In Mexiko wird kräftig gebaut: Bagger und Kräne sind im Dauereinsatz, um neue Industrieparks zu errichten. Vom großen US-Elektroautobauer Tesla bis zum chinesischen Leichtmetallradhersteller Lizhong: Unternehmen aus der ganzen Welt betreiben „Nearshoring“ und siedeln sich in dem lateinamerikanischen Land an. Auch in anderen Teilen der Welt lässt sich der Trend beobachten.
„Nearshoring bedeutet die Verlagerung der Produktion näher an den Endkunden. Das ist in Mexiko fast immer die USA“, sagt der Direktor der Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI) für Mexiko und die Karibik, Edwin Schuh. „Das heißt beispielsweise, dass Unternehmen aus China, Deutschland oder selbst den Vereinigten Staaten ihre Produktion aus anderen Orten nach Mexiko verlagern, um für den US-Markt zu produzieren.“
Deutsche Unternehmen verlagern Standorte nach Osteuropa
Ähnlich geht es Unternehmen in Europa und Asien, nicht zuletzt aus strategischen Gründen: Apple hat Produktionskapazitäten von China nach Indonesien verlagert, Sony stellt Smartphones nun in Thailand her und Sportartikelhersteller wie Nike und Puma lassen verstärkt in Vietnam fertigen. Deutsche Unternehmen verlagern ihre Standorte oftmals nach Osteuropa.
„Gründe für das Nearshoring sind die Erosion der Welthandelsordnung, die aggressive Außenhandelspolitik einzelner Länder wie China und USA, größere geopolitische Spannungen und Lieferkettenprobleme beispielsweise in der Corona-Pandemie“, sagt der Direktor des Forschungszentrums Innovationen und internationaler Wettbewerb am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, Dirk Dohse. „Den Unternehmen geht es beim Nearshoring vor allem um Sicherheit.“
Verkürzte Transportwege
So standen während der Corona-Pandemie in vielen Autofabriken die Bänder still, weil es an Kabelbäumen und Mikrochips mangelte. Derzeit bahnen sich wegen des Ukraine-Kriegs Lieferengpässe beim Gas Neon an, das für die Herstellung von Halbleitern benötigt wird.
„Eine Erfahrung aus der Corona-Pandemie ist, dass lange Lieferketten verwundbar sind“, sagt der Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien. „Langfristig kann Nearshoring auch beim Schutz der Umwelt und dem Kampf gegen den Klimawandel helfen, weil die Transportwege verkürzt werden.“
Mexiko als Nutznießer
Mexiko könnte einer der großen Nutznießer des Nearshorings werden: Das Nordamerika-Freihandelsabkommen ermöglicht zollfreie Aus- und Einfuhren zwischen den Handelspartnern USA, Mexiko und Kanada.
Die Lohnkosten in Mexiko sind mittlerweile deutlich geringer als in China. Die Volksrepublik als „Werkbank der Welt“ steht nicht nur wegen steigender Löhne und einer alternden Bevölkerung unter Druck. Auch die zunehmenden Spannungen mit den USA haben dazu geführt, dass internationale Unternehmen ihre Lieferketten neu ausrichten.
Dies gilt insbesondere für den Technologiesektor. So ist der Smartphone-Gigant Apple derzeit dabei, seine erhebliche Abhängigkeit von China zu reduzieren. Der taiwanische Apple-Zulieferer Foxconn will eine neue große Produktionsstätte in Indien eröffnen.
Bedeutet der Trend zum Nearshoring nun ein Ende der Globalisierung?
„Nearshoring ist eine Korrektur der übermäßigen Ausdehnung der Lieferketten“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung. „Das ist sinnvoll, weil das Verhältnis zwischen Sicherheit und Kosteneffizienz bislang nicht richtig austariert war.“Auch Ökonom Dohse vom IfW sieht noch keine grundsätzliche Trendwende: „Das Ende der Globalisierung ist das nicht, eher eine Anpassung.“