Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will die im Nordirland-Protokoll vereinbarten Warenkontrollen zum Schutz des EU-Binnenmarktes außer Kraft setzen. Ein am Montag ins Unterhaus eingebrachter Gesetzentwurf soll die mit Brüssel vereinbarte Brexit-Regelung für Nordirland einseitig ändern. Neben der Ersetzung der Warenkontrollen durch freiwillige Regelungen soll die Rolle des Europäischen Gerichtshofs beschränkt und Großbritanniens Spielraum bei Regelungen zur Mehrwertsteuer vergrößert werden, wie dpa berichtet.
Das Gesetz sei notwendig, um Stabilität und den Frieden in der früheren Unruheprovinz zu sichern, sagte die britische Außenministerin Liz Truss. Sie fügte hinzu: „Wir sind weiterhin offen für Gespräche mit der EU.“ Fortschritte könne es aber nur geben, wenn Brüssel Änderungen an der als Nordirland-Protokoll bezeichneten Vereinbarung akzeptiere.
Kritik von Brüssel bis Dublin
EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic machte hingegen deutlich, dass eine Neuverhandlung des Nordirland-Protokolls nicht infrage kommt. „Das würde für die Menschen und Unternehmen in Nordirland einfach nur weitere rechtliche Unsicherheit bedeuten“, so Sefcovic am Montagabend in Brüssel. Die EU-Kommission werde nun erwägen, das wegen früherer Verstöße begonnene, dann aber auf Eis gelegte, rechtliche Verfahren gegen London wieder aufzunehmen. Auch die Einleitung weiterer Vertragsverletzungsverfahren, die den europäischen Binnenmarkt schützen könnten, werde geprüft. Irlands Premierminister Micheal Martin erklärte, es sei „sehr bedauerlich für ein Land wie Großbritannien, ein internationales Abkommen zu brechen“.
Gegenwind für Johnson kam auch aus Nordirlands Hauptstadt Belfast. In einem von 52 der 90 Abgeordneten im nordirischen Regionalparlament unterzeichneten Brief hieß es, der Gesetzentwurf stehe im Widerspruch zum ausdrücklichen Wunsch von Unternehmen und Menschen in Nordirland.
Scharfe Kritik kam von der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein, die bei der Regionalwahl im Mai erstmals stärkste Kraft in Nordirland wurde. Lobende Worte fand hingegen Jeffrey Donaldson, der Chef der protestantisch-unionistischen Partei DUP, die in Nordirland aus Protest gegen das Protokoll die Bildung einer Einheitsregierung blockiert. Was die Regierung in London vorgelegt habe, sei eine Lösung und das sei es, was man derzeit brauche, so Donaldson.
Folgen des Brexits
Das Nordirland-Protokoll ist Teil des 2019 geschlossenen Brexit-Abkommens. Es sieht vor, dass die zum Vereinigten Königreich gehörende Provinz weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Europäischen Zollunion folgt. Damit sollen Warenkontrollen zum EU-Mitglied Republik Irland verhindert werden, um ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Gegnern und Befürwortern einer Vereinigung der beiden Teile Irlands zu verhindern. Dafür ist nun aber eine innerbritische Warengrenze entstanden.
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte die Vereinbarung im Wahlkampf 2019 gegen den Willen der DUP durchgesetzt und als großen Durchbruch gefeiert. Anschließend gewann er eine deutliche Mehrheit bei der Parlamentswahl. Inzwischen ist er aber wegen der Affäre um Lockdown-Partys im Regierungssitz in Bedrängnis geraten. In der vergangenen Woche musste er sich einer Misstrauensabstimmung in der eigenen Fraktion stellen. Er konnte sich zwar durchsetzen, gilt aber als politisch angezählt. Nach Einschätzung von britischen Kommentatoren will er sich mit dem Schritt die Unterstützung der Brexit-Hardliner in seiner Fraktion sichern. (dpa/jl/ste)