Interview mit IG-Metall-Vize Detlef Wetzel zu den Plänen eines neuen Flächentarifvertrags mit der Logistikbranche
Herr Wetzel, Immer mehr Industriebetriebe reduzieren ihre Wertschöpfungstiefe und vergeben Teile dieser Aufgaben an Dritte, zum Beispiel an Speditions- und Logistikdienstleister. Bereitet Ihnen diese Entwicklung aus Sicht Ihrer Mitglieder Sorge? Wenn ja, was tun Sie konkret dagegen?
Detlef Wetzel: Diese Entwicklung bereitet uns tatsächlich Sorgen, weil diese outgesourcten Dienstleistungen deutlich schlechter bezahlt werden als es nach den gängigen Tarifverträgen in der Metall- und Elektroindustrie der Fall wäre. Grund dafür ist, dass sich die Logistikdienstleister in einem extremen Preiskampf befinden und deshalb Entgelte zahlen, die auf die Wertschöpfung bezogen absolut nicht angemessen sind. Deshalb streben wir an, dass produktionsnahe Dienstleistungen, die zu unserer Wertschöpfungskette gehören, auch von uns tarifvertraglich reguliert werden.
Was verstehen Sie konkret unter produktionsnahen Dienstleistungen?
Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Aus unserer Sicht zählen dazu die Aufgaben, die ursprünglich zur Wertschöpfungskette zum Beispiel der Automobilindustrie oder anderen Betrieben der Metallindustrie gehört haben und nun von Dienstleistern erbracht werden. Dazu gehören Kommissionier-Tätigkeiten oder Aufgaben wie innerbetrieblicher Transport und Vormontage – um nur wenige Beispiele zu nennen. Der Automobiltransport von A nach B oder ein zentrales Materiallager, das Logistikleistungen erbringt, zählt also aus unserer Sicht nicht dazu. Wir wollen ja nicht die Logistikbranche durcheinander bringen. Das ist nicht unsere Intention. Wir erheben nicht den Anspruch auf alles, was bewegt wird. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Tätigkeiten, die direkt mit den Wertschöpfungsketten in unserem Organisationsbereich in Verbindung stehen. Und diese Aufgaben wollen wir tarifvertraglich regulieren.
Einen ersten Etappensieg haben Sie soeben errungen. Das Arbeitsgericht Frankfurt hat unlängst entschieden, dass IG Metall für die Mitarbeiter der Rudolph Automotive Logistik zuständig ist, die in Leipzig für den Automobilhersteller BMW Mehrwertdienste erbringen. Bislang war Verdi der Tarifpartner. Wie wegweisend war dieses Urteil für IG Metall?
Es ist eindeutig, dass die Aufgaben, die Rudolph Automotive erbringt, unseren tarifvertraglichen Regelungen unterliegen. Insofern hat uns das Urteil des Gerichts bestätigt. Es schafft jetzt rechtliche Klarheit.
Ermutigt Sie dieses Urteil, den Weg in die Logistikbranche weiter auszubauen?
Auf jeden Fall. Wir werden dieses Thema jetzt mit der Automobil-, Maschinenbau- und Stahlindustrie diskutieren. Außerdem wollen wir in nächster Zeit auch mit den Verbänden der Logistikbranche Kontakt aufnehmen, weil wir den Anspruch haben, dort wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Das geht am besten über einen Flächentarifvertrag, der von uns gestaltet wird. Das ist die Perspektive. Es macht keinen Sinn auf Dauer Einzeltarifverträge abzuschließen, wie wir es im Moment tun. In der Perspektive müssen wir aber gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen schaffen und zwar für Mitarbeiter aller Qualifikationen und aller Entgeltgruppen.
Wie will sich IG Metall künftig das Feld der Logistikbranche mit Verdi aufteilen?
Natürlich sprechen wir beide darüber. Unser Ziel ist eine sinnvolle Aufteilung, die an der Sache orientiert ist. IG Metall will ja nicht die gesamte Logistikbranche gewerkschaftspolitisch bearbeiten, sondern nur die Bereiche, die traditionell zu unseren Wertschöpfungsketten gehören. Das ist auch im Interesse der Automobilbranche. Denn auf Dauer wird es sich dort die Belegschaft nicht mehr gefallen lassen, dass es drei Klassen von Mitarbeitern gibt: die Stammbelegschaft, Leiharbeiter und Beschäftigte via Werkvertrag. Deshalb wäre es sinnvoll, dass wir jetzt sachlich und vernünftig darüber diskutieren: Wo liegen Entgelt-Niveaus für diese Aufgaben, wie verhindern wir einen Dumping-Wettlauf nach unten, und wie sichern wir für alle möglichst gute Arbeitsbedingungen, die an einem Produkt beschäftigt sind?
