Logistischer Frühling mit Hindernissen

Als der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi Anfang Juni in Deutschland zu Besuch war, leuchteten bei Politikern und Wirtschaftsvertretern die Augen. Der erste Mann im Staate brachte zahlreiche Aufträge für deutsche Firmen mit. Doch es gab auch Proteste. Zudem machte sich der Präsident selbst lächerlich, als er auf der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel regimetreue Journalisten für sich jubeln ließ. Der Besuch zeigt das Dilemma, in denen sich deutsche Firmen befinden, wenn sie in Ägypten Geschäfte machen wollen. Einerseits ist das Land neben Südafrika das wirtschaftlich am weitesten entwickelte auf dem Zukunftskontinent Afrika. Andererseits hat Al-Sisi nach dem Sturz seines Vorgängers Mohammed Mursi an dem totalitären Regime festgehalten, auch wenn Ägypten auf dem Papier als junge Demokratie gilt. Politische und religiöse Kontrahenten werden weiterhin gnadenlos verfolgt. Die Todesstrafe ist ein Standardmittel, um neben echten Verbrechern auch unliebsame Kritiker loszuwerden. Ausländische Nichtregierungsorganisationen wie die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung werden behindert. Der staatliche Einfluss auf die Presse wächst, zwei Millionen Kinder sollen in Bergwerken oder auf dem Bau arbeiten. Die Kritik vonseiten der deutschen Regierung ist jedoch verhalten - zumindest öffentlich. Zu wichtig ist die strategische Rolle des Landes, das im Pulverfass Naher Osten immer wieder als Vermittler auftritt. Zu groß sind auch die wirtschaftlichen Chancen in einem Land mit über 88 Millionen Einwohnern. Beispiel Siemens: Das Unternehmen hat nach dem Deutschlandbesuch Al-Sisis den größten Einzelauftrag der Firmengeschichte vermelden können. Drei Gaskraftwerke und bis zu 12 Windparks im Gesamtwert von acht Milliarden Euro soll das Unternehmen bauen. Insbesondere in der Energiewirtschaft und bei der Infrastruktur ergeben sich Chancen. Al-Sisi will mit russischer Hilfe das erste Atomkraftwerk des Landes bauen. Östlich von Kairo soll eine neue Stadt in den Wüstensand gebaut werden. Geplant ist eine Verwaltungs- und Wirtschaftsmetropole für fünf Millionen Menschen mit einem neuen Großflughafen. 45 Milliarden US-Dollar will das Land dafür investieren. Parallel dazu werden der Flughafen Sharm El-Sheikh und der Suezkanal ausgebaut. Bauarbeiten für eine zweite Fahrrinne Der über 160 Kilometer lange Kanal ist die Lebensader für viele Transporte und mit Einnahmen von fünf Milliarden Euro im Jahr die größte Devisenquelle des Landes. Über 17.000 Schiffe passieren den Kanal jährlich zwischen dem Mittelmeerhafen Port Said und Port Tawfik bei Suez am Roten Meer. Vor Kurzem haben die Bauarbeiten für eine zweite Fahrrinne begonnen. Insgesamt sollen 35 Kilometer neu ausgebuddelt werden; auf weiteren 37 Kilometern wird die bestehende Fahrrinne verbreitert. Damit wird der Kanal durchgängig in beide Richtungen schiffbar. Wenn der Kanal nach nur zwölf Monaten Bauzeit fertig ist, soll sich die Zahl der Schiffe, die passieren können, verdoppeln. Die Fahrzeit soll sich um einige Stunden verringern. An den Ein- und Ausfahrtstellen sind große Logistikzentren und Lagerhallen geplant. Der Kanal soll sich zu einem internationalen Logistikhub entwickeln. Entlang des neuen Kanals plant die Regierung das Industriegebiet Suez Canal Zone. Hier sollen sich Industrie, Werften und Logistiker ansiedeln. Ein großes Logistikzentrum für den Handel, die Lagerung und die Verarbeitung von Getreide ist auch am Hafen von Damietta am nördlichen Nil geplant. Die Verkehrsinfrastruktur ist im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern gut