Kritik an Maut und Mindestlohn

Ausverkauft. Ob es sich um einen Platz im Fußballstadion handelt oder den PC bei Aldi: Wenn sämtliche Tickets respektive Computer vergriffen sind, ist das ein Gradmesser für ein begehrtes Produkt. Quasi ausverkauft war der Workshop Mindestlohn bei der Jahrestagung des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) letzte Woche in Köln. Alle Plätze belegt, sodass für die zuletzt eingetroffenen Teilnehmer zunächst nur Stehplätze übrig blieben, aber dann doch noch schnell weitere Stühle aufgetrieben wurden. Die Resonanz auf den Workshop zeigt, welches Thema die Transport- und Logistikbranche gerade besonders umtreibt: das neue Mindestlohngesetz (Milog). Sicher auch deshalb, weil es alle Unternehmen betrifft, egal ob Großkonzern oder Kleinunternehmen. Aber auch, weil viele Dinge noch in der Schwebe sind. Gezahlt werden muss der Mindestlohn jedem Fahrer, der in Deutschland unterwegs ist, klärte BWVL-Geschäftsführer Detlef Neufang auf. Also auch einem Fahrer aus einem Nicht-EU-Land, der einen Kabotage-Transport abwickelt oder im Transit Deutschland durchquert oder eine Ware im grenzüberschreitenden Verkehr befördert - im letzteren Fall allerdings nur für die Zeit, die er in Deutschland unterwegs war. "Die ganze Welt wird durch Deutschland fahren wollen, um 8,50 Euro die Stunde verdienen zu können", sagte Neufang mit einem Augenzwinckern. Doch ob den Unternehmern wirklich zum Lachen zu Mute ist, wenn das Gesetz am 1. Januar 2015 in Kraft tritt? Eher nicht. Daran dürfte die Generalunternehmerhaftung einen entscheidenden Anteil haben. Danach haftet der Auftraggeber dafür, dass auch die Angestellten der in der Logistikkette eingebundenen Subunternehmen den Mindestlohn erhalten. Bei einem Verschulden des Auftraggebers drohen saftige Geldbußen. "Es können bis zu 500.000 Euro fällig werden", sagte Neufang und empfahl daher: "Bilden Sie schon mal Rücklagen." Bei den Versicherungen gäbe es Überlegungen, entsprechende Produkte für solche Wagnisse zu erstellen, ergänzte Neufang. BGL: Milog ist schlecht gemacht Stellt sich die Frage, wie man sich dagegen schützen kann. Die einfachste Variante: Man verkauft ab Werk. Der Kunde holt also das Produkt selbst ab und schon ist man raus aus der Generalunternehmerhaftung. Aber damit sind längst nicht alle Kunden einverstanden. Neufang nannte eine weitere Möglichkeit, sich abzusichern: Sofern man sich nicht sicher sei, könne man mit eigenen Fahrzeugen und Fahrern die Ware transportieren. Wer diesen Weg nicht gehen wolle, dem empfahl Neufang eine sorgfältige Auswahl der Transportdienstleister, die Vereinbarung entsprechender Vertragsklauseln sowie Kontrollen der Dienstleister. Die Kontrolle der Einhaltung der Mindestlohnbestimmungen in Deutschland seitens des Staates kritisierte Guido Belger, Referent im Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). "Das Mindestlohngesetz ist gut gedacht, aber für das Transportlogistikgewerbe schlecht gemacht", urteilte der neue Justiziar im BGL. Belger beklagte, dass Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Milog beschäftigen würden, quasi nicht zu kontrollieren seien. "Damit konzentriert sich die Kontrolle auf deutsche Transportunternehmen", so die Befürchtung von Belger. Er sieht die Gefahr einer Inländerdiskriminierung, die eine Wettbewerbsverzerrung nach sich ziehen würde. Helmut Kinzler, Leiter Logistik bei dem Getränkehersteller Eckes-Granini, zeigte sich gelassen angesichts des bevorstehenden Milog. Sein Unternehmen hat sich und seine Dienstleister über die Logistikakademie Janz zertifizieren lassen. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Risikovermeidung: Die Vertragspartner sollen eine Freistellungserklärung und eine Zusicherung unterschreiben, dass sie und ihre Subunternehmen Mindestlohn zahlen. Zudem soll bei Ausschreibungen beziehungsweise Angeboten bereits eine Bestätigung zum Mindestlohn eingefordert werden. "Ohne Bestätigung erfolgt keine Berücksichtigung", sagte Kinzler. "Und wir bevorzugen feste Partner und wollen Schnäppchen vermeiden", so Kinzler. Während also die Bundesregierung versucht, bei der Entlohnung der Angestellten ein bestimmtes Mindestniveau nicht zu unterschreiten, gelingt ihr das bei der Infrastrukturfinanzierung nicht. Zumindest vertrat Alexander Eisenkopf, Professor an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, diese Ansicht. "Es ist ein Staatsversagen in der Infrastrukturpolitik zu beobachten", sagte der Verkehrswissenschaftler, der auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums ist. Eisenkopf diagnostizierte ein Umsetzungsproblem: "Dass es an Geld mangelt, leugnet die Politik nicht." Zur Lösung des Problems plädierte er dafür, den Bau der Infrastruktur effizienter zu organisieren, eine allgemeine PKW-Maut einzuführen, die LKW-Maut weiterzuentwickeln und neue Wege bei der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur zu gehen. Wenn Deutschland nicht bald entgegensteuere, werde der Verfall der Infrastruktur perspektivisch zur Abwanderung wichtiger Industrien führen, so die Befürchtung Eisenkopfs. Quick: Wir leben von der Substanz BWVL-Präsident Jochen Quick stimmte Eisenkopf in seiner Eröffnungsrede in den meisten Punkten zu. "Wir leben von der Substanz", sagte Quick und wies auf die Situation in Köln: Von den sechs Rheinbrücken seien vier für LKW über 3,5 Tonnen gesperrt und eine nur eingeschränkt nutzbar. Quick appellierte daher an die Politiker, "endlich den vielen, vielen Worten Taten folgen zu lassen" und mehr Geld in die marode Infrastruktur zu investieren. Unzufrieden mit neuer Lkw-Maut Einteilung in vier Achsklassen könnte sich noch mal ändern Das Aufregerthema im Transportgewerbe ist neben dem Mindestlohn derzeit die neue LKW-Maut. Für viel Wirbel sorgen vor allem die neuen Mautkategorien, die nach den Plänen der Bundesregierung zum 1. Oktober 2015 kommen sollen. Denn dass die LKW mit vier Achsen besser gestellt werden als die mit fünf Achsen, wo letztere doch die Straßen weniger stark verschleißen, stieß auf der BWVL-Tagung auf Unverständnis. Christian Kunze, Jurist im Grundsatzreferat des Bundesverkehrsministeriums, stellte die Mautsätze vor. Danach sind für einen Euro-6-LKW mit fünf Achsen oder mehr ab dem 1. Oktober 13,5 Cent/Kilometer fällig. Für das gleiche Fahrzeug mit vier Achsen müssen nur 11,7 Cent gezahlt werden.Nicht für alle Wirtschaftszweige, aber beispielsweise bei Transporten für die Kurier-, Express- und Paketdienste sei ein Wechsel von fünf auf vier Achsen durchaus denkbar, bestätigte Marten Bosselmann vom KEP-Verband BIEK. Doch noch ist keinesfalls gesichert, dass die Mautklassen zum 1. Oktober 2015 auch tatsächlich so kommen wie angekündigt, sagte Kunze. Denn das Gesetz muss noch durch den Bundestag, da könne es noch zu Änderungen kommen. Zudem müsse man beobachten, ob die neue Systematik tatsächlich einen Trend zu Zwei-Achs-Aufliegern auslöse, die dann die Straßen stärker beschädigen. In diesem Fall könne es sein, dass das Gesetz noch einmal geändert werde. Eine Antwort, mit der sich BWVL-Präsident Jochen Quick nicht zufrieden gab: "Wir brauchen Planungssicherheit für unsere Investitionen", mahnte Quick. Sattelauflieger würden zehn Jahre und länger genutzt. Wenn Investitionen sich an dem Mautgesetz ausrichten würden, dürfe man das Gesetz nicht beliebig ändern. cd

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