Interview

Interview Klare Position zu Reizthemen Euro 6, neue LKW-Maße, Harmonisierungsmittel – Hermann Grewer, Präsident des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), und BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt nehmen im Interview Stellung. Der BGL hat mehrfach davon abgeraten, vorzeitig Euro-6-Fahrzeuge anzuschaffen. Warum diese Haltung? Hermann Grewer: Euro 6 ist aus unserer Sicht eine Rolle rückwärts. Es werden nur noch marginale Verbesserungen bei den Emissionen erreicht und der Kraftstoffverbrauch gegenüber modernen Euro-5-Motoren steigt. Dafür müssen wir auch noch teuer zahlen. All das spielt sich vor dem Hintergrund ab, dass in kurzer Zeit neue Motorengenerationen anstehen: Die EU arbeitet bereits an einer CO2-Norm für schwere Nutzfahrzeuge, die 2014 legislativ abgeschlossen sein soll. Wenn die Automobilindustrie diese Technik dann auch wieder in vorauseilendem Gehorsam – wie bei Euro 5 und 6 – bereitstellt, werden die Euro-6-LKW bereits in zwei Jahren überholt sein. Wobei die aktuellen Tests zeigen, dass sich Euro 6 verbrauchsneutral darstellen lässt. Grewer: Wie kommt es dann, dass Euro 5 neu sieben Prozent weniger verbraucht? Die Hersteller beweisen uns doch mit den Testfahrten, dass sie diese Einsparung bereits darstellen können. Das sind die Punkte, die uns misstrauisch machen. Wer jetzt Euro 5 kauft, hat sieben Prozent weniger Verbrauch und tut der Umwelt nichts Böses, weil alle Emissionen und die Treibhausgase abnehmen. Karlheinz Schmidt: Es geht darum, Energieressourcen und damit CO2 zu sparen. Wir müssen uns angesichts der hohen Euro-5-Standards um die Verbräuche kümmern und nicht darum, dass das letzte Partikelchen aus dem Auspuff geholt wird. Aber wie sieht es mit den Wiederverkaufswerten von Euro 5 nach 2014 aus, wenn Euro 6 Standard ist? Schmidt: Diese Fahrzeuge können Sie in Richtung Osteuropa gerade noch absetzen. Dagegen werden dort Euro-6-LKW wegen der Dieselqualität und der technischen Voraussetzungen nicht zu verkaufen sein. Was macht Sie so sicher, dass die CO2-Zielwerte so rasch veröffentlicht werden? Schmidt: Die Kommission will noch in ihrer Amtszeit den legislativen Akt für CO2-optimierte schwere Nutzfahrzeuge abschließen und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem Euro 6 planmäßig eingeführt wird. Dann dürfte bekannt sein, was ein CO2-optimiertes Fahrzeug verbrauchen darf. Nach den Erfahrungen der Kommission mit dem Verhalten der Industrie bei der Einführung von Euro-6-Standards kann nicht noch einmal argumentiert werden, eine CO2-Optimierung ginge nicht. Die Kommission wird sich kaum mehr erweichen lassen. Deshalb raten wir den Unternehmen: Nimm das Bestbewährte, schone Ressourcen, spare Sprit, gönne dir eine Pause bei vorgezogenen Investitionen und tue das, was ein vernünftiger Kaufmann tut. Aber manche Verlader werden Euro 6 fordern. Grewer: Wenn sie das auch zahlen. Das rechnen wir ihnen dann gerne vor. Aber für die grüne Bilanz eines Verladers macht es wenig Sinn. Euro 6 spart ja kein CO2, im Gegenteil. Wenn der Verlader einen günstigen Carbon Footprint möchte, muss er eigentlich seinem Transporteur Euro 6 verbieten. Anfang 2014 wird es mit einer neuen Bundesregierung auch eine neue Mautverordnung geben. Euro 6 wird dann deutlich günstiger eingestuft werden. Grewer: Die EU hat der Mautspreizung enge Grenzen gesetzt. Bei sieben Prozent weniger Verbrauch bei Euro 5 und rund 10.000 Euro Mehrkosten bei Euro 6 ist das eine simple Rechnung, dass man die Mautspreizung noch einige Zeit überbrücken kann. Schmidt: Ich glaube nicht, dass die Maut 2014 wieder so falsch berechnet werden wird wie beim letzten Mal. Damals hatte man eine große Spreizung gemacht, um dann Jahr für Jahr über fehlende Mauteinnahmen zu lamentieren. Aus Brüssel kommt das Konzept, Euro 6 zwei Jahre von den Luftverschmutzungskosten freizustellen. Laut Wegekostenrichtlinie haben wir einen Anreiz von einem Cent. So ergeben sich über drei Jahre drei Cent Kostenvorteil gegenüber Euro 5, wenn man stadtnah fährt. Bei Überlandfahrten sind es zwei Cent. Daran muss sich Deutschland orientieren. Die von der Industrie geforderten fünf Cent sind eine