ausgebaut. Allerdings beschränkt sich das Schienen- und Straßennetz auf den Großraum Kairo und entlang des Nils. Im Land gilt die Eisenbahn mit einem Netz von über 7700 Kilometern zwar als der wichtigste Verkehrsträger. Doch das Schienennetz ist veraltet und anfällig. Seine Bedeutung für den Transport sinkt daher stetig. Ganz im Gegensatz zum Straßentransport. Das 45.000 Kilometer lange Straßennetz konzentriert sich allerdings sehr stark auf das Niltal und das Nildelta. Ohnehin ist der Nil die zweite Lebensader für den Transport. Ein Viertel des Güterverkehrs wird über die 3350 Kilometer Binnenwasserstraßen abgewickelt, die fast ausschließlich aus den verschiedenen Armen des Nils bestehen. Die großen Flughäfen Kairo, Alexandria, Marsa Alam und Luxor werden von europäischen und arabischen Fluglinien regelmäßig versorgt. Den Weitertransport innerhalb des Landes übernehmen die nationalen Carrier. Allerdings sind die Sicherheitskontrollen an den ägyptischen Flughäfen teilweise unzureichend, warnt das Auswärtige Amt. In der Vergangenheit seien immer wieder Gepäckstücke geplündert worden oder abhandengekommen. Eine Untersuchung der Wirtschaftsberatung PwC bescheinigt dem Land erhebliche Anstrengungen, um die Transportinfrastruktur zu verbessern. Allerdings fehlen ausländische Investitionen, um die Großprojekte schneller umzusetzen. Die politische Unsicherheit und die instabile Sicherheitslage schrecken viele Geldgeber ab. Bürokratie behindert die Abläufe Obwohl viele nach dem Arabischen Frühling auf den Aufschwung und mehr Sicherheit gehofft hatten, ist die Lage instabiler als je zuvor. Insbesondere die Terrorkämpfer des Islamischen Staates nehmen Ägypten verstärkt ins Visier. Kürzlich wurde der Generalstaatsanwalt bei einem Attentat getötet. Er hatte in der Vergangenheit zahlreiche IS-Kämpfer und Sympathisanten des Ex-Präsidenten Mursi vor Gericht gestellt. Das Auswärtige Amt warnt daher vor Reisen in einige Regionen des Landes. "Die Terrorgefahr und der IS sind große Themen", bestätigt Daniel Comi, der bei Kukla für die Nordafrika-Verkehre zuständig ist. Auswirkungen auf das Geschäft habe das aber noch nicht. Praktische Probleme bereitet vielmehr die Bürokratie, die viele Entscheidungen lange hinauszögert. Unterschiedliche Auslegungen von Gesetzen, die Korruption, die Inflation und die Sicherheit sind weitere Hindernisse. Versorgungsengpässe beim Treibstoff führen ebenso zu Verzögerungen, insbesondere wenn die Fracht in den Süden des Landes geht. Um viele dieser Dinge müssen sich deutsche Spediteure allerdings wenig Gedanken machen. Der Landweg zu Abnehmern in Ägypten ist ihnen verschlossen, da ausländische Kennzeichen im Hinterland nicht akzeptiert werden. Deutsche Lkw dürften nur bis in die Häfen fahren. Dann muss die Fracht an einen heimischen Spediteur übergeben werden. Einige deutsche Speditionen haben schon seit Jahren vor Ort eigene Teams, die sich um die Abwicklung der Transporte zwischen Deutschland und Ägypten kümmern. Andere, wie die Münchner Spedition Robert Kukla, setzen auf Kooperationen vor Ort. "Ohne einen guten und langjährigen Partner geht es nicht", meint Comi. Vor Überraschungen schützt das dennoch nicht. Wer wissen will, wie viel ein Transport aus den Häfen an den Bestimmungsort kostet, bekommt oft zu hören: Es komme darauf an, ob die Polizei kontrolliere oder nicht. Korrupte Beamte suchten sich offenbar gezielt sensible oder teure Fracht heraus und kontrollierten sehr penibel - bis gezahlt werde. Wer gleich zahle, komme auch ohne Kontrollen durch - bis zur nächsten Kontrolle. Der Schweizer Logistiker Panalpina hat dagegen gerade seinen langjährigen ägyptischen