Komplexer Einstieg in einen lohnenden Markt

Rund 50.000 zusätzliche Mitarbeiter, 4000 neue Fahrzeuge, drei weitere Cargo-Flieger - und das alles in einem knappen Jahr. SF Express, innerhalb von 20 Jahren vom Dokumenten-Zusteller zwischen Guangzhou und Hong Kong im Süden Chinas zum größten unabhängigen Zustelldienst des Landes mit über 20 Prozent Marktanteil gewachsen, ist der Inbegriff des chinesischen Traums von den unbegrenzten Möglichkeiten. Rasantes Wachstum in kürzester Zeit, solide Ergebnisse, seriöse Qualität. Was dem öffentlichkeitsscheuen Firmengründer Wang Wei gelungen ist, lässt sich indes nicht so einfach duplizieren. Die Volksrepublik bietet zwar einen riesigen, aber auch einen komplizierten Markt. Selbst ganz Große machen diese Erfahrung. So hat sich der Paketriese DHL vor vier Jahren angesichts geringer Rentabilität aus dem nationalen Geschäft wieder zurückgezogen, offiziell mit dem Hinweis auf die niedrigen Margen und den ruinösen Wettbewerb. Im Umfeld des Konzerns ist aber auch von einer Reihe von Missverständnissen, kulturellen Problemen und Managementfehlern zu hören gewesen. Die Wirtschaft im Land wächst weiter Trotz des inzwischen dicht besetzten Marktes und aller kulturellen Schwierigkeiten: Ein Einstieg in China lohnt auch heute noch, sind Experten überzeugt, schließlich wachse das Land kräftig weiter. Die Anforderungen haben sich indes in den vergangenen Dekaden geändert. Die abzudeckende Fläche wächst mit der Ausweitung von Produktionsstandorten. Die Qualitätsanforderungen werden komplexer, je anspruchsvoller die Abnehmer und ihre Produkte werden. In den größten, wirtschaftlich besonders weit entwickelten Städten wie Beijing, Shanghai oder Shenzhen, in China meist als "Tier 1" bezeichnet, ist der Logistikmarkt weitgehend gesättigt, sagt Kristina Koehler-Coluccia, Geschäftsführerin China beim Beratungsunternehmen Koehler Group in Shanghai. "Für Logistik-Neulinge im chinesischen Markt wäre ein Einstieg in den Tier-2-Städten mit schneller Ausdehnung in Zentren in der dritten Liga vorteilhaft." Aber nicht nur regional gibt es unterschiedlichen Bedarf. "Beste Chancen sehe ich in Nischen, die aufgrund von fehlendem Know-how und fehlenden Fachkräften von chinesischen Spediteuren nicht professionell abgedeckt werden können", rät Hans Mahncke, Gründer von Mahncke Logistics & Consulting in Hong Kong. Er zählt dazu Gefahrguttransporte, Tankcontainer sowie Kühltransporte. Viele Gefahrgüter würden heute regelmäßig falsch deklariert, um wegen der potenziellen Gefahren nicht mit weiteren Auflagen versehen zu werden. Mahncke verweist auf Feuerwerkskörper und Gasfeuerzeuge als Beispiele. Chancen würden auch Basis-Pharmazeutika bieten. "Dafür verlangt die Europäische Union einen lückenlosen Nachweis über Good Distribution Practices von der Fabrik bis zum Endverbraucher. Bisher kann kein Spediteur, keine Reederei oder Luftverkehrsgesellschaft solche umfassenden Nachweise anbieten." In Spezialbereichen wie Kunst, Gold und Schmuck sowie Topfpflanzen und Schnittblumen liege China ebenfalls noch weit zurück, es würden Experten gebraucht. Formal betrachtet brauchen Logistiker und Spediteure heute keine Joint-Venture-Partner, wenn sie vor Ort tätig werden wollen. Eine Kooperation mit einem gut vernetzten Anbieter kann aber angesichts der riesigen Landesfläche durchaus eine Überlegung wert sein, sagt Koehler-Coluccia. Hilfreich könne ein lokaler Partner auch beim Erwerb der nötigen Lizenzen sein, ergänzt Mahncke. "Transport und Logistik werden von der Regierung als 'strategische Bereiche' angesehen. Um an die notwendigen Lizenzen zu kommen, bietet sich eine Zusammenarbeit an, meist als Joint-Venture mit lokalen staatlichen Firmen." Der Logistik-Experte, der seit über 30 Jahren in China arbeitet, warnt allerdings vor häufig unterschiedlichen Interessen auf beiden Seiten und empfiehlt eine ausgiebige Prüfung der Sachlage. Differenzen bei Vertrieb und Marketing Zieht man ein Joint-Venture in Erwägung, "so ist es unerlässlich, einige deutsche Mitarbeiter in Schlüsselpositionen zu beschäftigen", empfiehlt Koehler-Coluccia. Diese sollten insbesondere Vertriebs-, Finanz- und