Pragmatische Lösungen

Interview Pragmatische Lösungen Vor der IAA Nutzfahrzeuge spricht VDA-Präsident Matthias Wissmann im Interview über den Verkehrsminister, alternative Antriebe, aerodynamische Trailer, den Feldversuch Lang-LKW, die Maut für Euro 6,drohende CO2-Regelungenund die Euro-Krise. Herr Wissmann, in einer VerkehrsRundschau-Umfrage wünscht sich das Transportgewerbe vom Verkehrsminister unter anderem mehr Infrastrukturinvestitionen, den Lang-LKW sowie die Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn: Was wünscht sich der VDA? Matthias Wissmann: Am nächstliegenden ist eine Entscheidung über die Mautstaffelung zugunsten von Euro 6. Wir hoffen, dass das Ministerium hier in den nächsten Wochen Klarheit schafft. VDA und Transportgewerbe vertreten hier die gemeinsame Meinung, dass die aufwendige Anschaffung eines Euro-6-Lkw bei der Mautstaffelung spätestens ab Herbst 2013 berücksichtigt werden muss. Ansonsten drücke ich Minister Ramsauer die Daumen, bei allem, was er tut, um die Infrastrukturinvestitionen zu erhöhen. Solange dies ohne zusätzliche Belastungen für das Güterverkehrsgewerbe und die Autofahrer passiert. Und rückblickend, wie beurteilen Sie die Arbeit Ihres Amtsnachfolgers? Ich finde es sehr erfreulich, dass das Ministerium und die schwarz-gelbe Koalition eine sehr pragmatische und unideologische Verkehrspolitik betreiben, bei der verkehrswirtschaftliche Themen im Vordergrund stehen. Das zeigt sich an Entscheidungen wie dem Feldversuch Lang-LKW, der Erhöhung von Infrastrukturinvestitionen und der Unterstützung einer realistischen CO2-Regulierung in Europa. CO2 ist ein gutes Stichwort. Alternative Antriebe werden auf der IAA ein großes Thema sein. Welches sind Ihre Highlights? Klar ist, dass wir bei leichten Transportern bis 3,5 Tonnen eine Vielzahl von interessanten Ideen rund um das Thema elektrisches Fahren sehen werden. Da hat dieser Antrieb eine enorme Perspektive. In der Fahrzeugklasse darüber bietet Hybrid ein Einsparpotenzial von bis zu fünfzehn Prozent, wie Modelle unserer Hersteller beweisen. Beim Schwerlaster hingegen sind wir noch lange auf moderne und effiziente Dieselmotoren angewiesen. Hier bietet insbesondere die Aerodynamik großes Entwicklungspotenzial. 40 Prozent des Kraftstoffverbrauchs haben mit dem Luftwiderstand zu tun. Wir werden dazu auf der IAA sehr viele interessante Konzepte sehen. Der DPD ist in Österreich mit Elektro-Transportern gescheitert – zu wenig Reichweite, zu wenig Zuladung. Kann die Industrie nicht liefern? Wir haben stets betont, dass die Batterie-Technologie für die Industrie eine große Herausforderung darstellt. Der Wirkungsgrad muss noch erheblich gesteigert werden. Ingenieure sprechen von Faktor drei oder vier in den nächsten zehn Jahren. Dann sind auch größere Reichweiten und wirtschaftlichere Einsatzszenarien möglich. Zudem müssen Zyklenfestigkeit und Aufladegeschwindigkeit verbessert werden. Wir sehen viele interessante Entwicklungen, aber der Weg zum Ziel ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Carbazol soll die Brennstoffzelle als Batteriealternative wiederbeleben. Ein sinnvoller Ansatz? Der VDA ist auch hier technologieoffen. Man darf nicht den Fehler machen, sich zu früh auf eine Technologie festzulegen. Wasserstoff und Brennstoffzelle sind für einige unserer Hersteller schon seit langer Zeit ein wichtiges Thema. Aber es ist jetzt noch zu früh, das Potenzial von Carbazol im Detail zu bewerten. Und Oberleitungen? Siemens erprobt sie auf einem Testgelände derzeit als Energiespender für LKW. Auch hier sind wir strategisch offen. Aufgrund meiner langen politischen Erfahrung stelle ich mir allerdings die Frage, wer die hohen Investitionen in die Oberleitungen stemmen soll. Wir reden hier im Zweifel von Milliarden Euro. Noch würde ich diesen Gedanken eher in den Bereich der Visionen einordnen, zumal eine deutsche Insellösung angesichts des großen Anteils internationaler Verkehre hier auch nicht sinnvoll wäre. ➞ Neben den Antrieben ist Aerodynamik gerade das Thema bei den Herstellern. Es sollen auf der IAA optimierte Trailer gezeigt werden. Was gibt es zu sehen? Bei der Aerodynamik gibt es ein paar klassische Themen, die eine