Nochmals gefragt: nach welchen Kriterien könnte eine Aufteilung zwischen IG Metall und Verdi in der Logistikbranche erfolgen?
Da sind wir wieder beim Thema Wertschöpfung. Die entscheidende Frage ist, was ist beispielsweise notwendig, um ein Auto zu produzieren. Wenn dafür traditionell der innerbetriebliche Transport in einer Produktionsstätte notwendig war, beanspruchen wir für diesen Bereich die Zuständigkeit. Und wenn der Wareneingang und die Qualitätskontrolle früher Aufgaben des Herstellers gewesen sind, fallen auch diese Aufgaben in den Zuständigkeitsbereich der IG Metall. Oder wenn kleinere oder größere Vormontagen oder aber Kommissionierungen getätigt werden, fällt auch das dann in unsere Zuständigkeit. Da ist es nicht entscheidend, wie viel Umsatz ein Spediteur in dem jeweiligen Segment erwirtschaftet. Es geht nur um die Frage, welcher Tarifvertrag gilt für die Mitarbeiter?
Das heißt: jeder Logistikdienstleister müsste mit Ihnen an jedem Standort, an dem er tätig ist, dafür extra einen Haustarifvertrag mit IG Metall aushandeln.
Gerade deshalb dürfte es im Interesse aller Betriebe der Logistikbranche sein, dass sie mit uns einen Flächentarifvertrag aushandeln. Aus Gesprächen weiß ich, dass viele Betriebe um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten, wenn sie die Entgelte ihrer Mitarbeiter mit uns aushandeln müssen. Dieses Argument kann ich auch nachvollziehen. Deshalb liegt es – das kann ich nur nochmals betonen - im ureigensten Interesse der Logistikunternehmen möglichst schnell mit uns einen Flächentarifvertrag auszuhandeln, der branchen-spezifisch ist. Nochmals es geht um eine branchenspezifische Lösung, die auf Basis der sachspezifischen Besonderheiten der Branche noch ausgehandelt werden muss.
Welche Signale empfangen Sie da aus der Logistikbranche?
Sehr unterschiedliche! Einerseits besteht die Sorge vor zu großen Belastungen, die sich sehr leicht zerstreuen lässt, weil wir eine vernunftbegabte Gewerkschaft sind. Andererseits gibt es die Sorge, dass manche Logistikunternehmen die Situation durch Lohndumping ausnutzen, um sich dadurch Wettbewerbsvorteile gegenüber besser zahlenden Firmen zu verschaffen. Die einzige Lösung ist also ein bundesweiter Flächentarifvertrag.
Von welchem Zeithorizont gehen Sie da aus?
Wir machen ja nichts von oben nach unten; wir arbeiten immer von unten nach oben. Wir haben in vielen Betrieben damit begonnen, Betriebsräte zu gründen, wo es bislang keine gab, um so unseren Organisationsgrad zu erhöhen. Und wenn wir das Gefühl haben, jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, werden wir mit den Kunden sprechenund mit den Betriebsräten in der Automobilindustrie. Stellen Sie sich vor: irgendwann sagt dann ein solcher Hersteller: Wir wollen nur noch mit Speditionen zusammen arbeiten, die nach IG Metall-Tarif bezahlen. Dann wäre es gut, wenn die Logistikfirmen mit uns zusammen arbeiten und mit uns gemeinsam eine gute Geschäftsgrundlage erarbeiten.
In welchen Branchen – neben der Automobilbranche -sehen Sie da konkret Potenzial?
Im Maschinenbau und in der Stahlbranche – natürlich jenseits der Entwicklungsdienstleistung. In der Stahlbranche geht es aber weniger um Logistikthemen, sondern um industrielle Dienstleistungen wie Verpackung.
Letzte Frage: Bislang hat es den Anschein, dass IG Metall vor allem in den neuen Bundesländern in der Logistikbranche aktiv ist. Warum sind die alten Bundesländer für Sie kein Thema?
Es hat vielleicht den Anschein, weil es in Sachsen viele Automobilfirmen gibt. Richtig aber ist: Wir haben zum Beispiel auch im Güterverteilzentrum in Ingolstadt unlängst ein Projekt begonnen, in dem 30 bis 40 Unternehmen tätig sind. Kurz: das Ganze ist für uns ein bundesweites Thema.
Interview: Eva Hassa, Redakteurin