Mindestlohn

MindestlohnVereinzelte NadelsticheKehrtwende in der CDU: Jetzt befürwortet auch die Bundeskanzlerin und ihre Partei die Einführung eines Mindestlohns. Das hat kaum Auswirkungen auf uns, sagen die Unternehmensvertreter der Transportbranche. Die Gewerkschaften hingegen sehen das anders. Wir wollen eine Lohnuntergrenze für diejenigen, die nicht von einem Tarifvertrag heute erfasst sind.“ Mit diesem Satz trat Angela Merkel letzten Monat eine kleine Revolution los. Denn er markiert eine Kehrtwende: Seit dem Parteitag in Leipzig unterstützt die CDU erstmals einen Mindestlohn. Freilich soll ihn nicht die Politik vorgeben, sondern eine Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern. Und wie hoch das Minimum sein soll, ließ Merkel ebenfalls offen – obwohl Parteikollegen gefordert hatten, sich an der Zeitarbeitsbranche zu orientieren (7,89 Euro im Westen, 7,01 Euro im Osten). Dennoch: Wie es aussieht, scheinen die Zeiten zu Ende zu gehen, in denen es noch weiße Flecken auf der Tariflandkarte gab. Furcht vor DumpinglöhnenWas bedeutet das für die Transport- und Logistikbranche? Bislang nicht viel, nach den Reaktionen aus der Branche zu urteilen. „Das ist für uns kein Brandthema“, sagt Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). 90 Prozent der im BGL organisierten Unternehmen seien ohnehin tarifgebunden. „Die fürchten sich nicht vor einer Untergrenze – sondern vor Dumpinglöhnen!“, so Schmidt. Auch beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) winkt man ab: „Es besteht keine Notwendigkeit für eine Lohnuntergrenze“, sagt Andreas Stommel, Rechtsexperte beim DSLV in Bonn. Auch er verweist auf die hohe Tarifbindung in der Branche. Angenommen, als Lohnuntergrenze würden sich rund acht Euro durchsetzen, hätte dies keine großen Auswirkungen auf Betriebe, in denen Tarifverträge gelten. Beispiel: In den meisten Bundesländern verdient ein Berufskraftfahrer über 10 Euro pro Stunde und selbst bei qualifizierten Lagerarbeitern steht bundesweit mindestens eine Neun vor dem Komma. Lediglich Kräfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung (das sind laut Bundesamt für Güterverkehr immerhin 31 Prozent der Lagerbeschäftigten) könnten von einer Untergrenze profitieren, denn diese Gruppe gilt als notorisch schlecht entlohnt. Einige ostdeutsche Betriebe zum Beispiel zahlen für Tätigkeiten in Warenannahme oder Kommissionierung weniger als sieben Euro. Fahrer nicht betroffen vom MindestlohnDoch generell sehen auch Firmen, die nicht an einen Tarifvertrag gebunden sind, der Untergrenze gelassen entgegen. „Das ist kein Thema für uns“, sagt Marcus Riecker, Personalleiter bei der Karl Schmidt Spedition in Heilbronn. Das Unternehmen ist auf Silo-Tranporte für die Kunststoffindustrie spezialisiert und beschäftigt über 680 Mitarbeiter. Da die Fahrer sich oft in sensiblen Bereichen bewegen, setzt Schmidt nur Berufskraftfahrer ein. „Solche Leute bekommen Sie nicht für Löhne unter 9 Euro“, betont Riecker. Obwohl die Firma nicht an einen Tarifvertrag gebunden sei, würden durchweg Löhne gezahlt, die über dem von der Politik angepeilten Minimum lägen, so der Personalleiter. Heißt das, ein Mindestlohn würde völlig wirkungslos verpuffen? Das nun auch wieder nicht. Denn der ein oder andere Betrieb in der Branche zahlt durchaus weniger als das angepeilte Minimum. Bloß wie viele dieser schwarzen Schafe gibt es? „Eine große Zahl“, meint Stephan Teuscher, Tarifexperte für das Speditions- und Transportgewerbe bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), Berlin. Auf den ersten Blick seien diese Dumpinglöhne oft nicht erkennbar, so Teuscher. „Die wahren Stundenlöhne werden oft verschleiert, zum Beispiel durch Pauschalvergütungen oder unklare Arbeitszeiten“, so der Gewerkschaftsmann. Verdi seien Fälle bekannt, in denen Stundenlöhne von fünf Euro gezahlt wurden. Rein rechtlich gesehen können solche Entgelte illegal sein. „Es gilt die Sittenwidrigkeitsgrenze“, betont DSLV-Rechtsanwalt Stommel. Hintergrund: Das Bundesarbeitsgericht hat schon vor einiger Zeit die sogenannte Drittelgrenze festgelegt. Sie besagt, dass der gezahlte Lohn