Marketingaktivitäten des Unternehmens und der Marke genau verfolgen - alles Bereiche, in denen es häufig Differenzen zwischen deutschen und chinesischen Geschäftspartnern gibt. Umgekehrt ist es aber auch bei einem Start auf eigene Faust wichtig, lokales Personal an Bord zu haben. "Um mit gewerblichen Arbeitnehmern, Fahrern und Sub-Unternehmern gut zusammenzuarbeiten, ist die lokale Erfahrung ganz entscheidend", rät Mahncke. Das fange schon bei der Kenntnis lokaler Dialekte an: "Ein Fahrer aus Shanghai versteht zwar Mandarin, er aber wird eher Vertrauen zu einem Manager haben, der mit ihm den Shanghaier Dialekt spricht." Koehler-Coluccia empfiehlt daher einen Mix lokaler und westlicher Arbeitskräfte. "Ich glaube, dass es sehr wichtig ist zu verstehen, was ein westliches beziehungsweise deutsches Management vor Ort bedeutet. Als westliche Firma will man die 'deutschen Werte' auch in China erhalten, da es gerade diese sind, die chinesische und westliche Kunden attraktiv finden. Daher würde ich darauf keinesfalls verzichten." Ein Problem in der Volksrepublik: Eine Logistik-Ausbildung vergleichbar dem deutschen Vorbild gibt es nicht, Logistiker werden gemeinhin im Job ausgebildet. Qualifizierte chinesische Mitarbeiter werden daher häufig von anderen Firmen abgeworben, wo sie bereits Erfahrungen gesammelt haben. Günstig ist das nicht. In den größten Metropolen werden für qualifiziertes Fachpersonal heute Löhne gezahlt, die vergleichbar sind mit jenen in Deutschland. Jährliche Lohnsteigerungen von 20 Prozent sind nicht ungewöhnlich. In Spitzenzeiten wird es deutlich mehr: Aufgrund der enorm gestiegenen Volumina bei Expressgut wurden für die Fahrer im vergangenen Jahr teilweise Lohnzuwächse von bis zu 50 Prozent registriert. Ist das Unternehmen erst einmal in der Volksrepublik registriert, zählen Frequenz und Geschwindigkeit von Veränderungen politischer Regulierungen und Gesetze zu den größten Herausforderungen. Diese Anpassungen sind oft vor allem zum Vorteil der chinesischen Regierung, weniger im Interesse ausländischer Investoren. Keine Nachsicht walten lassen Aber auch auf Unternehmensebene lauern viele Gefahren. Hauptfaktoren für deutsche Investoren, die Koehler-Coluccia ausgemacht hat: Ein Mangel an Kontrolle und Kommunikation, noch verschärft durch das Sprachproblem, Repräsentanten vor Ort wird oft zu wenig auf die Finger geschaut. Und eine ethische Nachsichtigkeit, die dazu führt, dass deutsche Unternehmen Geschäftsaktivitäten zulassen, die sie in Deutschland niemals vollziehen würden. Dazu zählen etwa Schmiergeldzahlungen oder Gefälligkeiten - in der Annahme, dass sie damit in der Volksrepublik damit ungestraft davon kommen. "Dies ist eine falsche Ansicht von China", sagt Koehler-Coluccia. Eine entscheidende Hilfe für Aktivitäten in China, neben guter Vorbereitung und kultureller Sensibilität, liefert denn auch der einheimische Philosoph Konfuzius. "Zu wissen, was man weiß, und zu wissen, was man nicht weiß, das ist wahres Wissen." Tipps aus der Praxis Das müssen Unternehmen beim Einstieg in China beachten Deutsche Unternehmen in China müssen einiges berücksichtigen. Kristina Koehler-Coluccia, Geschäftsführerin China des Beratungsunternehmens Koehler Group in Shanghai, gibt Hinweise für die Arbeit im Land.- Legen Sie von Tag 1 an die Unternehmenskultur fest. Sie sind Gäste in China, ein gewisser Respekt ist nötig innerhalb der chinesischen Kultur. Berücksichtigen Sie das auch bei Ihrer Unternehmenskultur.- Registrieren Sie Ihr geistiges Eigentum am ersten Tag der Geschäftstätigkeit in China.- Stellen Sie sicher, dass eine Vertrauensbasis zwischen Ihnen und Ihren Lieferanten/ Kunden/Partnern/Servicefirmen besteht, bevor Sie mit diesen arbeiten.- Gesundheitschecks und interne Buchprüfungen sind die wichtigsten Werkzeuge für ausländische Investoren, die gerade in China gestartet sind, um die Einhaltung lokaler Vorgaben sicherzustellen.- Begutachten Sie interne Prozesse in Ihrem Unternehmen und kontrollieren Sie diese aktiv.- Entwickeln Sie einen Betrugsreaktionsplan.- Zu guter Letzt: Holen Sie Ratschläge ein, bevor Sie handeln, insbesondere wenn Sie neu im chinesischen Markt sind. cw