München. Lebensgefährlicher Straßenbelag: Der Sommer macht deutschen Autobahnen zu schaffen. Hitzebedingte Aufbrüche der Fahrbahnen, sogenannte Blow-ups, gefährden das Leben der Verkehrsteilnehmer. Eine Folge der Unterfinanzierung der Infrastruktur? Welche Konsequenzen müssen nun gezogen werden? Ein Gespräch mit Josef Seebacher, von der Autobahndirektion Südbayern in München.
Herr Seebacher, wie groß sind die Probleme auf den „Beton“-Autobahnen?
Josef Seebacher: Das Problem plötzlicher hitzebedingter Fahrbahnaufbrüchen ist seit vielen Jahren bekannt. In den letzten Jahren sind zwischen 0 und 9 Fahrbahnaufbrüche – durchschnittlich etwa 5 bis 6 - aufgetreten. Die Aufbrüche entstehen bei älteren Betondecken und bei höheren Temperaturen. Aus den ausgewerteten Aufbrüchen sehen wir Betondecken älter als 1990 als kritisch an.
Warum ist eigentlich der Betonanteil im Süden der Republik höher als in anderen Teilen?
Wir können Ihnen dazu leider nichts konkretes sagen, da wir nur Informationen über unseren Zuständigkeitsbereich in Südbayern haben. Die Betonfahrbahnen sind zum damaligen Zeitpunkt in ganz Deutschland nach den damals gültigen Vorschriften und Berechnungsverfahren dimensioniert und gebaut worden. Mögliche Ursachen für die Schäden im Süden könnte der sehr starke und vor 1990 nicht vorhersehbare Anstieg des Schwerverkehrs sein. Bayern hat sich von einer Randlage zum zentralen Transitland in Europa entwickelt.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie denn aktuell?
Wir haben das bestehende Kontrollsystem um ein Warnsystem erweitert. Ab 28 Grad Celsius prognostizierter Lufttemperatur für einen bestimmten meteorologisch abgegrenzten Streckenabschnitt wird für diesen Abschnitt eine Warnung heraus gegeben. Verkehrsteilnehmer sollen aufmerksam und vorsichtig fahren. Motorradfahrer sollen die Autobahn meiden. Die Autobahnmeistereien kontrollieren verstärkt die betroffenen Autobahnabschnitte. Ab 30 Grad Celsius prognostizierter Lufttemperatur wird zusätzlich die Geschwindigkeit in diesen Streckenabschnitten auf 80 km/h begrenzt. Beim Auftreten eines Hitzeaufbruchs wird diese Stelle sofort abgesichert. Am Abend, wenn die Spannungen im Beton nachgelassen haben wird die schadhafte Betonplatte herausgebrochen und über Nacht provisorisch mit Asphalt verfüllt. Nach dem Auskühlen des Asphalts wird der betroffene Fahrstreifen in der Regel vor Einsetzen des morgendlichen Berufsverkehrs wieder für den Verkehr frei gegeben. Im Herbst wird dann in diesem ausgebesserte Bereich der provisorische Asphalt wieder heraus gefräst und wieder mit Ankern und Dübeln versehen und mit Beton verfüllt.
Hier kommt auch der Vorwurf, dass die Ausbesserung mit Asphalt auf Betonautobahnen zu Problemen führt. Ist das falsch, oder gibt es hier Änderungsbedarf?
Für die Reparaturen von hitzebedingten Fahrbahnschäden gibt es genaue Arbeitsanleitungen, damit Folgeschäden verhindert werden. Die Sofortreparatur erfolgt mit Asphalt, damit der Verkehr möglichst schnell wieder rollen kann. Im Herbst bei kühleren Temperaturen werden diese Stellen dann wieder mit Beton und den erforderlichen Metalldübeln und –ankern ausgebessert. In der Tat muss bei den Reparaturen sehr vorsichtig vorgegangen werden, damit die Spannungen an den unbeschädigten Platten nicht zu groß werden. Es werden hier Entlastungsschnitte vorgenommen, um die Spannungen abzubauen. Dazu muss aber die Temperatur etwas abgesunken sein. Wir haben aktuell ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass all diese Fragen noch einmal auf wissenschaftlicher Basis aufarbeiten soll und uns konkrete Hilfestellungen zur Risikoeingrenzung und zum Umgang mit Schadensstellen geben soll.