nicht mehr als ein Drittel unter dem in der Branche üblichen Niveau liegen darf. Verdienen Fahrer in der Branche und Region im Schnitt 10 Euro pro Stunde, wäre ein Lohn von unter 6,50 Euro sittenwidrig und könnte vor Gericht angefochten werden.Könnte – doch wie wahrscheinlich ist das? In der Praxis werden Löhne höchst selten von Gerichten überprüft. Kommt es dagegen zum Prozess, können die Folgen für die Unternehmen gravierend sein. „Wenn diese Dinge bekannt werden, ist das ruf-schädigend – und zu Recht“, betont DSLV-Anwalt Stommel. Prominentestes Beispiel ist der Textildiscounter Kik, dessen Löhne zweimal vor Gericht als sittenwidrig eingestuft wurden. Hier erhielten einzelne Mitarbeiter Stundenlöhne von 5,20 Euro. Unter dem öffentlichen Druck erhöhte Kik die Untergrenze auf 7,50 Euro.Zu den Branchen, die von einem Mindestlohn vermutlich am ehesten betroffen wären, gehört der KEP-Markt (Kurier-, Express- und Postdienste). Hier sorgen Unternehmen immer wieder mit vermeintlichen oder tatsächlichen Dumpinglöhnen für Schlagzeilen. Zuletzt hatte ein Fernsehbericht dem Paketdienst Hermes vorgeworfen, so schlecht zu bezahlen, dass Fahrer nahezu für umsonst arbeiten. Hintergrund: Ein Heer von relativ kleinen Subunternehmern wird von den Paketdiensten pro ausgeliefertem Paket bezahlt. Abzüglich einer Marge für den Depotbetreiber bleibt für den Fahrer dann unter Umständen nicht viel übrig. Zahlt der Dienstleister zum Beispiel 1,40 Euro pro Paket und der Depotbetreiber behält 80 Cent für sich, muss der Fahrer sich mit 60 Cent bescheiden – ein Wert, der auf die Stunde umgerechnet alle Lohnuntergrenzen reißt.Welche Folgen hätte dann ein Mindestlohn auf den KEP-Markt? „Es wird ein Kehraus bei den schwarzen Schafen unter den Subunternehmern geben“, erwartet Horst Manner-Romberg, ein auf die KEP-Branche spezialisierter Unternehmensberater aus Hamburg. Depotbetreiber, die allzu großzügige Margen einbehielten, würden Probleme bekommen. Bei den Paketdiensten selbst sieht Manner-Romberg keinen Handlungsbedarf. „Sie können ihren Subunternehmern nicht die Fahrerlöhne diktieren – das würde gegen das Verbot der Scheinselbstständigkeit verstoßen.“Billiganbieter im UmzugsgewerbeVermutlich folgenlos wird der Mindestlohn für Möbelspeditionen sein. Die Branche kämpft nämlich mit einer ganz anderen Sorte von Lohndumping – dem staatlich geförderten. Hintergrund: Die öffentliche Hand vergibt Aufträge oft an sogenannte gemeinnützige Gesellschaften, zum Beispiel Stiftungsbetriebe, die Drogensüchtige oder Langzeitarbeitslose beschäftigen. „Hier wird teilweise nur ein Taschengeld gezahlt“, ärgert sich Dierk Hochgesang, Geschäftsführer des Bundesverbands Möbelspedition und Logistik (AMÖ), Hattersheim. Anderorts helfen öffentlich subventionierte Hartz-IV-Aufstocker bei Umzügen. Diese Modelle sollte die Politik zuallererst beseitigen, fordert Verbandschef Hochgesang. Freilich gibt es auch im Umzugsgewerbe zweifelhafte Anbieter, die mit Angeboten locken wie „Umzugs-LKW plus vier Helfer für drei Stunden – nur 159 Euro“. Diese schwarzen Schafe werden sich vermutlich auch nicht von einem Mindestlohn beeindrucken lassen. Und für Betriebe, die sich heute schon an die Regeln halten, ändere sich ohnehin nichts, so Hochgesang: „Sie bekommen keine Leute, die sich körperlich betätigen, in reguläre Arbeitsverhältnisse für unter 7 Euro.“Osteuropäer müssten mehr zahlenGenau dieses Argument ist von vielen Kennern der Transport- und Logistikbranche zu hören: Mitarbeiter werden bald so knapp, dass es sich ohnehin niemand mehr leisten kann, Dumpinglöhne zu zahlen. „Das wird über den Arbeitsmarkt entschieden“, sagt Schmidt-Personalleiter Riecker. Horst Manner-Romberg bestätigt diese Einschätzung für die KEP-Branche: „Die Realität überholt die Politik: Es gibt einen Wettbewerb um Arbeitskräfte – und deshalb wird auch bald ein Lohnwettbewerb ausbrechen.“ Lediglich die Gewerkschaften schließen sich dieser Prognose nicht uneingeschränkt an. „Ein Mindestlohn stabilisiert alle Löhne – im Lagerbereich etwa haben sich die Lohnbedingungen teilweise verschlechtert“, sagt Verdi-Mann Teuscher.