Mehr Klagerechte für Umweltverbände

Strafzahlungen von rund zwölf Millionen Euro und mehr kämen auf den Bund zu, hatte das Bundesumweltministerium errechnet und zur Eile gedrängt. Wenn EU-Mitgliedsstaaten Urteile des europäischen Gerichtshofs nicht umsetzen, verstehen die Richter wenig Spaß. Der Vorwurf aus Luxemburg: Deutschland schränke die Klagerechte in Umweltangelegenheiten zu stark ein. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das es seit 2006 Umweltschützern erleichtern soll, behördliche Genehmigungen vor Gericht überprüfen zu lassen, bleibe hinter den europa- und völkerrechtlichen Vorgaben zurück. Eine Überarbeitung des Gesetzes hatten die Europa-Richter schon im Herbst 2015 angemahnt. Doch die große Koalition ließ sich Zeit. Über ein Jahr wurde über den Entwurf gestritten. Das "Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben", das Bundestag und Bundesrat nun im April und Mai verabschiedeten, ist bereits die dritte Änderung. Und es wird nicht die letzte sein. Schon bei der öffentlichen Anhörung im September vergangenen Jahres hatten die Sachverständigen kritisiert, dass die überarbeitete Fassung noch immer nicht dem Völkerrecht entspricht. Trotzdem tritt sie nun in Kraft - einen Tag nach ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt. Rechtliche Hürden sinken Trotz aller Kritik geht die Novelle deutlich über das bisherige Gesetz hinaus. Nach altem Recht war es nur möglich, gegen Behördenentscheidungen gerichtlich vorzugehen, wenn für das jeweilige Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorgeschrieben war. Dies gilt für Infrastrukturprojekte wie den Bau eines Flughafens, einer Bahnstrecke oder Autobahn, einer Industrieanlage, eines Kraftwerks oder einer Windkraftanlage. Auch bei kleineren Bauvorhaben, wie einem Betriebshof oder einer Lagerhalle, muss die zuständige Behörde - je nach Standort - mögliche Auswirkungen auf die Umwelt prüfen lassen, bevor sie eine Genehmigung erteilt. Der Klassiker: Unternehmen möchten in der Nähe eines Naturschutzgebietes oder einer Wasserschutzzone bauen. Wurden diese Prüfungen nicht oder schlampig durchgeführt, konnten anerkannte Umweltverbände als "Anwälte der Natur" vor Gericht ziehen. Ihre Klage war jedoch nur zulässig, wenn sie ihre Einwendungen schon im vorausgegangenen Genehmigungsverfahren vorgebracht hatten. Diesen "Vorausschluss", die sogenannte Präklusion, hat der europäische Gerichtshof allerdings gekippt. "UVP-pflichtige Vorhaben müssen ohne Restriktionen gerichtlich überprüfbar sein", betont der Berliner Rechtsanwalt Remo Klinger. Dieser Passus wurde daher aus dem Gesetz gestrichen. Hinzugefügt hat die Regierungskoalition jedoch, dass Einwendungen ausgeschlossen bleiben, die "missbräuchlich" oder "unredlich" erstmals vor Gericht geltend gemacht werden. Was genau darunter zu verstehen ist, muss wohl auch erst die Rechtsprechung klären. Bundesverkehrswegeplan außen vor Klar ist: Umweltverbände erhalten durch die Gesetzesnovelle mehr Klagerechte. Sie können künftig auch gegen die Annahme von Plänen und Programmen von Kommunen, Ländern und Bund klagen, für die eine strategische Umweltprüfung (SUP) vorgesehen ist. Konkret geht es um Bebauungs-, Flächennutzungs- und Luftreinhaltepläne. "Für Unternehmen sind diese Grundlagenentscheide wichtig, denn sie legen fest, wo Infrastrukturvorhaben geplant werden dürfen", urteilt Rechtsexperte Klinger. "Allerdings wurde die aktuelle Bundesverkehrswegeplanung rechtswidrig ausgenommen", ergänzt der Sachverständige. Kein Klagerecht besteht auch bei Entscheidungen über Bundesfachplanungen zum Stromnetzausbau und Rechtsverordnungen, die beispielsweise Flugrouten oder Grenzwerte für Industrieanlagen festlegen, sowie Produktzulassungen. "Auch Kfz-Zulassungen müssten ins Gesetz aufgenommen werden", nennt Sabine Schlacke, Chefin des Instituts für Umweltund Planungsrecht an der Universität Münster, ein Beispiel. Für sie ein klarer Verstoß gegen Europa- und Völkerrecht: "Ich befürchte, dass der Gesetzgeber nachbessern muss." Vom Gesetz erfasst sind - neben Industrieanlagen und Infrastrukturprojekten - auch öffentlich-rechtliche Verträge, die eine umweltbehördliche Zulassung ersetzen sowie Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen für Großvorhaben. Behörden müssen überprüfen, ob Anlagenbetreiber die Umweltschutzauflagen erfüllen, beispielsweise festgelegte Grenzwerte einhalten. "Es sind Klagen zu befürchten, weil Behörden ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen", sagt Schlacke. Klagefrist meistens einen Monat Die erweiterten Klagerechte betreffen alle noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen. Zu größeren Verzögerungen staatlicher Infrastrukturprojekte werde es nach Einschätzung der Experten aber nicht kommen, zumal klare Fristen gelten, in denen Rechtsmittel eingelegt werden können. Innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Zulassung müssen Verbände Widerspruch oder Klage einreichen. Ist eine Behördenentscheidung nicht öffentlich bekannt gemacht worden, gilt eine Frist von einem Jahr ab dem Zeitpunkt, wo der Umweltverband davon erfahren hat oder davon hätte erfahren können. Spätestens zwei Jahre nach dem Behördenentscheid ist eine Klage nicht mehr zulässig. Kleine Anlagen wohl nicht betroffen "Die Verbandsklage ist nicht schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland", bekräftigt die Sachverständige im Gesetzgebungsausschuss für Umweltrecht. "Es geht nur um die Einhaltung bestehender Gesetze", betont Schlacke. "Das Umweltrecht wurde nicht verschärft." Negative Auswirkungen auf die Transport- und Logistikbranche befürchtet sie nicht, zumal die Zahl der Verbandsklagen gering ist. Umweltverbände picken sich die großen, erfolgversprechenden Vorhaben heraus, um Umweltsünden aufzudecken. "Kleine Anlagen oder Betriebsstandorte sind meist nicht verbandsklagefähig." Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Umweltrecht" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Hintergrund 47 Staaten, darunter alle EU-Mitglieder und die europäische Union, verabschiedeten die sogenannte Aarhus-Konvention, benannt nach dem Tagungsort der Wirtschaftskommission für Europa in Dänemark. Sie soll Bürgern und Umweltverbänden mehr Einfluss auf umweltpolitische Entscheidungen der Behörden einräumen. Deshalb sieht sie eine Beteiligung der Öffentlichkeit in Genehmigungsverfahren für Vorhaben vor, die Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dazu gehört neben dem freien Zugang zu Umweltinformationen auch das Recht, bei Verstößen gegen den Umweltschutz die Gerichte anrufen zu können.Deutschland hat die Konvention 2007 völkerrechtlich verbindlich ratifiziert und damit auch den "Zugang zu Gerichten" für anerkannte Umwelt- und Naturschutzverbände akzeptiert. Das deutsche Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz beschränke jedoch das Verbandsklagerecht unnötig, hatten die Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention bereits 2014 gerügt. sah

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