Falsche Quader

Anfang Mai, ein runtergekommenes Firmengelände am Rand der Ukraine. Polizisten stürmen den Hof, durchsuchen das Gelände und werden schnell fündig: Unter freiem Himmel und in den wellblechgedeckten Hallen stapeln sich Tausende von Paletten, viele davon mit dem Logo der European Pallet Association (EPAL) versehen. Experten der Zertifizierungs- und Inspektionsgesellschaft Bureau Veritas, die die Polizisten begleiten, untersuchen die fabrikneu aussehenden Paletten und stellen schnell fest: Es handelt sich nicht um reguläre Europaletten, sondern um Fälschungen aus minderwertigem Holz. Bei der weiteren Durchsuchung des Betriebs werden unter anderem Brandeisen sichergestellt, mit denen die Fälscher das nachgemachte EPAL-Logo aufgebracht haben. Falsch-Paletten vermieden Leerfahrten Dieser spektakuläre Fall, über den sogar das ukrainische Fernsehen berichtete, war der vorläufige Höhepunkt eines Feldzuges, mit der die EPAL den Fälschern das Handwerk legen will. Schon vergangenes Jahr wurden in der Slowakei 1000 gefälschte Paletten sichergestellt, im Mai dieses Jahres folgte die Aktion in der Ukraine, im Juni hat man in Belgien mehrere Lkw-Ladungen mit Fakes sichergestellt. Möglich wurden die Zugriffe vor allem durch verstärkte Aufklärungsarbeit: "Wir haben alleine dieses Jahr 150 Zöllner an der EU-Außengrenze geschult, zum Beispiel in der Slowakei und der Ukraine", sagt Alexander Becker von der EPAL-Academy, der Weiterbildungsorganisation des Paletten-Vereins. Dass der Klassiker im Format 120 mal 80 Zentimeter gefälscht wird, ist kein neues Phänomen. Schon Anfang der 1990er-Jahre gab es eine erste Welle von Nachahmungen. Damals, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, floss viel Ware von Westen nach Osten. Um auf dem Hinweg nicht völlig leer fahren zu müssen, ließen sich einige osteuropäische Fuhrunternehmer dazu hinreißen, ihre Lkw mit nachgemachten Paletten zu beladen. Seitdem sind immer wieder Imitate in den EU-Raum eingesickert. Sie stammen meist aus Osteuropa, dem Baltikum oder Weißrussland, zuletzt immer häufiger aus der Ukraine. Dass es verstärkt zu Polizeiaktionen kommt, liegt aber nicht nur an der Aufklärung. Die Plagiate fallen im Gebrauch auf. "In der Logistik wird immer mehr automatisiert, dadurch steigen auch die Anforderungen an die Palettenqualität", erklärt EPAL-Mann Becker. Anders ausgedrückt: Weil zunehmend Maschinen mit anpacken, dürfen die Ladungsträger keinen Millimeter von der Norm abweichen. Genau das jedoch tun die Fälschungen. Bei ihnen sind die Bodenbretter zum Beispiel an den Kanten oft nicht abgeflacht (Fachwort: angefast). Ein geschickter Staplerfahrer bekommt eine solche Billigversion vielleicht noch angehoben, ein Hochregal-Roboter dagegen könnte streiken. Die Folge: Stillstand, die Palette wird als Fälschung erkannt. Anders als oft angenommen, geht es den illegalen Produzenten nicht nur darum, die Lizenzgebühr der EPAL zu sparen. Die fällt mit einem Prozent vom Palettenpreis kaum ins Gewicht. Stattdessen verfolgen die Fälscher ein anderes Geschäftsmodell: Sie sparen bei Material und Verarbeitung, bieten die Paletten bis zu 25 Prozent billiger an - und machen so ihren Schnitt. Dafür nehmen sie etliche technische Abkürzungen. So produzieren die Fälscher ihre Holzquader oft aus billiger Seitenware, also aus Holz vom Rand des Baumes mit viel Rinde. Auch werden dünnere Bretter verbaut und glatte Nägel verwendet. Imitate schwer erkennbar Außerdem verzichten die Fälscher auf Verarbeitungsschritte wie das Anfasen (Kanten im 45-Grad-Winkel abfräsen). Experten schätzen, dass sich in Summe 10 bis 15 Prozent der Herstellungskosten sparen lassen, ohne dass einem Laien die mindere Qualität auffällt. Drastisch allerdings sind die unsichtbaren Folgen: Dünnere Bretter halten nicht die maximale Traglast von bis zu 2000 Kilo aus und glatte Nägel ziehen sich unter Belastung aus dem Holz. Was sollten