Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer verkündet immer wieder, dass bei den Verkehrsinvestitionen der Erhalt Vorrang hat. Werden die Schwerpunkte mittlerweile richtig gesetzt?
Prof. Karl-Hans Hartwig: Der Vorrang von Erhaltungsinvestitionen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die spannende Frage ist allerdings, ob dies auch umgesetzt wird. Denn die umfangreichen Qualitätsmängel in unseren Bestandsnetzen von Straßen und Schienenwegen sind ja nicht plötzlich über Nacht vom Himmel gefallen, sondern sie sind das Ergebnis von Versäumnissen vieler Jahre. Aber für die Politik waren zumindest bislang Erhaltungsinvestitionen einfach nicht sexy genug. Auf die Wähler kann man damit nämlich lange nicht so viel Eindruck machen, wie mit weithin sichtbaren Neubaumaßnahmen. Das gilt übrigens auch für Überlastungen im Schienennetz. Da selbst bei massiven Kapazitätsengpässen die Züge ja nicht, wie auf der Autobahn, für alle sichtbar hintereinander im Stau stehen, sind Leuchtturmprojekte wie teure Hochgeschwindigkeitsstrecken im Schienenpersonenfernverkehr häufig politisch attraktiver als etwa die Engpassbeseitigung für den Güterverkehr und den Schienenpersonennahverkehr in Ballungsräumen. Obwohl insbesondere der Schienengüterverkehr mit Abstand die höchsten Wachstumsraten aufweist. Das heißt, auch hier sind deutlich andere Schwerpunkte zu setzen als bisher.
Wie könnte das aussehen?
Insgesamt müssen die die knappen Mittel effizienter eingesetzt werden, also dorthin fließen, wo sie am Dringendsten benötigt werden. Und das ist auf absehbare Zeit neben der Erhaltung vor allem die Beseitigung von Kapazitätsengpässen auf Strecken mit wachstumsstarken Verkehren in belasteten Korridoren mit hoher Netzwirkung. Das gilt uneingeschränkt für alle Verkehrsträger. Wie wichtig das ist, bestätigen auch viele nationale und internationale Studien. Danach sind in hochentwickelten Volkswirtschaften die Wachstums- und Beschäftigungseffekte von Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur am größten, wenn sie der Engpassbeseitigung dienen, während sich überdimensionierte Einrichtungen zur Wachstumsbremse entwickeln können.
Reicht das bereits aus?
Nein, zu mehr Effizienz in der Infrastrukturpolitik gehört auch ein effizienterer Einsatz der vorhandenen Kapazitäten. Und das bedeutet: Dort wo eine Engpassbeseitigung durch Ausbau nicht möglich oder zu teuer ist, sollte man über eine entsprechende Bepreisung nachdenken. Im Trassenpreissystem der DB Netz wird so etwas bereits praktiziert, allerdings völlig undurchschaubar. Bei den Bundesfernstraßen müsste es nicht zwangsläufig bedeuten, dass man bei Kapazitätsüberlastungen höhere Gebühren zahlt. Vielmehr kann man sich auch negative Staugebühren vorstellen. Danach würde zum Beispiel auf stark belasteten Strecken die LKW-Maut für jene Zeiträume abgesenkt, in denen kein Engpass besteht.
Glauben Sie, dass die Politik zu einem solchen Strategiewechsel in der Lage ist?
Die aktuellen Verlautbarungen der Parteien und der Bundesverkehrsministeriums deuten zumindest auf ein wachsendes Problembewusstsein hin. So ist in den konzeptionellen Überlegungen zum neuen Bundesverkehrswegeplan 2015 zum Beispiel davon die Rede, dass Erhalt, Engpassbeseitigung und eine Orientierung an Verkehrskorridoren Vorrang haben sollte. Andererseits wissen wir, dass politische Rationalität häufig notwendige Änderungen verhindert. Verschärfend wirkt sich in diesem Zusammenhang zudem aus, dass die Verkehrsinfrastruktur seit langem chronisch unterfinanziert ist. Und das hat überhaupt nichts mit Versäumnissen der Verkehrspolitik zu tun, sondern vielmehr mit politischer Rationalität auf einer höheren Ebene. Da die Wähler eine ausgeprägte Präferenz für Gegenwartskonsum besitzen, genießen in den öffentlichen Haushalten im Zweifelsfalle konsumtive Ausgaben gegenüber investiven Ausgaben immer Vorrang. Das führt dann zu der paradoxen Situation, dass zwar alle die Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur beklagen, sich aber nichts ändert.
Wie kann man die Probleme lösen?
Lösen lassen sie sich eigentlich nur, wenn man die Bereitstellung und Finanzierung der Bundesverkehrswege anders organisiert als bisher. So könnte man mit diesen Aufgaben autonome Verkehrsinfrastrukturgesellschaften beauftragen, die sich komplett über Nutzergebühren im Rahmen geschlossener Finanzierungskreisläufe refinanzieren und die Investitionsentscheidungen nach Effizienzkriterien treffen. Das bedeutet nicht, dass gesellschaftliche Belange keine Berücksichtigung finden. Auch behält der Staat das Genehmigungsrecht. Aber wenn er Infrastruktureinrichtungen dort wünscht, wo die Gebühreneinnahmen die Bereitstellungskosten nicht decken, muss er im Rahmen des Bestellerprinzips den Fehlbetrag ausgleichen.
So attraktiv sich das Modell anhört: Für wie realistisch halten Sie die politische Machbarkeit?
Nun muss man die Vor- und Nachteile solcher vor einer Einführung solcher neuen Organisationsformen genau prüfen. Aber selbst wenn sich herausstellen sollte, dass sie zu einer Verbesserung beitragen könnten, bedeutet das noch lange nicht, dass sie umgesetzt werden. Denn die Widerstände sind groß. Da ist die Politik, die etwa bei einer Umfinanzierung von Steuern zu Gebühren diskretionäre Handlungsspielräume verliert. Da sind öffentliche Verwaltungen, die befürchten, dass sie Einfluss einbüßen. Und da sind Verbände und Bürger, die Angst haben, dass letztlich alles nur teurer wird. Aber vielleicht werden ja die finanziellen Anforderungen, die bereits in der Zukunft auf die öffentlichen Haushalte zukommen werden so groß, dass gar keine andere Möglichkeit bleibt. (cd)
Ein ausführlichen Beitrag zum Zustand der Verkehrswege in Deutschland erscheint am Freitag, 8. Februar, in der Printausgabe der VerkehrsRundschau 7/2013.