Subventionierung, die weit über den Umweltnutzen hinausgeht. Sie haben gerade mehrfach den Umweltnutzen betont. Lassen Sie uns doch das Thema Lang-LKW aufgreifen. Grewer: Moment. Hier redet der BGL von modularen Systemen. Die sind zwar auch für die Umwelt optimal, dienen aber vor allem dazu, die Infrastruktur intelligent zu nutzen. Uns werden bestimmte Behältnisse im Land- und Seeverkehr vorgegeben, dazu gehören 45- und 48-Fußcontainer. Die Bahn kann diese Container fahren, wir brauchen eine Ausnahmegenehmigung auch für den Vor- und Nachlauf. Mittlerweile fahren wir etwa 15 Prozent aller Container mit einer Dauerausnahmegenehmigung. Deshalb möchten wir modulare Systeme mit angepassten Fahrzeugmaßen, damit wir diese Container und Behältersysteme dauerhaft legal fahren können. Das brauchen wir nicht zuletzt, um als Industrieland wettbewerbsfähig zu bleiben. Der BGL und ein gutes Dutzend anderer Verbände haben als Initiative Innovative Nutzfahrzeuge (IIN) ein Positionspapier zum Lang-LKW unterzeichnet. Der ADAC hat Ähnliches unter dem Dach des Deutschen Verkehrsforums getan. Jetzt haben ADAC und BGL eine gemeinsame Erklärung zu dem Thema an den Verkehrsminister adressiert. Was war der Grund? Grewer: Man hat versucht, den LKW und den PKW in der Öffentlichkeit auseinanderzudividieren. Das war für uns der Grund, uns mit dem ADAC zusammenzusetzen. Es ist doch sinnvoll, wenn sich die Nutzer der Infrastruktur gemeinsam äußern. Uns geht es um das Verhältnis zu den PKW-Fahrern, mit denen wir uns die Straße teilen. Mit dem ADAC konnten wir uns zum Glück auf einen gemeinsamen Nenner zum Ablauf des geplanten Lang-LKW-Feldversuchs einigen. Damit hat weder der ADAC seine Position beim Verkehrsforum unterlaufen, noch haben wir die IIN im Regen stehen lassen. Warum ist es nicht gemeinsam mit der IIN geschehen? Grewer: Die Federführung dort liegt nicht bei uns. Sonst wäre es schon früher zu einer Zusammenarbeit mit dem ADAC gekommen. Die IIN ist ein reines Wirtschaftsbündnis. Jetzt haben wir ein Nutzerbündnis geschaffen. Und was ist jetzt neu, was Sie gemeinsam mit dem ADAC erklärt haben? Schmidt: Wir wollen eine dezidierte Versuchsanordnung. Auch die Vor- und Nachlaufstrecken sollen sorgfältig untersucht werden, damit es hier zu keiner Beeinträchtigung der Sicherheit kommt. Bis jetzt gibt es darüber noch keine präzisen Vorstellungen. Auch die IIN konnte sich noch nicht zu einer diesbezüglichen Position konkret entscheiden. In dem BGL-ADAC-Papier wird eine Verlängerung um 1,35 Meter empfohlen. Verabschieden Sie sich damit von den noch längeren Fahrzeug-Kombinationen? Grewer: Nein. Das ist nur der Hinweis darauf, dass es um behälterkompatible Fahrzeuglängen geht, um den Systemgedanken und die Modularität zu betonen. Schmidt: Die Fahrzeuglängen müssen zu den Behältern im Land- und Seeverkehr passen. Das ist uns wichtig. Selbst wenn in Deutschland das Langfahrzeug nicht kommt, wird es in den umliegenden europäischen Ländern eingeführt werden. Dort bemüht man sich um Effizienz. Irgendwann sehen wir vielleicht die guten Beispiele um uns herum und lassen bestimmte Kombinationen zu, die der BGL einst vorgeschlagen hat. Deshalb ist es wichtig, über europäische Maße zu reden. Wer sagt, ein verlängerter Auflieger ist nur ein kleiner Fortschritt, der versteht nicht die Revolution, die dahintersteht. Schließlich kann europaweit alles kombiniert werden, was normiert ist. Wenn ein ,nur‘ verlängerter Auflieger herauskäme, wäre das ein Quantensprung. Dann lehne ich mich zufrieden zurück und muss gar nicht mehr über Kombinationslängen philosophieren, weil dies Sache nationaler Entscheidungen ist. Wie steht es in der EU um die Längendiskussion? Schmidt: Es ist gerade ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben worden. Der Direktor Landverkehr Ruete hat uns gebeten, ihm noch einmal das BGL-Konzept zur Anpassung der Behälter- und Fahrzeugmaße zu präsentieren. Seiner ersten Einschätzung nach könnte dies vielleicht ein gangbarer Weg für Europa sein. Unser Konzept lässt sich in den EU-Ländern umsetzen, ohne dass daraus für irgendein Land ein Handelshemmnis resultiert. Die Niederländer können weiter 60 Tonnen bei sich zulassen, in