Tübingen. Die Bahn kann nach Ansicht des Arbeitsrechtlers Eduard Picker den neuen Streik der Lokführergewerkschaft juristisch nicht verhindern. „Der Streik ist rechtmäßig“, sagte der Professor an der Universität Tübingen der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa). Auch der Grundsatz der Tarifeinheit könne die Gewerkschaftsrechte aus dem Grundgesetz nicht überwiegen. Picker sprach sich zugleich für eine Beschneidung des Streikrechts durch den Gesetzgeber aus. Das Bundesarbeitsgericht habe den Grundsatz der Tarifeinheit entwickelt, erläuterte Picker. Danach soll in einem Unternehmen nur ein Tarifvertrag gelten können. Weil die Bahn mit den Gewerkschaften Transnet und GDBA bereits einen Abschluss erreicht hat, ginge der Streik der GDL bei Anwendung des Grundsatzes ins Leere und wäre damit rechtswidrig. „Die Tarifeinheit ist überholt. Sie wird zwar von einigen meiner Kollegen verteidigt, die große Mehrheit der Arbeitsrechtler lehnt sie aber ab“, sagte Picker. Die Deutsche Bahn AG hatte beim Arbeitsgericht Chemnitz Anträge auf Einstweilige Verfügungen gegen die für Freitag angekündigten Streiks eingereicht. Das Gericht will darüber heute entscheiden. Die Bahn sieht sich unterdessen für den Streik gewappnet. „Wir werden zusätzliches Personal einsetzen“, sagte ein Bahnsprecher in Stuttgart. Die Bahn stellt sich auf eine dreistündige Arbeitsniederlegung am Freitag ein. Bundesweit sollen mehr als 1000 zusätzliche Mitarbeiter eingesetzt werden. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) will heute bekanntgeben, wo es zu den Behinderungen kommen wird. Sie kündigte an, nicht den ganzen Tag zu streiken und keine Arbeitsniederlegungen am Wochenende zu planen. Die Lokführer fordern 31 Prozent mehr Geld und einen komplett eigenständigen Tarifvertrag. Bereits im Juli hatte es bundesweit massive Behinderungen durch Warnstreiks gegeben. Der Tübinger Professor Picker sprach sich für eine Beschneidung der Gewerkschaftsrechte aus: Verschärfte Streikregeln seien sinnvoll für Beschäftigtengruppen wie die Lokführer, aber auch Ärzte und Piloten, die eine entscheidende Stellung innehaben und durch ihre Streiks ganze Wirtschaftsbereiche oder große Unternehmensteile lahmlegen können. „Es geht hierbei um eine Monopolstellung. Die müssen wir beschneiden.“ Der Gesetzgeber könne etwa den Lokführern die Einrichtung von großzügigen Notdiensten vorschreiben und so das Ausmaß des Streiks begrenzen. Eine weitere Schwierigkeit sieht der Tübinger Experte darin, dass einzelnen Unternehmen wie der Bahn mehrere Gewerkschaften gegenüberstehen können. „Wir werden das nicht verhindern können“, sagte Picker. Problematisch werde es aber, wenn alle Einzelgewerkschaften zu unterschiedlichen Zeiten Lohnforderungen erhöben und mit Streiks drohten. „Der betriebliche Friede wäre dann dauerhaft gestört.“ Picker schlägt vor, in solchen Fällen die einzelnen Gewerkschaften zu zwingen, ihre Forderungen gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber zur gleichen Zeit abzugeben. „Das könnte man mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begründen. Für die Bahn kommt dieser Vorschlag natürlich zu spät.“ (dpa)
Jurist: Bahnstreik rechtmäßig
Deutsche Bahn sieht sich gewappnet: 1000 zusätzliche Mitarbeiter sollen Ausfälle ausgleichen