Mehr auf dem Kasten

Der Iveco Daily ist auch nicht mehr das, was er einmal war: primär nämlich ein aufbaufreundlicher Mini-Lastwagen. Er konnte es aber auch nicht bleiben. Denn mittlerweile hat sich der Anteil der verkauften Kastenwagen im Daily-Portfolio auf fast zwei Drittel gesteigert, die Zahl der Chassis mit Aufbau ging dagegen kontinuierlich zurück. Früher war das Verhältnis umgekehrt, zu Zeiten, als bei dem Leiterrahmen-Transporter letztmals ein kompletter Modellwechsel vollzogen wurde: 1999. Diesen veränderten Tatsachen trugen die Iveco-Entwickler natürlich Rechnung und legten den Fokus beim neuen Modell, das die VR exklusiv vorab Probe fahren konnte, auf eine in sich stimmige Kastenversion. Was damit gemeint ist, merkt man schon, bevor man losfährt: Der gewaltige Kastenaufbau - Iveco setzt sogar eine 18- und 20-Kubikversion als "Kofferkonkurrenz" oben drauf - wirkt deutlich fester verarbeitet, die Türen fallen vielleicht nicht so satt wie beim Sprinter oder dem neuen Transit ins Schloss, aber deutlich weniger rumpelig. Außerdem gelang es den Ingenieuren, die einst durch den Leiterrahmen extrem hohe Ladekante um 55 Millimeter zu drücken auf jetzt 675 Millimeter. Eine serienmäßige Stufe am Heck (46 Zentimeter Höhe) und seitlich sowie ein Griff lassen das Entern zur leichten und sicheren Übung werden. Der Aufbau wirkt jetzt deutlich fester Und setzt man den neuen Daily in Bewegung, fällt auch nicht mehr auf, dass der ganze Aufbau auf einen Leiterrahmen montiert ist: Wo man früher das Gefühl hatte, Aufbau und Chassis führen zwei getrennte Leben und die Verwindung der Karosse hoch war, liegt der Kasten-Daily nun satt und wie aus einem Guss auf der Straße. Allerdings ohne den Preis "sportlicher Härte", wie sie sein Verwandter, der frontgetriebene Fiat Ducato, einfordert: Der Fahrkomfort im Daily ist deutlich besser, was den Leiterrahmen-Van für Langstrecken besser qualifiziert als den bockhart gefederten Ducato. Wobei man beim 3,5-Tonner-Modell sogar die Wahl hat zwischen einer etwas taffer agierenden, dafür für 2,1 Tonnen Achslast ausgelegten Doppelquerlenker-Vorderachse mit Torsionsstab (ab 5,0 Tonnen Serie und 2,5 Tonnen Achslast) sowie einer geschmeidigeren Standardversion mit 1,9 Tonnen Achslast, die dafür 44 Kilo Gewicht spart. Satte Straßenlage, präzises Handling Auch die Tendenz zum Übersteuern haben die italienischen Ingenieure ihrem Sprössling ausgetrieben. Selbst bei schärferer Gangart bleibt der Daily neutral und bestens beherrschbar. Zur Not greift natürlich der bisher nur bei den schwereren Varianten serienmäßige Schleuderschutz ESP zuverlässig ein. Passé ist auch die notorische Seitenwindempfindlichkeit, etwa auf der Autobahn. Iveco hat dem Daily einen längeren Radstand verpasst, somit einen kürzeren Überhang - der Kastenwagen hält selbst bei extremem Wind stur seine Linie. Einen Spurassistenten bietet Iveco nichtsdestotrotz an. Dass der Wendekreis trotz längerem Radstand auf gleich kompaktem Niveau blieb (11,9 Meter im Bestfall), ist dem größeren Einschlagwinkel der Räder zu verdanken. Nebenbei vermittelt die Daily-Lenkung jetzt ein sehr gutes Gefühl für die Fahrbahn, der Van lässt sich äußerst präzise und verbindlich auch über kurvige Landstraßen steuern. Zumal das geschrumpfte, höhenverstellbare Volant jetzt viel PKW-mäßiger und steiler zur Hand liegt und sich nebenbei gut und solide anfühlt. Apropos: Auch das einstige Geklapper, das beim Daily zum Handwerk gehörte, ist mit dem neuen Modell Vergangenheit. Die stilsicher ausgewählten, ordentlichen Materialien wirken knisterfrei und sauber verarbeitet. Auch die großen, Blinker-bewehrten Spiegel sowie die glatte Außenhaut nebst nahtlos anschließender, endlich größerer Windschutzscheibe liegen aerodynamisch im Wind (cW-Wert 0,30). Dass man die dezenten Windgeräusche dennoch stärker wahrnimmt, hat eher damit zu tun, dass die Motoren, wie bisher zu 2,3 (106/126/146 PS) und 3,0 Liter (146/170/ 205 PS) Hubraum, deutlich besser gedämmt sind und auch Fahrbahngeräusche viel weniger durchdringen. Außerdem wählte Iveco dem allgemeinen Trend gemäß lange Übersetzungen, was die Geräuschkulisse weiter optimiert. Anders als bei anderen Herstellern tragen die drehmomentstarken Aggregate diese Strategie allerdings gut mit: Schon der 2,3-Liter-Motor bietet so viel Power schon aus niedrigen Drehzahlen, dass sich der Griff zum nach wie vor etwas knochig zu führenden Knauf der Sechs-Gang-Seilzugschaltung meist erübrigt. Pfund zum Wuchern: Industriemotoren Hier erhellt sich die Aussage des Herstellers, dass man als einziger Transporterhersteller "echte Industriemotoren" anbieten könne, statt PKW-abgeleitete Aggregate wie sonst üblich. Der 2,3-Liter-Motor mit 146 PS bringt die mit 600 Kilo ballastierte 3,5-Tonner-Fuhre derart souverän in Fahrt, dass das 3,0-Liter-Aggregat zum reinen Lust- und Luxusobjekt wird. Der hat eigentlich erst mit dem ebenfalls gefahrenen, hinten zwillingsbereiften 7,0-Tonner eine adäquate Aufgabe. Der Nutzlastriese, der mit 4,7 Tonnen Fahrgestelltragfähigkeit jeden 7,5-Tonnen-LKW alt aussehen lässt, federt naturgemäß spürbar robuster, bleibt aber auch auf der komfortablen Seite. Hier wie generell über sechs Tonnen kommt auch die Euro-6-Lösung mit SCR-Kat (platzsparend im Auspufftrakt) und Adblue-Tank (am Rahmen, Füllklappe auf der Beifahrerseite) zum Einsatz, während bei den leichteren Modellen bis 3,5 Tonnen die sogenannte Euro-5b+Norm genügt, die Iveco auch ohne SCR erfüllt. Insgesamt spart sich der Kunde bei dieser Lösung nicht nur Geld, sondern auch 40 Kilo an Gewicht, die die zusätzliche Abgasreinigung auf lupenreine Euro 6 mit sich bringt. Gewichtsersparnis kann der Daily generell natürlich immer noch gut gebrauchen. Aber er hat sie nicht mehr so nötig wie bisher. Denn darauf lag die zweite Priorität der Entwickler: Einen Leiterrahmen-Transporter zu schaffen, der leichter ist als der Bestseller im Segment, der Mercedes Sprinter. 100 Kilo behauptet man, dem Branchenprimus bei der Nutzlast abzunehmen. Der klassische 10,8-Kubik-Kastenwagen soll immer noch 1,4 Tonnen Nutzlast bieten, was eine starke Ansage ist. Nebenbei läge er damit zwar 100 Kilo über einem Fiat Ducato, aber deutlich besser als der neue Ford Transit RWD, der bei einer ersten Bestandsaufnahme der VR im Rahmen des Arctic-Tests sogar noch deutlich schwerer war als der ohnehin schwere Sprinter. Apropos: Zum Transit will der Daily auch eine deutlich bessere Raumeffizienz realisiert haben - die 3,15 Meter Ladelänge bei unter sechs Metern Außenlänge der Kastenversion sind nicht übel. Und der Tatsache geschuldet, dass Vorbau und Kabine des Daily nicht gewachsen sind und sich der Armaturenträger weiter schmal macht. Anders als beim Transit, der wegen des Einsatzes in den USA Platz für ein Sechszylinder-Aggregat bieten muss und daher "langnasig" geriet. 5,5 Prozent niedrigerer Verbrauch An Effizienz soll der Daily aber auch beim Verbrauch zugelegt haben: Mindestens 5,5 Prozent will er sparsamer arbeiten als der Vorgänger, drei Prozent stellen je hälftig die bessere Aerodynamik sowie Spritsparreifen sicher. Mit sogenanntem Eco-Pack samt schnell agierender Start-Stopp-Automatik und Smart Alternator (cleverer Lichtmaschine) sollen es acht Prozent, im Stadtverkehr sogar 14 Prozent weniger Diesel sein als beim Vorgänger. Im unrealistischen NEDC-Zyklus soll der 10,8-Kubik-Kasten 7,4 l/100 km verbrauchen. Die mittlerweile eher durchschnittlichen Serviceintervalle von 40.000 Kilometern blieben gleich. Ebenfalls erhalten bleibt die Version mit Allradantrieb sowie die CNG-Variante - generell in Euro 6 - die zusammen mit dem Daily Electric 2015 nachgereicht werden. Auch über LNG, jüngst beim Stralis gestartet, denkt Iveco für den Daily nach. Insgesamt hat Iveco beim Daily ein unaufgeregtes, professionelles, fast schon VW-mäßig gradliniges Paket ohne effektheischende Gimmicks geschnürt, das außer als aufbaufreudiges Chassis jetzt auch als Kastenwagen mit Langstreckenqualitäten zu überzeugen weiß. Die Nachfrage bestimmt eben das Angebot. Nicht ganz falsch, wie Iveco-Chef Lorenzo Sistino den Neuzugang preist: "Das ist ein Truck, der fährt wie ein PKW". Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Technische Daten MotorenVierzylinder-Reihen-Dieselmotor, Common-Rail-Direkteinspritzung, var. Turbolader, vier Ventile pro Zylinder, Euro 5b+ (Light Duty/DPF)/ Euro 6 (nur 3,0-l, Heavy Duty/DPF+SCR), Steuerkette; Hubraum 2,3 l: 106/126/146 PS; max. Drehmoment: 270/320/350 Nm; Hubraum 3,0 l: 136 (CNG-Version)/146/ 170/205 PS; max. Drehmoment: 350/ 350/430/470 Nm; Serviceintervall: 40.000 kmKraftübertragungman. Sechsgang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb, 15 Achsübersetzungen Iveco-Design Ein Look für die ganze Familie? Drei schwarze Bänder sieht der Iveco-Chefdesigner Marco Amigliato im Look des Daily: Windschutzscheibe, Grill, Stoßfänger/Flanke. Und meint, dieser Look könnte sich durchaus in weiteren Iveco-Trucks wiederfinden. Als da wären 2015 ein neuer Eurocargo und 2016/2017 dann ein komplett neuer Stralis sowie Trakker. Mal sehen, wie verbindend das schwarze Band dann ist. jr

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