist die Zahl der Fälle deutlich gestiegen, in denen logistische Abläufe durch plötzliche Ereignisse empfindlich gestört wurden. So musste der Automobilhersteller BMW nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull vor zwei Jahren seine Produktion an mehreren Standorten stoppen – weil einfach Teile fehlten. In Japan mussten dagegen Reedereien vor einem Jahr nach der Nuklear-Katastrophe in Fukushima ihre Flotten nach Kobe umleiten und dadurch längere Laufzeiten durch zusätzliche Straßentransporte in Kauf nehmen. Und als Anfang letzten Jahres das Frachtschiff „Waldhof“ auf dem Rhein kenterte, legte die Havarie einen Großteil der deutschen Binnenschifffahrt lahm. Vor allem die chemische Industrie an der Rheinschiene musste schnell umdenken und die Rohstoffversorgung auf die Bahn umstellen. Kein Wunder also, dass die verladende Wirtschaft mehr Risikomanagement-Maßnahmen von ihren Transport- und Logistikdienstleistern fordert. Auf Nummer sicher Denn Hauptleidtragende bei solchen Naturkatastrophen und Störungen sind in erster Linie die Verlader. „Die Haftung der Frachtführer ist dagegen begrenzt“, führt Professor Thomas Wieske aus, Direktor des Instituts für Logistikrecht & Riskmanagement (ILRM) an der Hochschule Bremerhaven. Der Grund: Hält ein Spediteur den Liefertermin nicht ein und handelt weder vorsätzlich noch leichtfertig, muss er, so der Jurist, maximal das Dreifache der Frachtrate zurückzahlen. Weitergehende finanzielle Schäden, etwa wenn beim Kunden die Bänder stillstehen, muss er laut Wieske nicht tragen – es sei denn, etwas anderes wurde vertraglich vereinbart. Deshalb wollen in jüngster Zeit immer mehr Auftraggeber auf Nummer sicher gehen und treffen zusätzliche Regelungen: „Gerade Großunternehmen fragen nach Notfallmaßnahmen“, beobachtet Wieske, der sowohl Verlader als auch Frachtführer berät. Ein Beispiel: Ein Spediteur organisiert für den Kunden einmal im Monat den Transport von fünf Containern per Schiff von Shanghai nach Rotterdam. Anstatt sich auf die zuverlässige Lieferung zu verlassen, fordert der Auftraggeber mehr: Er will, dass der Speditionsdienstleister für Notfälle auf Luftfrachtkapazitäten zugreifen kann. „So etwas ist immer häufiger Teil einer Ausschreibung“, beobachtet Wieske. Auch Ladungen schnell auf andere Verkehrsträger umlenken zu können, wird als Teil eines Risikomanagements angesehen. Die entsprechenden Notfallpläne müssen in der Schublade liegen. „Hier ist das Gespräch mit dem Kunden unerlässlich“, sagt Michael Kubenz. Kein Wunder, schließlich müssen zur Abwehr von globalen Risiken ganze Lieferketten angepasst werden. Will der Kunde zum Beispiel 100-prozentige Versorgungssicherheit, kann es im Einzelfall auch sinnvoll sein, ein zusätzliches Pufferlager einzurichten. Der Firmenchef gibt allerdings zu bedenken, dass Aufwand und Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos oft in keinem Verhältnis stehen. „Die Frage ist immer: Wer zahlt für die Redundanz?“ Ein gutes Argument, zumal selbst bei großen Katastrophen die logistischen Folgen oft geringer sind als zunächst angenommen. Infolge der Aschewolke aus Island kam es, um ein konkretes Beispiel zu nennen, im Luftfrachtverkehr zu einem riesigen Stau, vor allem bei Sendungen aus Asien. Nach gut zwei Wochen war dieser Berg aber schon wieder abgetragen, und die meisten Lieferketten waren repariert. Deshalb sollten sich Transport- und Logistikdienstleister nicht zu sehr auf Großkatastrophen konzentrieren, schließlich sind es meistens ganz alltägliche Gefahren, die das Geschäft bedrohen, wie etwa