Fluglärm

Fluglärm Dröhnung über deutschen Dächern Die Luftverkehrswirtschaft will keine weiteren Betriebsbeschränkungen an Airports hinnehmen. Kritiker verweisen auf die gesundheitlichen Folgen von Fluglärm. Wie viel Stille darf sich das Land leisten? Wenn es einen Preis für den unattraktivsten Wohnort in Deutschland gäbe, würde er ohne Zweifel an den Schkeuditzer Vorort Kursdorf gehen. Weil der zwischen den zwei Start- und Landebahnen des Flughafens Leipzig-Halle liegt und dieser einen 24-Stunden-Betrieb für Frachtflugzeuge bietet, werden an vielen Tagen bereits frühmorgens Schallpegel über 90 Dezibel (dB) gemessen, Tendenz weiter steigend. Die Menschen sind dauerhaft einem Schallpegel von über 65 dB(A) tagsüber ausgesetzt, ab dem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen signifikant ansteigt. Kein Wunder, dass in Kursdorf immer mehr Häuser leer stehen und abgerissen werden. Heute halten es hier nur noch knapp zwei Dutzend Einwohner aus – 2001 lebten hier noch über 200 Menschen. Verkehrslärm polarisiert nahezu überall. Fluglärm sorgt jedoch für überdurchschnittlich viel Ärger, weil er als Synonym für unerträglichen und gesundheitsschäd-lichen Krach schlechthin gilt und im Extremfall einen Ort unbewohnbar machen kann. Wenigstens punktuell kann Luftverkehr deutlich mehr Lärm erzeugen als Schienen- und Straßenverkehr. Über 120 dB erreichen viele startende Flugzeuge gemessen im Abstand von zehn Metern – durchfahrende LKW und Güterzüge schaffen „nur“ 80 bis 100 dB. Außerdem sorgen Auseinandersetzungen um Airports für bundesweite Aufmerksamkeit, wie die Schlagzeilen um das Frankfurter Nachtflugverbot und den – vorerst ausgesetzten – Bau einer dritten Startbahn in München zeigen. Das schlägt sich auch in Umfragen nieder. Einer Untersuchung der Forschungsgruppe Wahlen vom Oktober 2013 zufolge fühlen sich lediglich drei Prozent der Bevölkerung von Fluglärm gestört. Allerdings sind fast 60 Prozent der Meinung, dass wenigstens zehn Prozent der Deutschen unter Fluglärm leiden. Auch die verkehrspolitische Diskussion wird stark von gefühlten Wahrnehmungen geprägt. Über eine „Debatte mit Schlagseite“ klagt daher der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Jetzt soll das nationale Luftverkehrskonzept, welches die Große Koalition bis Ende 2017 vorlegen will, für sachliche Diskussionen und dauerhafte Lösungen sorgen. „Ein solches Konzept muss klare und verbindliche Aussagen zu Umwelt- und Lärmschutz enthalten“, betonte BDL-Präsident Klaus-Peter Siegloch auf einer Pressekonferenz Mitte Januar in Berlin. Vor allem bei Flughafenbetriebszeiten und den Nachtflugregelungen pocht der Verband auf Planungssicherheit. „Wir müssen festlegen, wo wir aus nationalem Interesse dauerhaft Nachtflugoptionen brauchen“, fordert Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender von Fraport. „Es kann nicht sein, dass die Betriebszeiten an deutschen Flughäfen Standort für Standort weiter eingeschränkt werden, während unsere Wettbewerber rund um die Uhr fliegen dürfen.“ Als Folge von Gerichtsurteilen und Behördengenehmigungen dürfen die meisten deutschen Airports Nachtbetrieb ausschließlich für verspätete Maschinen oder Nachtluftpostbeförderungen erlauben. Am meisten Spielraum gibt es in den Luftfrachthochburgen Leipzig-Halle und Köln-Bonn. Auf dem rheinländischen Flughafen dürfen rund um die Uhr alle Flugzeuge verkehren, deren Musterzulassung auf Basis der „Chapter 3“ - Lärmbestimmungen der International Civil Aviation Organisation (ICAO) nach Oktober 1977 erfolgte und die das Bundesverkehrsministerium in einer Bonusliste als besonders leise klassifiziert hat. Das trifft der Flughafengesellschaft zufolge mittlerweile auf nahezu jede Maschine im Markt zu. Auf dem DHL-Luftdrehkreuz Leipzig kann jeder Frachtjet starten und landen, egal wie alt er ist. Für Passagierflugzeuge gilt auch in Leipzig wie an nahezu allen Flughäfen ein striktes