Spediteure tun, wenn auf dem Hof eine gefälschte Palette auftaucht, sei sie gekauft oder eingetauscht? Handelt es sich nur um ein einzelnes Exemplar, besteht kaum Handlungsbedarf, räumt selbst die EPAL ein. Die Palette sollte entsorgt und der Lieferant informiert werden. Tauchen jedoch mehrere gefälschte Paletten auf oder gar ganze Lkw-Ladungen, empfiehlt es sich, sofort die EPAL zu benachrichtigen. Sie geht der Sache auf den Grund und versucht die Herkunft der Plagiate zu ermitteln. Die Paletten selbst werden vernichtet. Wer sie per Vorkasse erworben hat, hat in diesem Fall das Nachsehen, denn dann sind sowohl die Ladungsträger als auch das Geld weg. Die Vogel-Strauß-Taktik anzuwenden - Palette einfach weiterreichen - empfiehlt sich bei größeren Funden nicht. "Das wäre kurzfristig gedacht, denn spätestens Ihr Kunde, zum Beispiel der Handel, macht dann Ärger", warnt EPAL-Experte Becker. Davon abgesehen droht juristischer Ärger. Das Gesetz macht nämlich keinen Unterschied zwischen einer gefälschten Palette und einer gefälschten Rolex. Wer eine Fälschung besitzt, verstößt gegen das Markenrecht und kann vom Markeninhaber belangt werden, also von der EPAL. Sie darf Auskunft darüber verlangen, woher die Palette stammt, und ihre Vernichtung anordnen. Außerdem muss der Besitzer des Imitats eventuell eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Vorkasse und Paletten sind weg "Dabei spielt es keine Rolle, ob der Spediteur weiß, dass es sich um eine Fälschung handelt oder nicht", betont Stefan Hoeft, Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht bei der Kanzlei Ahlers & Vogel. Noch heikler kann es werden, wenn eine Spedition die Palette weitertauscht. Ein Beispielszenario: Die Ladung auf den gefälschten Paletten geht weiter zu einem Kunden, der damit zur Grenze fährt. Dort entdeckt der Zoll die Kopien und beschlagnahmt sie. Die Ware kann nicht weiterreisen, sondern muss vor Ort auf reguläre Paletten umgeladen werden. Dadurch entstehen hohe Kosten, für die der Spediteur in Regress genommen werden kann. Jurist Hoeft: "Sie können nicht einfach die Augen verschließen." Seiner Meinung nach ist es Teil der Sorgfaltspflicht des Spediteurs, Ladungsträger auszusortieren, die auf den ersten Blick als Fälschung ins Auge springen - sei es aufgrund mangelnder Qualität oder eines auffällig niedrigen Preises. Um nicht unwissentlich zum Hehler von gefälschten Paletten zu werden, hilft nur Aufklärung: Mitarbeiter an der Rampe und Fahrer müssen lernen, woran nachgemachte Exemplare zu erkennen sind. Die EPAL zum Beispiel bietet Kurzseminare an, die im Betrieb stattfinden und in denen die Mitarbeiter lernen, die Echtheit von Paletten zu überprüfen (siehe Kasten Seite 29). Sie dauern nur wenige Stunden und kosten pro Teilnehmer einen niedrigen dreistelligen Betrag. Am Schluss erhalten diese ein Zertifikat. "Wir hören immer wieder, dass das bei Diskussionen an der Rampe sticht", berichtet Seminarleiter Becker. Eine weitere wichtige Sicherheitsmaßnahme: auf die Herkunft der Paletten achten. Gerade wer größere Stückzahlen Neuware erwirbt, sollte das nur bei einem von der EPAL lizenzierten Hersteller tun. Eine Liste der Produzenten, nach Ländern sortiert, kann im Internet eingesehen werden (epal-pallets.org/de/firmen/firmen.php). Doch selbst dieser Check bietet nur begrenzte Sicherheit, denn in der Vergangenheit wurden sogar EPAL-Lizenznehmer erwischt, die gefälschte Paletten in ihrem Sortiment hatten. Selbst wenn die Bezugsquelle auf den ersten Blick also sauber erscheint, lohnt es sich, die Paletten vor dem endgültigen Kauf zu prüfen. Soweit die Vorsichtsmaßnahmen. Doch Praktiker wissen, dass sie im Alltag nicht leicht umzusetzen sind. Mitarbeiter an der Rampe haben andere Sorgen, als die Brandzeichen von Paletten unter die Lupe zu nehmen. Sie müssen sich mit dem bekannten Problem herumschlagen, dass Qualität A zum Kunden geliefert wurde, aber minderwertiges