Über einen Punkt herrscht Einigkeit: Klar betroffen von einer gesetzlichen Untergrenze wären vor allem Firmen aus dem EU-Ausland. Sie dürfen seit Mai dieses Jahres ihre Dienstleistungen uneingeschränkt hierzulande anbieten (Arbeitnehmerfreizügigkeit). Und vor allem Zeitarbeiter aus Polen, Tschechien oder Litauen nutzen die neuen Möglichkeiten, um zum Teil unter deutschem Lohnniveau anzubieten. „Das würde ein Mindestlohn unterbinden“, meint Verdi-Experte Teuscher.Wenn er denn kommt. Das ist jedoch alles andere als klar. CDU und CSU wollen noch vor Weihnachten eine Arbeitsgruppe bilden, die eine Einführung der Untergrenze vorbereiten soll. Doch selbst deren designierter Leiter, der CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs, zweifelt daran, dass eine Regelung noch in dieser Legislaturperiode kommt. Klartext: Vor 2013 wird sich vermutlich nichts mehr in puncto Mindestlohn bewegen, zumal die FDP-Spitze weiterhin Ablehnung signalisiert. Die Revolution bleibt also in Wartestellung. ❙❚■ Constantin Gillies, freier JournalistAlles deutet darauf hin, dass die Politik der Wirtschaft einen Mindestlohn aufdrücktBefürworten eine Lohnuntergrenze (von links, alle CDU): Ursula von der Leyen, Karl-Josef Laumann (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft), Bundeskanzlerin Angela Merkel und Norbert RöttgenMindestlohn„Ein Mindestlohn wäre aus Wettbewerbssicht nicht schlecht“Warum Toralf Weiße, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Logistik Leipzig-Halle, die Einführung eines Mindestlohns aus Sicht seines Kooperationsnetzes sogar befürwortet.Sie kommen gerade von einer Versammlung mit Ihren Mitgliedsbetrieben. Wurde hier über das Thema Mindestlohn gesprochen?Toralf Weiße: Ganz ehrlich: Nein. Für unsere Mitglieder ist das kein Thema. Wir sehen das völlig unkritisch.Aber gibt es nicht gerade in den neuen Ländern Betriebe, die ihre Mitarbeiter unterdurchschnittlich entlohnen?Ich möchte nicht ausschließen, dass es Fälle gibt, in denen 7 bis 8 Euro pro Stunde gezahlt werden. Dann geht es aber nicht um den Berufskraftfahrer, sondern um Lagerarbeiter ohne Staplerschein, die extrem einfache Tätigkeiten ausführen, zum Beispiel in Distributionszentren. In der Breite jedoch können sich die Unternehmen solche Löhne schlichtweg nicht leisten, denn unsere Branche schreit nach wie vor nach Arbeitskräften! Wir haben Defizite in allen Positionen, das geht vom kaufmännischen Bereich bis zum Staplerfahrer.Das heißt, ein Mindestlohn hätte keine Wirkung?Ich denke, er hätte vor allem eine Wirkung auf ausländische Firmen. Hier werden zum Teil Löhne gezahlt, die nicht ganz fair sind, zum Beispiel im Schüttgutgeschäft im grenznahen Bereich. Ein Mindestlohn könnte dafür sorgen, dass alle mit den gleichen Ausgangsbedingungen starten – egal ob ein Spediteur aus Rumänien oder Berlin kommt. Das wäre aus Wettbewerbssicht nicht schlecht. cgInterviewToralf WeißeMindestlohnGesetzlicher Mindestlohn: Wer wäre betroffen? Nicht betroffenEtablierte Speditionen im Fernverkehr: Hier liegen die Stundenlöhne – ob tariflich vorgegeben oder frei vereinbart – weit über dem angedachten Minimum von 7 bis 8 Euro. Auch Logistikbetriebe mit qualifiziertem Personal wären von einer Regelung nicht betroffen, da das Gehalt von Staplerfahrern zum Beispiel deutlich über der Untergrenze liegt. Möglicherweise betroffenLogistikbetriebe mit vielen gering qualifizierten Mitarbeitern, die nicht nach Tarif bezahlt werden, müssen bei Mindestlöhnen eventuell neu kalkulieren. Vor allem ungelernte Lagerarbeiter in den neuen Ländern verdienen mitunter weniger als sieben Euro. Ähnlich ist die Lage bei kleinen Subunternehmen der KEP-Branche, in denen Fahrer pro ausgeliefertem Stück bezahlt werden sowie in Betrieben aus dem Ost-EU-Raum. Unklar ist noch die Wirkung einer Lohnuntergrenze, wenn Leiharbeiter eingesetzt werden. Für diese Branche ist zwar schon ein Mindestlohn beschlossen worden, doch die Umsetzung stockt. cgWerden KEP-Fahrer künftig teurer?Keine Auswirkungen auf die FernFahrerMindestlohnChecklisteLohnuntergrenze: Was ist jetzt zu tun?

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