Nachtflugverbot ab 23.30 Uhr. Dies kritisiert der BDL ebenfalls. Weil die meisten Luftfrachtsendungen als Beifracht aufgegeben werden, fordert der Verband auch für Passagierflüge eine „gewisse Zahl“ von nachtoffenen Flughäfen. „Weitere Einschränkungen der Betriebszeiten sollte ein nationales Luftverkehrskonzept ausschließen“, betont Flughafen-Chef Schulte auch mit Blick auf Frankfurt. Der größte deutsche Flughafen, dem am 4. April 2012 das Bundesverwaltungsgericht ein grundsätzliches Nachtflugverbot zwischen 23 Uhr und fünf Uhr verordnete, muss mit zusätzlichen Restriktionen durch die neue schwarz-grüne Landesregierung in Wiesbaden rechnen (siehe Kasten S. 23). Kritiker wollen strengere Grenzwerte Mit ihrem Engagement für ein nationales Luftverkehrskonzept reagiert die Luftver-kehrswirtschaft auf die Tatsache, dass heute an jedem großen Flughafen lärm-geplagte Anwohner sich gegen einen wei-teren Ausbau wehren oder Nachtflugverbote und andere Einschränkungen der Betriebszeiten fordern. Viele lokale Bürgerinitiativen haben sich der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) angeschlossen, welche pauschal auf achtstündige Nachtflugverbote, ein novelliertes Fluglärmgesetz mit deutlich niedrigeren Grenzwerten sowie „aktive Schallschutzmaßnahmen“ in Form von Betriebsbeschränkungen pocht. Außerdem sollten Kurzflüge auf die Schiene verlegt und bei Flughafen-Aus- beziehungsweise Neubauten Flugrouten bereits in den Planfeststellungsverfahren festgelegt werden. „Angesichts der gesundheitlichen Gefahren, welche durch Fluglärm entstehen, kann ein Nachtflugverbot nur der erste Schritt sein“, begründet BVF-Sprecher Dirk Treber diesen Katalog. Gerne verweist der BVF auf ein Auftragsgutachten über die sozialen und ökonomischen Folgekosten von Nachtflügen rund um Köln-Bonn. Jeder Flughafengewinn in Höhe von einer Million Euro würde demnach mit 7,8 Millionen Euro Krankheitskosten „erkauft“, will der Bremer Gesundheitsökonom Eberhard Greiser, der auch für das Umweltbundesamt (UBA) arbeitet, errechnet haben. Weil jedoch jeder Flughafenanwohner außer Fluglärm auch anderen Lärmquellen wie Straßenverkehr oder lauten Nachbarn ausgesetzt ist, sind solche Zahlen hoch umstritten. „Über die Frage, welche gesundheitlichen Auswirkungen Fluglärm für Blutdruck oder Kreislauf tatsächlich hat, besteht noch hoher Forschungsbedarf“, urteilt Rainer Schätzlein, Luftverkehrsexperte des Deutschen Verkehrsforums. Für Abhilfe soll das „Norah-Gutachten“ sorgen, das Wissenschaftler gegenwärtig mit Daten von drei Flughafenstandorten anfertigen. Forscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Universitäten Bochum, Gießen und Kaiserslautern sowie weiteren Instituten haben anhand von rund 900.000 Adressen rund um den Frankfurter Flughafen Daten über Flug-, Straßen- und Schienenlärm erhoben. Weitere Daten sammelten sie in in den Regionen um die Flughäfen Berlin-Brandenburg, Köln-Bonn und Stuttgart. Diese Daten sollen nun mit vor Ort erhobenen Informationen der Krankenkassen über Blutdruck, Schlafstörungen und anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen verknüpft werden. Voraussichtlich im Sommer 2014 werden erste Ergebnisse veröffentlicht. Die Flugzeuge werden immer leiser Das Bundesverkehrsministerium hat schon mal klargestellt, dass Flughafenbau und -betrieb weiterhin Ländersache bleiben werden. An punktuellen Anti-Lärmmaßnahmen, welche auf die einzelnen Airports zugeschnitten sind, führt für die Luftverkehrsbranche aber kein Weg vorbei. Gern verweist der BDL auf entsprechende Investitionen von Flugzeugherstellern und Luftfahrtgesellschaften. So werden neue Flugzeuge wie Airbus A 380 oder Boeing 777 Freighter serienmäßig mit Nebenstromtriebwerken der zweiten Generation ausgerüstet. Weil diese Turbinen nur relativ wenig angesaugte Luft für die Treibstoffverbrennung benötigen, erzeugen sie bis zu 25 dB weniger Lärm als klassische Strahltriebwerke. Rund 300 