Mit zwei Gesichtern

Eigentlich ist der Test-LKW untypisch: Ein R 520 mit dem Overdrive-Getriebe eines R 580. Ursprünglich kam der blaue Streamline-Scania auch als R 580 auf die Welt. Weil aber drei Viertel aller deutschen Kunden den R 520 bevorzugen, programmierte Scania ihn herunter - die Elektronik macht's bei ansonsten baugleicher Technik möglich. So stemmen die acht Kolben des 16,4 Liter großen V-Motors 2700 Nm auf die Kurbelwelle. Damit käme auch ein normales Getriebe klar - so wie es 99 Prozent aller Kunden auch kaufen. Verbrauchsrekorde würde das Testauto wegen des Kräfte zehrenden Overdrives also nicht aufstellen, soviel war schon vorher klar. Mit gebremster Energie Zudem hatten ihn seine Erbauer mit dem neuen GPS-Tempomaten ausgerüstet, der im Eco-Modus die Geschwindigkeit an Kuppen im Sinne eines niedrigen Kraftstoffkonsums auf minus zwölf Prozent (bei 85 km/h bedeutet dies 75! km/h an der Kuppe) fallen lässt. Deshalb kann der V8 auf den Anstiegen der A 93 Richtung Nürnberg sein Leistungsplus nur zum Teil ausspielen. CCAP - so nennt Scania den GPS-Tempomat - lässt die Drehzahl weit fallen. Die Devise lautet: Lieber mit Moment statt mit Leistung über den Berg. Sieht die Motor-Getriebe-Steuerung eine reelle Chance, zieht sie mit 980 Touren über die Berge. Dann nimmt sie früh zeitig das Gas weg und lässt rollen. Weil kein Fahrer einen V8 so fährt, wurde der Eco-Modus deaktiviert. So rollt der V8 mit immerhin 80 km/h über die Kuppe. Auch nicht besser. Der R 520 fährt immer noch wie ein 440er ... Wehe, wenn er losgelassen ... Die A 3 zurück nach Nürnberg hat ein paar kräftigere Steigungen. Da darf sich der DC16 mal richtig austoben. Und endlich kommt - mit Ausnahme des Getriebes - Freude auf. Der 520er fliegt die Steigung hoch. Während der Fahrer auf der Spar-Tour immer nervöser auf seinem neuen Recaro-Stuhl herumrutschte - übrigens ist der zwar bequem, aber auch nicht besser als das Sitzmöbel vorher - wird jetzt der Beifahrer nervös. Denn "tief fliegen" kostet Diesel. Und der Beifahrer, in Diensten von Scania, ängstigt sich um den Durchschnittsverbrauch. Also zurück ins Eco-CCAP. Auf der A 9 Richtung Ingolstadt und noch besser auf der A 8 von Dasing nach München kann der GPS-Tempomat seine Vorteile so richtig ausspielen. Eher kleine Anstiege lassen das Bergtempo nicht allzu weit fallen. Lang gezogene Gefälle erhöhen das Durchschnittstempo. Am Ende erreicht der R 520, auch mit dem Wechsel zwischen den verschiedenen Fahrmodi, ein durchaus respektables Ergebnis. Für einen LKW jenseits der 500 PS mit ungünstiger Antriebsstrang-Konfiguration ist er sparsam und schnell. Die Interaktion zwischen Motor und Getriebe haben die Schweden mit der zweiten Generation CCAP optimiert. Wobei sparen deutlich höher bewertet wird als Geschwindigkeit. Der GPS-Tempomat arbeitet mit über 99 Prozent Abdeckung. Auf der rund 470 km langen Teststrecke leistet er sich nur an vier ganz kurzen Passagen einen Fehler. Dann wechselte er für wenige Sekunden in einen zu niedrigen Gang oder schaltete trotz Teilbeladung zurück, obwohl der V8 ausreichend Drehmoment hätte, auch im Zwölften zu ziehen. Es ist immer wieder faszinierend, wie CCAP selbst Einflüsse wie Gegenwind in seine Kalkulation miteinbezieht. Generell läuft der V8 sehr leise und insgesamt harmonischer als die Sechszylinder. Die durch den schwereren Motor höher belastete Vorderachse federt etwas komfortabler - auch weil Scania mit Mischbereifung arbeitet und vorne die "höheren" 315/80er montiert. Die optionale Vierbalg-Luftfederung an der Hinterachse führt zu einem ebenfalls - für einen Scania - weicheren Ansprechverhalten. Alles am und im Scania wirkt solide und sauber verarbeitet, inzwischen aber auch ein wenig altbacken. Sich über Windgeräusche aus dem Bereich der Sonnenblende zu beklagen oder über die nicht serienmäßig elektrisch verstellbaren Spiegel sowie das komplette Fehlen einstellbarer Weitwinkelspiegel, wäre quasi Eulen nach Athen zu tragen. Keine Luxusbetten im Edel-Laster Diese Kritik ist ebenso müßig wie die am schwer erreichbaren oberen Bett, an den unseres Erachtens nicht besonders hochwertigen Matratzen oder am umständlich zu handhabenden Ausziehbett unten. In bestimmten Sitzpositionen stört das Zerrbild durch die stark angewinkelten Ecken der Frontscheibe. Ansonsten ist die Rundumsicht okay. Bei Regen könnte das Wischerfeld etwas größer sein. Trotz - oder vielleicht auch wegen - der optionalen Klimaautomatik fällt es dem Schweden nach wie vor schwer, eine konstante Temperatur zu halten. Nach langem