Rolle spielen. Radabdeckungen sind so ein Beispiel, ein anderes die Trailergestaltung. Die eigentliche Kernfrage sind die Abmessungen. Hier ist auch die Politik gefordert, die Herausforderungen anzunehmen und neue Lösungen, beispielsweise durch eine entsprechend angepasste Richtlinie, zu ermöglichen. Beim Feldversuch mit Lang-LKW hat die Bundesregierung das übrigens – trotz unverändert großer Widerstände – getan und den Weg für einen unideologischen Praxistest geebnet. Das sollten auch die Kritiker anerkennen. Das sind aber zwei Paar Schuhe – der Lang-LKW und ein etwas verlängerter aerodynamisch optimierter Trailer. Sehen Sie politisch eine Chance für den kleinen Langen? In Brüssel ist man gegenüber kleineren Veränderungen der Abmessungen durchaus offen, auch das Verkehrsministerium ist in diesem Punkt eher pragmatisch. Die Kommission hat das zudem im Weißbuch Verkehr festgehalten. Die Politik sieht den Nutzen. Unser Problem besteht eher an der ideologischen Front. Es gibt in Deutschland noch zu viele, die in alten Denkschablonen verhaftet sind und so nicht den ökologischen Vorteil sehen. Zum Thema Länge wurde in diesem Jahr der Feldversuch Lang-LKW gestartet. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung? Der Start war aufgrund der Widerstände in einzelnen Bundesländern nicht leicht, aber wir kommen voran. Die Bundesregierung hat jüngst wichtige Lücken im Netz geschlossen. Jetzt hoffe ich, dass die Zahl der Unternehmen steigt, die die Chance ergreifen, den Lang-LKW einzusetzen. Rechnen Sie mit den angestrebten 400 Fahrzeugen? Es ist nicht entscheidend, ob der Feldversuch mit 400 oder 250 Öko-Lastern durchgeführt wird. Die Anzahl der Fahrzeuge wird in jedem Fall reichen, um den Versuch sinnvoll auszuwerten. Man merkt ja auch, in der Europäischen Union ist die Offenheit für dieses Thema größer als bei manchem etwas provinziellen Blick in Deutschland. Erwarten Sie, dass in fünf Jahren Lang-LKW auf deutschen Straßen rollen? Es wäre ein Gebot der Vernunft. Wir werden uns auf Dauer nicht vom Rest Europas abkoppeln können. Ein anderes Politikum ist derzeit die Maut für Euro 6. Gemeinsam mit dem BGL hat der VDA einen Mautkompromiss an das Bundesverkehrsministerium übersandt. Wird der Bund Ihnen folgen? Intelligente Vorschläge haben hohe Überzeugungskraft. Alle Fachleute finden unseren Vorschlag gut. Jeder ist sich darüber im Klaren, dass Investitionen in die Euro-6-Technologie durch einen attraktiven Mautsatz begleitet werden müssen. Daher fordern wir eine eigene Mautklasse für Euro 6, die vier Cent günstiger ist als die nächste Mautklasse. Bis 2016 soll diese Spreizung auf zwei Cent reduziert werden, damit gebrauchte Euro-5-LKW wertstabil bleiben. Rechnen Sie mit der Entscheidung zur IAA? Es wäre ein guter und passender Zeitpunkt, Klarheit für Industrie und Transportgewerbe zu schaffen. Reichen die vier Cent aus, um die Mehrkosten, die Euro-6-Fahrzeuge in der Anschaffung und teilweise im Verbrauch verursachen, zu kompensieren? Die Politik hat Euro 6 beschlossen, jetzt geht es darum, dass die Fahrzeuge auch in den Markt kommen. Das ist ein aktiver Beitrag für mehr Umweltschutz. Wir sind uns mit dem BGL einig, dass eine solche Maßnahme kommen muss. Dieses Instrument hat sich ja schon bei früheren Euro-Normen bewährt. Vor allem brauchen die Unternehmen eine stabile Planungsgrundlage, mit der sie langfristig rechnen können. Jede Investition wird mit spitzem Bleistift kalkuliert, der Wettbewerbsdruck bei Speditionen und Transportunternehmen ist ja sehr hoch. Die vier Cent sind unserer Auffassung nach eine vernünftige Vorgabe. Die Opposition fordert eine Ausweitung der Maut auf Fahrzeuge mit 7,5 oder 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. Ist dies sinnvoll? Ich bin dagegen, die Maut auf immer mehr Verkehrsbereiche auszudehnen. Bislang hat die Politik nicht überzeugend bewiesen, dass sie das Geld, das zusätzlich eingenommen wird, auch vollständig für den Verkehrssektor verwendet. Zwar wird das Mautaufkommen jetzt in die Infrastruktur investiert, im Gegenzug sinken aber seit einigen Jahren die steuerfinanzierten Verkehrsinvestitionen. Die Gesamthöhe der Investitionen blieb nahezu unverändert. Die