Personalknappheit, Energiekosten, politische Entscheidungen und Veränderungen auf der Kundenseite (siehe Kasten links). Experten warnen zudem vor Brandherden, die durch Fehler in der Verzollung entstehen oder durch die Fracht selbst. Beispiel: Der Logistikdienstleister transportiert Waren, bei denen später festgestellt wird, dass es sich um Produktfälschungen handelt. In solchen Fällen muss zunächst der Spediteur haften – ein Risiko, dass einen Betrieb nicht selten in die Pleite treibt. Ähnlich gefährlich kann finanzielle Blauäugigkeit sein: Laut der Studie der Hochschule Fulda prüft zum Beispiel rund ein Drittel aller Spediteure nicht die Bonität eines Neukunden. Stattdessen vertrauen sie einfach darauf, dass gezahlt wird. Tägliche Gefahren im Blick Experten wie Professor Wieske raten daher, mittels Risikomanagement zunächst die alltäglichen Gefahren im Blick zu behalten. Frachtführer sollten sich zum Beispiel gegen Kreditausfälle und Brandschäden versichern. „Schon während der Vertragsverhandlung mit dem Kunden muss geklärt werden, wer die Zusatzkosten dafür trägt“, sagt Wieske. Stattdessen würden oft solche Punkte überhaupt nicht oder nur „auf Zuruf“ geregelt – was im Schadensfall zu enormen Risiken führe. Außerdem gelte es, normale Sicherheitsregeln einzuhalten – Stichwort: Ein- und Ausgangskontrolle im Lager. Diese Maßnahmen gehörten zwar schon immer zur unternehmerischen Sorgfalt. Heute aber, im Zeitalter globaler Lieferketten, sind die Folgen von Fehlverhalten laut Wieske viel schwerwiegender. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Mehr denn je ein Thema: Risikomanagement Risikomanagement Auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein – die neue Serie in der VerkehrsRundschau VR 39: Warum Risikomanagement wichtiger wird VR 41: Was Spediteure dafür leisten müssen Risikomanagement Risikomanagement Die Wertschöpfungsketten werden immer internationaler und dadurch komplexer. Gleichzeitig werden sie anfälliger, weil die Zahl der Risiken steigt. Mit der Folge, dass Auftraggeber von ihren Transport- und Logistikpartnern verstärkt aktives Risikomanagement fordern, um ihre Lieferkette stabil zu halten. Dieses soll gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkennen und abwehren, zumindest aber diese durch vorab definierte Notfallpläne abmildern. Auch die Banken achten zunehmend darauf, dass Spediteure mögliche Risiken in ihrem Geschäft offenlegen; Regeln wie Basel 2 zwingen sie dazu. Teilweise machen sie sogar Kreditzusagen davon abhängig. Schließlich schauen Wirtschaftsprüfer genauer darauf, wie eine Firma mit Risiken umgeht; Auslöser hier ist die Novelle des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich. eh/cg Hintergrund Risikomanagement Checkliste Welche existenzbedrohenden Entwicklungen Sie im Blick haben müssen Steigende Energiepreise Verkehrspolitische Entscheidungen (etwa Maut) und neue Umweltschutzauflagen Personalknappheit Forderungsausfälle, Verlust von Großkunden, steigende Kundenanforderungen Nicht planbare Verkehrssituation, Veränderungen in der Verkehrsinfrastruktur Risiken im Tagesgeschäft, zum Beispiel Auslastungsschwankungen Verschärfte Wettbewerbsbedingungen, zum Beispiel durch ausländische Anbieter oder Firmenzusammenschlüsse Neue Anforderungen von Banken und Versicherungen Verschlechterung der Konjunktur Finanzielle Risiken, zum Beispiel zu geringe Liquidität Bedrohung durch Kriminalität, zum Beispiel Diebstahl von Waren Quelle: Huth/Lohre 2009 Die größten Risiken für Transport- und Speditionsfirmen

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