Agenten Afifi übernommen. Das Familienunternehmen organisiert seit 20 Jahren für Panalpina den Transport, die Zollabfertigung und Projektlogistik im Land. "Ägypten birgt großes Potenzial für uns", sagt Peter Triebel, Regional CEO bei Panalpina für den Nahen Osten, Afrika und die GUS. Das Land verfüge über einen starken Mittelstand. "Außerdem ist das Land eine wichtige regionale Basis für zahlreiche internationale Unternehmen", erklärt Triebel. Denn trotz aller politischen Unsicherheiten wächst die ägyptische Wirtschaft um mehr als vier Prozent pro Jahr. Davon profitieren auch die Speditionen. "Die Aufträge sind nach dem Arabischen Frühling stetig gestiegen", sagt Comi. Für Deutschland ist Ägypten nach den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien der drittwichtigste Handelspartner in der Region. 2014 wurden Güter im Wert von 4,4 Milliarden Euro zwischen beiden Ländern ausgetauscht. Vor allem die deutschen Exporte stiegen deutlich. Nach Angaben der deutschen Außenhandelsagentur Germany Trade and Invest (Gtai) wurden vor allem Maschinen, chemische Erzeugnisse und Kfz sowie Kfz-Teile exportiert. Für deutsche Exporteure von Nahrungsmitteln und Verpackungsmaschinen ist Ägypten zudem der wichtigste Markt in Nordafrika. Weiteres Marktpotenzial gibt es laut GTAI für Chemieunternehmen, im Bau sowie bei der Elektro-, Umwelt- und Medizintechnik. Panalpina sieht das größte Wachstumspotenzial in den Bereichen Öl und Gas, bei den großen Investitionsprojekten, im Bereich der Telekommunikation sowie bei der Pharma- und Automobilindustrie. Vor allem bei Letzterer dürfte es aufwärts gehen. Nachdem die Regierung die Importzölle für fertige Autos bis 2019 abbauen will, wird sich der Export von kompletten Fahrzeugen nach Ägypten wieder lohnen. Impulse durch neue Freihandelszone Chancen ergeben sich auch für Logistikspezialisten aus den Bereichen Schwergut und Projektladung. Für die ehrgeizigen Investitionsprogramme müssen die meisten Maschinen nach Ägypten transportiert werden. Für einen Schub könnte die vereinbarte Freihandelszone TFTA (Tripartite Free Trade Area) sorgen. Mitte Juni einigten sich die beteiligten Länder, die bestehenden drei Freihandelsblöcke zu vereinen. Wenn die nationalen Parlamente den Beschluss absegnen, könnte ab 2017 eine Freihandelszone entstehen, die 26 afrikanische Länder von Ägypten im Norden bis nach Südafrika an der Südspitze umfasst. Die Serie Länder mit Potenzial Wenn es um Staaten geht, die als Wachstumsmärkte gelten, werden oft Länder wie China, Rumänien oder Bulgarien genannt. Unsere Serie lässt den Blick über den Rand der EU schweifen und stellt eher unbekannte Länder vor. Wir gehen auf deren Stärken, Schwächen und Besonderheiten ein und geben Hinweise, worauf zu achten ist, wenn man hier Fuß fassen will. Nach Marokko (VR 43/2014), Kasachstan (VR 47/2014), Russland (VR 4/2015), Tunesien (VR 8/2015), Weißrussland (14/2015), Saudi-Arabien (VR 19/2015) und Türkei (VR 24/2015) endet die Serie mit dieser Folge. cd Ägypten Länderportrait* - Fläche: 1.001.450 Quadratkilometer (Deutschland: 357.168)- Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2013/2014/2015 in Prozent: 4,0/4,6/4,5- BIP/Kopf in US-Dollar (2014): 2159 (46.812)- Einwohner in Millionen: 88,4 (80,8)- Arbeitslosenquote 2014 in %: 13,4 (6,7)- Bruttostaatsverschuldung in % des BIP 2014: 81,9 (74,7)- Hauptstadt: Kairo- Religion: Islam (überwiegend sunnitisch)- Regierungsform: Republik, Präsidialdemokratie- Landessprache: Hocharabisch; Geschäftssprache: in der Regel Englisch*in Klammern: Zahl für Deutschland (Quelle: Auswärtiges Amt, GTAI)

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