Ihr Unternehmen macht gut die Hälfte seines Umsatzes mit Großbritannien-Transporten. Wir stark trifft Sie die Flüchtlingsproblematik in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais?
Thomas Sluis: Das Ganze ist eine riesige Katastrophe! Wir finden fast keine Fahrer mehr, die nach England fahren wollen, die haben alle Angst. Die Flüchtlinge springen ja von hinten auf fahrende Lkw, schlitzen die Planen auf und nehmen sich Waren raus. Nachts ist das besonders schlimm. Unsere Lkw fahren möglichst nur im Konvoi, Toilettenbesuche sind aus Sicherheitsgründen auf dem Fahrweg in Calais fast nicht möglich. Das ist der nackte Wahnsinn! Und die französische Polizei macht gar nichts.
Wie wirkt sich das auf die Transport-Laufzeiten nach England konkret aus?
Vergangenen Samstag sind unsere Fahrzeuge um 14 Uhr in Schwelm losgefahren, waren am Montag um acht Uhr auf der Fähre und kamen um zehn Uhr in England an. Zum Vergleich: Im Normalfall fahren die Fahrzeuge um 22 Uhr am Sonntagabend los und sind am Montagmorgen zwischen 8 und 12 Uhr in England. Und mittlerweile sind selbst 60 Stunden Wartezeit in Calais keine Seltenheit. Wir verlieren also derzeit pro Tour 36 Stunden im Schnitt beziehungsweise hin- und zurück 72 Stunden. Das entspricht insgesamt drei Tagen.
Wie viel Umsatz bricht Ihnen durch das Calais-Flüchtlingsdrama also weg?
Ich habe in der Regel 20 Fahrzeuge im Großbritannien-Verkehr im Einsatz, die jede Woche zwei Touren nach England fahren, das sind insgesamt zwischen 160 und 180 Touren im Monat. Zurzeit schafft ein Fahrzeug in der Woche aber nur eine Tour, weil man durch die langen Wartezeiten in den Häfen für jede Fahrt im Schnitt 36 Stunden länger braucht. Von unseren regulären 160 bis 180 Touren können wir also derzeit nur die Hälfte im Selbsteintritt fahren. Um die Kundentermine einhalten zu können, müssen wir die andere Hälfte fremdvergeben. Aufgrund dieser Situation im England-Verkehr tun wir uns aber extrem schwer, Frachtführer zu finden, die für uns die England-Touren fahren. Pro Tour bezahle ich deshalb derzeit 800 bis 900 Euro mehr als ansonsten marktüblich. Wir hatten dadurch in den letzten vier Wochen 72.000 Euro Mehrkosten; zusätzlich konnten meine Fahrzeuge keine Doppeltour mehr fahren. Ich habe damit also im vergangenen Monat rund 100.000 Euro im England-Verkehr Verlust gemacht.
Finden Sie überhaupt noch Transporteure, die für Sie nach England fahren?
Schwierig, nur gegen mehr Geld.
Was tun Sie, wenn sich an der Situation nichts ändert?
Wir werden uns dies in den nächsten Wochen genau anschauen. Ändert sich nichts, müssen wir die Preiszuschläge für die Fähr-Überfahrten deutlich anheben. Schlimmstenfalls müssen wir das Großbritannien-Geschäft vorläufig drastisch reduzieren.
Haben Sie vor diesem Hintergrund ernsthaft Alternativrouten geprüft?
Da gibt es keine! Über Bremen? Da fährt die Fähre ins englische Hull. Das sind hin und zurück 1000 Umwegkilometer. Die bezahlt kein Kunde. Auch die belgischen Häfen bringen nichts. In Zeebrügge fährt eine einzige Fähre. Da liegen die Wartezeiten für nicht gebuchte Lkw inzwischen bei 80 Stunden und mehr und die Fähre braucht acht Stunden nach England. Wie soll ich das machen? Wir bieten Kunden einen 24-Stunden-Service nach England. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als die Transporte über Calais-Dover und Dünkirchen-Dover abzuwickeln. Denn der Eurotunnel-Zug akzeptiert kein ADR-Gut, das wir fahren.
Das Interview führte VR-Redakteurin Eva Hassa.
Hintergrund:
Das Flüchtlingsdrama am französischen Fährhafen Calais trifft derzeit viele Transport- und Speditionsunternehmer, unter anderem auch Thomas Sluis, Geschäftsführer der Thomas Sluis Int. Speditions GmbH in Schwelm. Das Unternehmen hat 46 eigene ziehende Einheiten und führt grenzüberschreitende Transporte nach Großbritannien, Schweden, Spanien und Tschechien sowie in die Slowakei und die Benelux-Staaten durch. (eh)