Material zurückkommt. Dieses Gezänk kostet so viel Energie, dass für Echtheitsuntersuchungen überhaupt keine Zeit bleibt. Deshalb gehen Praktiker davon aus, dass Fälschungen - wenn sie halbwegs gut gemacht sind - an der Rampe niemals auffallen (siehe Interview Seite 30). "Da muss schon ein Brett abfallen", sagt ein Insider hinter vorgehaltener Hand. Ob es Fälschungen in großer Zahl gibt, ist keineswegs klar. Viele Spediteure geben an, noch nie Plagiate gesehen zu haben. "Gefälschte Gitterboxen ja - aber Europaletten nicht", heißt es von einer mittelständischen Kölner Spedition. Tatsache ist, dass über die Zahl der Plagiate im Pool keine gesicherten Daten vorliegen. Man kann nur schätzen: Als am 2. September im italienischen Parma 65.700 gefälschte Paletten sichergestellt wurden, war von einem großen Fund die Rede. Aber der fällt im Vergleich mit der Gesamtzahl der Paletten bescheiden aus. Allein 2015 wurden 73,6 Millionen EPAL-Europaletten neu produziert. 65.700 entsprechen einem Anteil von 0,08 Prozent. Wie viele Plagiate im Pool der UIC schlummern, ist ebenfalls unbekannt. Die Bahnorganisation, die Hersteller und Reparateure von Europaletten ebenfalls lizenziert, hat auf mehrfache Anfragen der VerkehrsRundschau zum Thema nicht reagiert. Insgesamt tritt die UIC nicht unbedingt als Fälschungsbekämpfer auf. Noch stand kein Spediteur vor Gericht Wie brennend ist das Problem mit den Fälschungen also überhaupt? "Es gibt sie schon, doch die meisten Betriebe erkennen sie nicht - oder es ist ihnen egal", fasst ein Palettenexperte, der anonym bleiben will, zusammen. Dass ein deutsches Unternehmen schon einmal juristisch belangt wurde, weil es Fälschungen in Umlauf gebracht hat, ist ihm nicht bekannt. Anders als die roten Fleischkisten in der Nahrungsmittelindustrie, um die es jüngst einen Plagiats-Skandal gab, sind nachgemachte Europaletten bislang kein Aufreger. Und daran werde sich wohl vorerst auch nichts ändern, so der Marktkenner: "So zynisch es klingt: Bevor nicht etwas Übles passiert, wird das auch kein Thema." So erkennen Sie gefälschte Paletten Zahlreiche Merkmale enttarnen die Schummelpalette - Niedriger Preis: Derzeit kosten neue EPAL-Europaletten zwischen 7,50 und 8,50 Euro. Wird ein Ladungsträger 1,50 bis 2 Euro günstiger angeboten, ist Vorsicht geboten.- Schlechte Holzqualität: Bei Fälschungen ist an vielen Stellen Baumrinde sichtbar, außerdem werden Elemente aus mehreren Holzteilen zusammengestückelt.- Fehlende Brandzeichen: Bei unmarkierten Paletten handelt es sich streng genommen nicht um Fälschungen, da keine Markenrechte verletzt werden. Dennoch: Solche Ladungsträger entsprechen nicht den Vorgaben der EPAL und sind nicht tauschfähig.- Billige Konstruktion: Ein wichtiges Anzeichen dafür, dass bei der Produktion gespart wurde, sind Bodenbretter ohne abgefräste Kanten (vor allem auf die Innenseite achten!). Außerdem schließen bei Fälschungen die Blöcke und Bretter oft nicht bündig ab. Zudem werden dünnere Bretter verbaut und Billig-Nägel, die keine Ringe um den Schaft aufweisen (Fachwort: Konvexringnägel).- Fehlende Prüfklammer: EPAL-Paletten werden mit einer gelben oder schwarzen Prüfklammer auf dem mittleren Klotz gekennzeichnet. Auf der Klammer befindet das "EPAL im Oval"-Logo. Bei Fälschungen fehlt die Klammer.- Verdächtige Kennziffer: Auf dem mittleren Klotz unter dem viereckigen Einbrand befindet sich die EPAL-Kennziffer, die sich aus einer Herstellernummer (3 Ziffern), dem Produktionsjahr (1 Ziffer) und -monat (2 Ziffern) zusammensetzt; die Daten sind durch Bindestriche getrennt. Hier gilt es, auf Unstimmigkeiten zu achten: Wirkt die Palette beispielsweise neu, wurde aber laut Kennziffer vor zwei Jahren produziert, ist Vorsicht geboten.- Auffällige Qualitätsabweichungen: Wurde mit dem Kunden eine Lieferung von gebrauchten Paletten vereinbart und trotzdem kommen neue, sollten Unternehmer zumindest hellhörig werden. cg