Liegt das Problem an der Unterfinanzierung der Infrastruktur?
Die betroffenen Betondecken sind in der Tat sehr alt. Sie wurden aber nach den damals gültigen Regeln geplant und gebaut. Ausgelegt wurden sie aber für etwa 20 Jahre Lebensdauer. Auch der massiv angestiegene LKW-Verkehr nach der EU-Osterweiterung der Bayern von einer Randlage zum Zentrum der Verkehrsströme in Europa gebracht hat wurde bei der Bemessung der Fahrbahn nicht berücksichtigt. Die Erneuerung der A 93 AD Inntal bis Kiefersfelden und der A 3 Regensburg bis Passau läuft daher seit einigen Jahren bereits auf Hochtouren. Auch in diesem Jahr sind einige Deckenlose derzeit in Bau.
In der Vergangenheit stand wegen der Unterfinanzierung im Straßenbau zu wenig Geld für die Erhaltung zur Verfügung. Seit zwei Jahren hat der aktuelle Bundesverkehrsminister hier das Ruder herum gerissen und die Beträge für die Erhaltung massiv aufgestockt. Das Ergebnis ist für jeden Verkehrsteilnehmer deutlich sichtbar: Viele Baustellen auf den Autobahnen. Und gerade bei der Einrichtung und Abwicklung von Baustellen stoßen wir aber an Grenzen, weil dem Verkehrsteilnehmer nur eine begrenzte Zahl an Baustellen zugemutet werden kann. Rein rechnerisch müsste – ohne Berücksichtigung des Nachholbedarfs – bei einer Lebensdauer einer Fahrbahndecke von etwa 20 bis 25 Jahren in jedem Jahr etwa 4 bis 5 Prozent der Fahrbahnen erneuert werden. Wegen der unvermeidlichen Beeinträchtigung des Verkehrs auf der Gegenfahrbahn wären daher auf etwa 10 Prozent des Autobahnnetzes pro Jahr Baustellen erforderlich. Darin sind die notwendigen Erneuerungen und Sanierungen unserer über 3000 Bauwerke und Brücken noch nicht enthalten.
Sie sagen, dass seit zwei Jahren mehr Geld in den Erhalt gesteckt wurde. Dennoch sind die Hitzeschäden dieses Jahr gehäuft aufgetreten. Wenn Geld nicht das Problem ist, wo liegt dann der Fehler?
Es wird natürlich noch sehr lange dauern, die Erhaltungsrückstände der Vergangenheit abzuarbeiten. Der Engpass wird nach unserer Einschätzung eher daran liegen, welche Anzahl von Baustellen dem Verkehrsteilnehmer zugemutet werden kann. Wir geraten hier mit unseren Baustellenverkehrsführungen an die Grenzen. Es müssen darüber hinaus diverse Ferienzeiten etc., beachtet werden, so dass vielfach nur noch mit sehr großem Aufwand und hohen finanziellen Zusatzkosten Nachts und im 24 Stunden-Betrieb die Fahrbahnen erneuert werden können. Das Autobahnnetz ist bereits im Regelbetrieb bis an die Grenzen belastet, so dass für Erneuerungen keine Kapazitäten mehr bestehen. (tr)
Das Interview führte Tobias Rauser, Chef vom Dienst
Interview: Ist die Unterfinanzierung Grund für die Hitzeschäden auf Autobahnen?
Autobahnen explodieren und gefährden das Leben der Verkehrsteilnehmer. Ein Gespräch über die Hintergründe und Konsequenzen mit Josef Seebacher von der Autobahndirektion München.