Zwölf-Tonnen-Grenze hatte die Politik damals bewusst gewählt, weil damit auch der grenzüberschreitende Verkehr aus dem Ausland erreicht wird. Je weiter es nach unten geht, desto mehr sind nur noch lokale Verkehre betroffen. Das würde den Wettbewerb verzerren und die Transportleistungen nur verteuern. Auch ist zu bedenken, dass leichtere Fahrzeuge niedrigere Wegekosten aufweisen. Die zusätzlichen Einnahmen wären daher im Vergleich zum Anstieg der Systemkosten überschaubar. Nach der Abgas- und Partikelreduktion über Euro 6 steht nun der Kampf gegen Kohlendioxid an. Was tut sich in Sachen CO2-Reduktion in Brüssel? Die klassischen Schadstoffemissionen beim Nutzfahrzeug sind mit Euro 6 so weit reduziert, dass nur noch Spurenelemente messbar sind. Eine weitere Absenkung würde – mit erheblichen Kosten – Fortschritte nur noch im Mikrobereich bringen. Das wäre weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Wir brauchen vielmehr Investitionen in Maßnahmen, die den Verbrauch senken helfen. Damit sinkt auch der CO2-Ausstoß. Ich habe den Eindruck, die EU-Kommission weiß beim Thema CO2-Reduzierung für schwere Nutzfahrzeuge mittlerweile sehr wohl, dass das nicht nach einfachen Mustern wie beim PKW geht. Es geht vielmehr darum, der Komplexität des Nutzfahrzeugs aus gezogener und ziehender Einheit Rechnung zu tragen. Die Kommission ist sich vor diesem Hintergrund noch nicht im Klaren, wie sie die CO2-Regelung gestalten soll. Aus den Gesprächen mit der Kommission weiß ich, dass den Kommissaren die Problematik bewusst ist. Könnte Green-House-Gas 14 aus den USA ein Vorbild sein? Wer die amerikanische Gesetzgebung kopieren will, muss bedenken, dass die Nutzfahrzeuge dort grundsätzlich anders ausgelegt sind als bei uns. Auch bei den Abmessungen. Wenn man kopiert, dann bitte auch das gesamte Truck-System der USA. Aber das ist mehr als unwahrscheinlich. Hier in Europa stehen wir im Bann der Finanzkrise. Wie ist die Stimmung unter Ihren Verbandsmitgliedern? Sie ist geprägt von pragmatischem Realismus. Wir sind weit entfernt von den Rückgängen in 2008 und 2009. Da war mitunter die Zahl der Abbestellungen größer als der Auftragseingang. Wie bereitet sich die Automobilindustrie derzeit auf die Eurokrise vor? Die deutsche Nutzfahrzeugindustrie hat in der Krise 2008/2009 eine eindrucksvolle Anpassung vollzogen. Sie hat die Belegschaften weitgehend an Bord sowie die Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen stabil gehalten. Daher sind die Unternehmen heute flexibler und effizient aufgestellt. Wir alle wissen, dass die Konjunkturschwankungen im Nutzfahrzeugbereich stärker sind als im PKW-Markt. Wir haben gelernt, mit dem Auf und Ab der Konjunktur ganz gut zurechtzukommen. Aber ein Spaziergang ist das natürlich nicht. ❙❚■ Serge Voigt Matthias Wissmann Von Haus aus Schwabe: Der Präsident des Verbands der Automobilindustrie VDA wurde am 15. April 1949 in Ludwigsburg geboren. Matthias Wissmann studierte Rechtswissenschaften, Politologie und Volkswirtschaft in Tübingen, war Bundesvorsitzender der Jungen Union, CDU-Bundesvorstand und Präsident der Union Junger Christlicher Demokraten. Von 1976 bis 2007 saß er im Bundestag, war 1983 bis 1993 wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und 1991 bis 2007 stellvertretender Landesvorsitzender der CDU Baden-Württemberg. 1993 bekleidete er fünf Monate lang das Amt des Bundesministers für Forschung und Technologie, bevor er von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr wurde. Dem folgten Aufgaben als Bundesschatzmeister der CDU und der Vorsitz des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie. 2002 bis 2007 saß Matthias Wissmann dem Ausschuss für Angelegenheiten der EU vor. Seit 1. Juni 2007 ist er Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA). In diesem Jahr erlebt er nach der Krisen- und der Aufschwungs-IAA seine dritte Nutzfahrzeug-IAA – diesmal im Zeichen der Euro-Unsicherheit. sv Wissmann: Das Gewerbe braucht Sicherheit, daher muss die Mautregelung für Euro 6 schnell beschlossen werden Klare Sache: Der Lang-LKW muss kommen VerkehrsRundschau-Redakteur Serge Voigt im Gespräch mitVDA-Präsident Matthias Wissmann Vita Interview Interview