Freihändig und fehlerfrei

Es gibt wohl wenige logistische Disziplinen, die derart von optimierten und fehlerfreien Prozessschritten abhängig sind wie die engmaschigen Montageprozesse in der Automobillogistik. Dass Wearable-Computing- und Augmented-Reality-Lösungen vor allem hier ihre Praxistauglichkeit beweisen dürfen, liegt entsprechend nahe. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Schnellecke Logistics. Am Wolfsburger Standort des führenden Automobillogistikers liegt der Schwerpunkt auf der Just-in-Sequence- und Just-in-Time-Belieferung der Fertigungslinien von Volkswagen. Eine anspruchsvolle Aufgabe: Die Fertigung am Band der Automobilhersteller ist schließlich eng getaktet. Bei Schnellecke in Wolfsburg werden Formhimmel für Fahrzeuge auf Abruf montiert und punktgenau ans Band von VW geliefert. "In der Vergangenheit haben wir mit klassischen Handscannern gearbeitet. In unserer Halle werden täglich 1900 Formhimmel sequenziert, vorbereitet und vormontiert und an die Linie gebracht. Mit Papier und Scanner ist das für zwei Picker pro Schicht nicht zu schaffen", erinnert sich Abaid Goda, Senior Manager IT Operation bei Schnellecke Logistics. Erschwerend komme hinzu, dass schon die Kommissionierer keinen Fehler machen dürfen - ansonsten werde der Montagefluss gestört und im schlimmsten Fall die Produktion am Band. "Wir haben uns schon, bevor Google Glass auf den Markt kam, Gedanken gemacht, wie wir die Prozesse digitalisieren und weniger fehleranfällig machen können", so Goda. So wurden bereits 2011 die einzelnen Lagerplätze mit RFID-Technologie ausgerüstet. Dies bildete die Grundlage für den heutigen Einsatz von innovativen Technologien. Um den Prozess der Just-in-Sequence-Belieferung zu optimieren, setzt der Logistikdienstleister bereits seit einigen Jahren auf Wearables. Los ging es 2015 mit der auf Google Glass basierenden Pick-by-Vision-Lösung XPick des Bremer Unternehmens Ubimax. Die Datenbrillen kommen sowohl bei der Kommissionierung der bis zu 30 Einzelteile, aus der ein Fahrzeughimmel in der Regel besteht, als auch bei der Montage des Moduls zum Einsatz. Kurz darauf führte Schnellecke das ebenfalls aus dem Hause Ubimax stammende, auf RFID-Technologie basierende Armband XBand zur Entnahmeerkennung beim freihändigen Multi-Order-Picking ein. Multi-Order-Picking dank Wearables "Das Zusammenspiel von Datenbrille und XBand hat erst die Grundlage dafür geschaffen, Multi-Order-Picking einzuführen", erklärt Goda. Ein Formhimmel bestehe zu 80 Prozent aus den gleichen Teilen, rund 20 Prozent unterschieden sich je nach Modellvariante. "Anstatt ein Fahrzeug nach dem anderen zu sequenzieren, wie wir es früher gehandhabt haben, pickt der Kommissionierer nun gleichzeitig die Teile für vier Fahrzeuge. Das durch Datenbrille beziehungsweise Tablet und XBand unterstützte Multi-Order-Picking hat uns eine Prozess-Zeitersparnis von über 20 Prozent beschert", sagt Goda. Die Fehlerrate konnte auf null reduziert werden. Inzwischen werde die Lösung auch am Standort Leipzig sowie weltweit in Mexiko und Südafrika genutzt. Zum Einsatz würden diese Technologien aber nur dort kommen, wo sie wirklich Sinn ergeben. "Im Bereich Abgasanlagen, wo wir den allerersten Pilottest mit Google Glass unternommen haben, fiel der Mehrwert geringer aus, als wir uns erwartet haben", räumt Goda ein. Ziel Connected Supply Chain Schnellecke beschränkt sich nicht nur auf die Verbesserung der Kommissionier- und Montagevorgänge. "Unser Ziel ist die Connected Supply Chain, die angefangen vom Lieferanten bis hin zum Band des OEMs die Lieferkette komplett transparent macht", erklärt Goda. Die Just-in-Time-Behälter etwa hat Schnellecke daher mit Beacons, also intelligenten Sensoren, ausgerüstet. Damit können nicht nur die Informationen, wann und wo ein Modul erstellt wurde, softwareseitig verarbeitet, sondern die Behälter jederzeit im System getrackt werden. "Bei unserem großen Wolfsburger Kunden wurde dies zuerst in den Bereichen Autositze erfolgreich eingeführt, ein Roll-out auf weitere Module wie Formhimmel und Abgasanlage ist für dieses Jahr geplant", kündigt Goda an. Der Connected Supply Chain-Ansatz von Schnellecke sei die wirklich innovative und visionäre Umsetzung der aktuellen Themen Digitalisierung beziehungsweise Industrie 4.0 in der Automobillogistik, unterstreicht auch Hendrik Witt, CEO von Ubimax. "Besonders freuen wir uns natürlich darüber, mit XPick und XMake zum Erfolg dieses Konzeptes beizutragen." Eigene FTS-Entwicklung Ein weiterer Baustein von Schnellecke auf dem Weg zum Logistikdienstleister 4.0 ist das Engagement in Sachen Automation. So werden in Soltau, wo Schnellecke als Dienstleister für Audi tätig ist, seit Kurzem autonom fahrende Flurförderzeuge von Linde eingesetzt, die über eine eigene Navigation verfügen. "Die Fahrzeuge transportieren Behälter über feste Routen zwischen mehreren Bahnhöfen im Lager. Damit sparen wir Ressourcen", erklärt Goda. Das Steuerungssystem Transport-Control ist wiederum eine Eigenentwicklung der Ende 2017 gemeinsam mit der Götting KG aus Lehrte gegründeten Tochterfirma GS Fleetcontrol. "Uns ist sehr wichtig, den Bereich autonome Flurförderzeuge unabhängig von irgendwelchen Herstellersystemen vorantreiben zu können", sagt Goda, der gleichzeitig für die Aktivitäten von GS Fleetcontrol verantwortlich zeichnet. Natürlich sei der Einsatz solcher Technologien mit gewissen Investitionen verbunden. "Wenn daraus Mehrwerte entstehen und gleichzeitig Sparpotenziale ausgeschöpft werden, hat sich die Investition allerdings schon gelohnt", sagt Goda. Nicht zuletzt möchte sich Schnellecke auch als Vorreiter bei innovativen Technologien positionieren. Mit Erfolg: Die gemeinsame Arbeit von Schnellecke und Ubimax wurde jüngst bei den Automotive Logistics Awards in der Kategorie "Collaboration in Logistics" prämiert. Auch solche Auszeichnungen bestärken den Logistiker, weiter am Ball zu bleiben. Ziel sei, die Connected Supply Chain bis 2020 für ein bestimmtes Produkt komplett zu realisieren. "Das können wir nicht alleine, dazu brauchen wir aufgeschlossene Lieferanten und OEMs. Sobald diese aber die Vorteile erkennen, die dieser Ansatz auch für sie selbst bedeutet, machen sie in der Regel gern mit", sagt Goda. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Lagertechnik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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