Deutschland könnten sie den gleichen Sattel mit einem niedrigeren Gewicht fahren. Die Fahrzeuge bleiben dieselben,trotzdem können Gewichte und Kombinationslängen national nach Infrastrukturvorgaben geregelt werden. Wie realistisch ist es, dass der Feldversuch noch kommt? Grewer: Der kommt. Davon sind wir überzeugt. Wenn das Positivstraßennetz demnächst veröffentlicht wird, kennt der Unternehmer seine zugelassenen Strecken. Selbst Nordrhein-Westfalen erwägt mittlerweile, diese Fahrzeuge an seiner Peripherie durchfahren zu lassen. Dort haben sich die Einsichten nach vielen Erklärungen jetzt erweitert. Sollte bis Anfang Oktober der Feldversuch allerdings noch nicht gestartet sein, kann man ihn wohl abhaken. Dann ist in der einen oder andren Amtsstube mit gezinkten Karten gespielt worden. Wobei Sie momentan mit der Arbeit in Amtsstuben, zumindest denen des BAG, ganz zufrieden sein müssten, wenn man sich die Bilanz bei den Mautharmonisierungsmitteln ansieht. Schmidt: Es waren Mitte Mai bereits alle Neuanträge erledigt, letztes Jahr hatte sich das bis Ende August hingezogen. Die Antragsteller erhalten ihr Geld jetzt auch aus dem letzten Jahr, aus dem noch 200 Millionen Euro abfließen müssen. Die Haushaltsmittel, die auch Förderanträge des letzten Jahres noch decken müssen, werden knapp. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass die in diesem Jahr bereitgestellten Haushaltsmittel zum ersten Mal, also im „Jahr drei“ der Mautharmonisierung, abfließen werden. Warum läuft es jetzt so viel besser? Schmidt: Die Verbänderunde hat mit ihren guten Vorschlägen einiges bewirkt, damit das Verfahren praxisnäher und einfacher gestaltet wird. Vieles wird jetzt pauschal abgerechnet. Außerdem ist die Quote bei den vertieften Einzelprüfungen zurückgenommen worden. Beide Seiten, Unternehmer und das BAG, haben gelernt. Stehen die Gelder, die bisher nicht abgeflossen sind, weiterhin zur Verfügung? Schmidt: Es gibt die Zusage des Ministers, dass diese Mittel dem Gewerbe nicht verloren gehen. Die Mautharmonisierungsmittel sind über einen internen Verrechnungskreislauf übertragbar und mit den Infrastrukturmitteln deckungsfähig. Wir müssen abwarten, was passiert, wenn das Jahr X kommt, an dem der Finanzbedarf so hoch ist, dass er aus den aktuellen Mitteln des Haushaltsjahres nicht bestritten werden kann. Wie hoch ist die Summe der Harmonisierungsmittel für das Jahr vier? Grewer: Es stehen in diesem Jahr etwa 400 Millionen Euro dafür im Haushalt. ❙❚■ Birgit Bauer, Michael Cordes Der Verband Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) In den Landesverbänden des BGL sind rund 10.000 Unternehmen aus den Bereichen Straßentransport, Logistik, Spedition, Lagerei und Entsorgung organisiert. In der Frankfurter Zentrale arbeiten etwa 40 Mitarbeiter, die acht Fachabteilungen verfassen fachliche Expertisen zu Themen der europäischen und nationalen Verkehrspolitik, fassen für Mitgliedsunternehmen Fachinformationen zusammen, planen Kampagnen sowie Veranstaltungen und nehmen an Fachgremien teil. In Brüssel und Berlin vertreten Mitarbeiter vor Ort die Interessen des Gewerbes. Zahlreiche Ausschüsse und Arbeitskreise mit Unternehmensvertretern sorgen für fachliche Nähe zu den Problemen der Praxis. Konkrete Aussagen für das Gewerbe gemacht: Karlheinz Schmidt (l.) und Hermann Grewer (r.) Vita Der Präsident Hermann Grewer leitet seit 1995 die Geschicke des Bundesverbands. Geboren am 6. Juni 1943 in Braunschweig studierte Grewer in München und Karlsruhe Maschinenbau. Bereits während des Studiums leitete er das elterliche Speditionsunternehmen und baute es aus. Mittlerweile hat sich Grewer von einem Teil des Unternehmens getrennt. Der Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt ist seit dem Jahr 1995 für die Geschäfte des BGL verantwortlich. Geboren am 6. Januar 1952 trat er 1977 in den Bundesverband des Deutschen Güterfernverkehrs ein. In der Vorgängerorganisation des BGL hatte er verschiedene Positionen inne, bevor der 1987 in die Geschäftsführung aufstieg. Der promovierte Betriebswirtschaftler ist seit 2000 Honorarprofessor der Fachhochschule Heilbronn. 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