Retardereinsatz strömt es heiß aus den Düsen. Und bei entsprechender Teillast weht ein kalter Hauch durchs Fahrerhaus. Die Topline-Kabine kann nicht mit XXL, Gigaspace und Co. mithalten. Der halbrunde Armaturenträger sorgt für gute Ergonomie, schränkt aber mit dem Motortunnel die Bewegungsfreiheit ein. 934 Liter Stauvolumen sind aber ein guter Wert. Der Verzicht aufs obere Bett sorgt für ein besseres Raumgefühl. Der Fahrerplatz mit weitem Sitz- und Lenkradverstellbereich setzt noch immer Maßstäbe. Fast perfekte Ergonomie Ergonomisch günstig zeigen sich das trotz vieler Funktionen leicht bedienbare Multifunktionslenkrad, die einfache Lenkradverstellung sowie das gesamte Bedienkonzept. Die hellbraunen Stoffe sind freundlich aber empfindlich, die Verarbeitung ist okay. Xenon-Scheinwerfer sind verzichtbar. Die Lichtverteilung der serienmäßigen H7-Leuchten sorgt für eine augenfreundlichere Fahrbahnausleuchtung. Das Innenlichtkonzept mit je zwei weißen Deckenstrahlern, roten Nachtlichtern, festen Spots sowie Schwanenhalsleuchten am Bett genügt den meisten Ansprüchen. Unbedingt nötig scheint uns das Streamline-Paket. Auch wenn das zum Start eine Mehrinvestition von fast 1700 Euro bedeutet, lohnt sich der Aufwand am Ende. Die aerodynamische Optimierung spart auf jeden Fall viele Liter Diesel. Wo Scania noch nachlegen könnte, wären bedarfsgerecht arbeitende Zusatzaggregate wie abschaltbare Luftpresser oder Drehstromgeneratoren. Gut gefallen haben uns die sauber arbeitenden Assistenzsysteme. Vor allem ESP regelt jetzt später, aber dennoch sehr zuverlässig, und die Spurbindung nervt nicht unnötig. In punkto Langlebigkeit genießt speziell der V8 einen legendären Ruf. Dem steht ein allenfalls durchschnittliches Abschneiden im TÜV-Report entgegen. Bei den jährlichen Hauptuntersuchungen bemängeln die Prüfer vor allem den Antriebsstrang. Meist sind es wohl Ölundichtigkeiten und Probleme mit der Abgasanlage. Zuverlässig zeigen sich die Schweden beim Kapitel Bremsanlage. Als Resumeé bleibt festzuhalten, dass die Operation "Umstellung V8 auf Euro 6" gelungen ist. Der Motor hat nichts von seiner Faszination und seinem Leistungsvermögen eingebüßt - sondern ganz im Gegenteil 20 PS und 100 Nm dazugewonnen. Ob er sparen oder Zeit gut machen soll, hängt vom Fahrer ab - er kann beides! So präsentiert sich der Schwede ausgereift und (noch) nicht überholt. Test mit Referenz-LKW Testen wie die Industrie Jeden VR-Profi-Test begleitet der redaktionseigene New Actros 1845 mit Voll- und Teilausladung (40/24 Tonnen). Mit diesen Kombinationen haben wir unter Normalbedingungen (windstill, trocken, 20 °C) Basiswerte für die Verbrauchsmessung erfahren. Ändern sich bei der Testfahrt die äußeren Bedingungen durch Wind, Regen oder Temperatur, ändert sich auch der Verbrauch des Referenz-LKW. Um diese Abweichung können wir die Verbrauchswerte des jeweiligen Test-LKW korrigieren und schaffen eine Basis, alle Werte unserer Einzeltests vergleichbar zu machen. Da die Messwerte je nach Witterung um bis zu zehn Prozent abweichen, halten wir eine vergleichende Darstellung ohne Referenz-LKW für nicht legitim. gg Der Scania im TÜV-Urteil Im Fernverkehr muss der V8 alle 90.000 km zum Service, ist aber beim Öl genügsamDetaillierte Ergebnisse unter www.verkehrsrundschau.deServiceintervall (max. 100) 60Abfahrtskontrolle (max. 90) 78Servicearbeiten (max. 80) 67Fahrerfreundlichkeit (max. 90) 68Kleinreparaturen (max. 70) 57Gesamtpunkte: (max. 430) 330Wer hätte es gedacht - Scania ersetzt ab sofort (gegen Aufpreis) den Ölpeilstab (nur noch verkürzt am Motor) durch einen Sensor! Auch ohne diesen Anachronismus finden sich alle relevanten Servicepunkte unter der großen Frontklappe. Nicht gut: Zum Tauschen der Lufttrocknerpatrone sowie des Kraftstofffilters muss die Kabine gekippt werden. 90.000 km Serviceintervall sind wenig. Dafür genügt günstiges 10-W-40-Öl. Der Partikelfilter lässt sich reinigen, muss aber alle 240.000 km getauscht werden. Aufwendig: zwölf Schmiernippel am Fahrgestell. Wasser- und Öleinfüllstutzen sind gut zugänglich, die meisten Behälter sind durchsichtig und erlauben eine einfache Füllstandskontrolle. Die Kupplungshydraulik (2-Pedal) ist nur bei gekippter Kabine erreichbar. Die Ölfilter für Haupt- und Nebenstrom sitzen günstig vorne links, stehend am Motor. Waschwasser für die Frontscheibe füllt der Fahrer gut erreichbar im linken, oberen Einstieg ein. Hinter dem rechten Einstieg findet sich die Luftfilter-Verschmutzungsanzeige. gg

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