Berlin. Ein Brückenunglück wie in Genua ist für Ingenieure in Deutschland schwer vorstellbar. Das heißt aber nicht, dass mit Autobahnbrücken und der Straßeninfrastruktur insgesamt alles in Ordnung wäre. Fragen und Antworten:
Wie ist der Zustand von Brücken in Deutschland - vor allem an Autobahnen?
Auf deutschen Bundesstraßen und Autobahnen gibt es nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen knapp 40 000 Brücken. An Autobahnen gilt ihr Zustand jedoch nur bei rund 10 Prozent als gut oder sehr gut. Der größte Teil wird mit befriedigend oder noch ausreichend eingestuft. 12 Prozent sind offiziell mit „nicht ausreichend“ bewertet, 2 Prozent erhielten sogar ein „ungenügend“. Das besage aber nicht, dass die Brücke einsturzgefährdet sei, heißt es vom Bundesverkehrsministerium. Es könne jedoch bedeuten, dass beim Brückengeländer Stäbe fehlten oder es Schlaglöcher gebe. „Man arbeitet gegen die Zeit, der Zustand der Brücken wird immer schlechter“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Bauindustrie. Der Sicherheitsstandard in Deutschland sei aber „sehr hoch“, betonte sie.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hält einen Vergleich von deutschen und ausländischen Brücken zudem für unpassend. „Was in Deutschland als marode oder nicht ausreichend gilt, ist anderswo in einem guten Zustand eingestuft“, sagte der CSU-Politiker dem Sender „n-tv“. Unfälle sind aber auch in Deutschland möglich, wie der Teileinsturz einer Autobahnbrücke in Bayern 2016 mit einem Toten zeigte. Die Brücke war allerdings ein Neubau und noch nicht in Betrieb.
Gibt es regionale Unterschiede?
Nach Angaben der Landesstraßenbaubehörden gibt es beim Zustand der Brücken einen Ost-West-Unterschied. Die meisten Schäden sind im Saarland und in Hamburg bekannt, die wenigsten in Thüringen und Sachsen – ein Ergebnis des Aufbau Ost. Laut ADAC gilt das aber nicht für kommunale Brücken. Hier bestehe bundesweit dringend Handlungsbedarf.
Wie gut werden Brücken in Deutschland überwacht?
Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums gibt es alle sechs Jahre eine Hauptprüfung. Alle drei Jahre nach einer Hauptprüfung erfolge eine einfache Prüfung. Besichtigungen fänden im jährlichen, laufende Beobachtungen in halbjährlichen Rhythmus statt. Viele Experten halten das für ausreichend. „Wir haben ein sehr solides System der regelmäßigen Inspektion und Überwachung“, sagt Manfred Tiedemann, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Prüfingenieure. Dazu gehöre zum Beispiel auch eine Kontrolle von Schweißnähten und Bolzen. „Im Einzelfall wird sofort nachgebessert.“
Was heißt „nachbessern“ genau?
Damit können zum Beispiel Geschwindigkeitsbegrenzungen, Fahrspur-Einengungen, Gewichtsbeschränkungen und auch mal vorübergehend eine Stillegung für Sanierungsmaßnahmen gemeint sein. Ein Beispiel für eine berüchtigte Konstruktion ist die Rheinbrücke der A1 in Leverkusen – dort gibt es Vollsperrungen. Es geht aber nicht nur um Autobahnen. Der ADAC listet auf, dass allein in Berlin mehr als 70 Brücken in einem derart schlechten Zustand sind, dass sie dringend saniert oder neu gebaut werden müssten. In vielen anderen Städten bestehe ebenfalls dringend Handlungsbedarf.
Was sind Gründe für die Mängel?
Viele Brücken seien 40 bis 60 Jahre alt, sagt Prüfingenieur Tiedemann. Häufig wurden Spannbetonkonstruktionen gebaut. Mit dem Alter verschlechtert sich das Material. Darüber hinaus hat die Belastung von Brücken stark zugenommen: Seit 1980 verfünffachte sich allein die Gütertransportleistung auf der Straße. Mit rund 44 Tonnen sind manche Lkw heute doppelt so schwer wie in den 50er Jahren.
Wie schnell können Mängel behoben werden?
Bei einem geschätzten Sanierungsbedarf von zehn Milliarden Euro stehe derzeit in Deutschland pro Jahr eine Milliarde Euro für die Sanierung von Brücken zur Verfügung, sagte Manfred Curbach, Professor für Massivbau an der TU Dresden, im Deutschlandfunk. „Das heißt, wir werden das mindestens zehn Jahre durchhalten müssen.“ Wegen des zunehmenden Schwerlastverkehrs würden neue Brücken belastbarer gebaut – ältere Brücken würden dahingehend geprüft und gegebenenfalls verstärkt.
Was tut die Politik gegen „Problembrücken“?
Das Bundesverkehrsministerium hat die Investitionen für die Erhaltung der Bundesfernstraßen aufgestockt. Für das Jahr 2018 stehen insgesamt 3,9 Milliarden Euro bereit, die in der Finanzplanung bis 2022 auf rund 4,4 Milliarden Euro im Jahr anwachsen. Davon sollen in diesem Jahr rund 1,4 Milliarden Euro in die Brückenerhaltung fließen, 2020 rund 1,5 Milliarden Euro und 2022 rund 1,6 Milliarden Euro. Im zusätzlichen Sonderprogramm Brückenmodernisierung stehen laut Ministerium bis 2022 rund 4,1 Milliarden Euro für Sanierungen mit Baurecht bereit, die teurer als fünf Millionen Euro werden. Von 2021 an übernimmt der Bund die Zuständigkeiten für Autobahnen komplett von den Ländern. So sollen Investitionen beschleunigt und überregionale Schwerpunkte gesetzt werden. (dpa/ag)