neue Flugzeuge haben Lufthansa und andere deutsche Fluggesellschaften bei Airbus und Boeing bestellt. Allerdings wird der Austausch der Flotten sich bis weit ins nächste Jahrzehnt hinziehen. Deswegen können auch Gebührenrabatte für leise Flugzeuge erst mit der Zeit wirken, zumal mit Schalldämpfern nachgerüstete Altmaschinen nur wenige Dezibel leiser sind. Auch von neuen Anflugverfahren sind keine Wunder zu erwarten. So macht der „gekrümmte Landeanflug“ mit satellitengestützter Navigationstechnik, welche ein Umfliegen von Siedlungen erlaubt, nur dort Sinn, wo freie Flächen vorhanden sind. Auf wichtige Flughäfen wie Düsseldorf und Hamburg trifft dies kaum zu. An nahezu allen Airports kann hingegen der „kontinuierliche Sinkflug“ eingesetzt werden. Wenn diese mit Triebwerken im Leerlauf angesteuert werden, macht dies die Landung um bis zu fünf Dezibel leiser und spart außerdem Treibstoff. Angesichts dieser Ausgangslage richten sich die Flughäfen auf weitere Investitionen von bis zu 600 Millionen Euro in den passiven Schallschutz ein. Ansonsten bleibt der Luftverkehrswirtschaft nur zähe Überzeugungsarbeit, dass sie nicht mehr Fluglärm erzeugt als unbedingt notwendig ist. Beim Flughafen Köln-Bonn klappen solche Nachweise schon recht gut. 2012 wurde zum ersten Mal seit zehn Jahren in dem vom Fluglärm besonders betroffenen Ort Siegburg-Stallberg ein Dauerschallpegel von deutlich unter 60 dB (A) gemessen. „Wir müssen alle fünf Jahre den Nachweis bringen, dass der nächtliche Fluglärm rückläufig ist“, erläutert Flughafenchef Michael Garvens. „2000, 2005 und 2010 ist dies gelungen.“ Auch für den nächsten Nachweis 2015 ist dies zu erwarten, weil wichtige Nutzer wie Fedex und Lufthansa Cargo viele Flüge nicht mehr mit der lauten MD 11, sondern mit der leiseren Boeing 777 durchführen. ❙❚■ Stefan Bottler Die Serie Kampf gegen den Krach Wenn es laut wird, gehen Bürger auf die Barrikaden. Verkehr muss daher leiser werden. VR 6: Wie die Bahn das Flüstern lernt VR 7: So werden Autobahn und Städte leiser VR 8: Politikum Fluglärm – Streit um Flughafenkonzept Flughafen Frankfurt Das plant Schwarz-Grün Jeweils 133 planmäßige Flüge erlaubt der Planfeststellungsbeschluss des Flughafens Frankfurt für die Nachtrandstunden von 22 bis 23 Uhr sowie 5 bis 6 Uhr. Jetzt sollen diese Flüge mit IT-gestützten Berechnungen so organisiert werden, dass die drei Start- und Landebahnen jede Nacht jeweils sieben Stunden nicht genutzt werden und alle Anwohner de facto eine Stunde länger Nachtruhe haben. Mit dieser Vereinbarung stößt die neue schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden auf geballte Skepsis sowohl bei Fluglärmkritikern als auch der Luftverkehrswirtschaft. „Solche Regelungen müssen sich erst in der Praxis bewähren“, sagt BFS-Sprecher Dirk Treber, der als Gründer einer örtlichen Bürgerinitiative auch Mitglied der Flughafen-Lärmschutzkommission ist. „Mit dieser Vereinbarung wird der Luftfrachtstandort Frankfurt weiter geschwächt“, urteilt dagegen Hennig Dieter, Leiter des DSLV-Luftfrachtausschusses. „Für ganz dringende Sendungen müssen weiterhin Ausweichmöglichkeiten nach Köln-Bonn, Hahn und anderen Flughäfen genutzt werden.“ Die Frachtairline Lufthansa Cargo verliert durch das geltende Nachtflugverbot schon jetzt pro Jahr 50 Millionen Euro im Ergebnis. Außerdem wickeln Verlader bestimmte eilbedürftige Sendungen nicht mehr über den Flughafen Frankfurt ab. bot Fluglärm steht als Synonym für unerträglichen und gesundheitsschädlichen Krach „Weitere Einschränkungen sollte ein nationales Luftverkehrskonzept ausschließen“ stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender Fraport Flughafengewinne sind mit Krankheitskosten erkauft, sagen die Kritiker „Das bestehende Nachtflugverbot trifft Lufthansa Cargo mit 50 Millionen Euro im Ergebnis“ Andreas Otto, Vorstand Produkt und Vertrieb Lufthansa Cargo

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