Fahrerlose Transportsysteme

Fahrerlose Transportsysteme Die nimmermüden Allzweckwaffen Durch neue Ideen und Komponenten, welche die Anbieter von fahrerlosen Transportsystemen unter anderem aus dem Automobilbau entlehnen, werden die autarken Logistikhelfer vielseitiger, günstiger und damit zunehmend für Verlader interessant. Wir setzen heute einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur unfallfreien Automobilität“, jubelte kürzlich Jürgen Leohold, Forschungsleiter bei Volkswagen, als er den neu entwickelten Autopiloten (TAP) vorstellte. Der smarte Helfer sammelt permanent Fahrdaten und lenkt den Wagen mit bis zu 130 Stundenkilometern – der Fahrer kann dabei stets das System übersteuern oder ausschalten. Diese Idee ist in der Logistik ein alter Hut. Seit Jahrzehnten touren sogenannte fahrerlose Transportsysteme (FTS) autonom durch Produktionshallen, wenn auch mit sehr geringen Geschwindigkeiten – meist geht es im Schritttempo voran. Nach den Krisenjahren 2008 und 2009 starten zahlreiche Neuanlagen dieser nimmermüden Warenträger, was nicht zuletzt an deren gestiegener Anpassungsfähigkeit liegt. Boom bis 2008, dann kam die Krise Eine Marktanalyse der Universität Hannover zeigt zwischen 2005 und 2008 einen kleinen Nachfrageboom, als sich die Anzahl der Neuanlagen, welche von den europäischen Anbietern installiert worden sind, fast verdoppelte und damit auch das Heer der FTS-Einheiten (siehe Grafik Seite 37) stetig wuchs. In der Wirtschaftskrise ruhten viele Projekte, die nun aber wieder anlaufen. Der Weltmarkt für FTS-Produzenten entspricht in etwa der weltweiten Verteilung der Automobilproduktion in Bezug auf den Automatisierungsgrad in der Produktion. Führend sind Europa, die USA und Japan. Experten schätzen, dass allein die europäischen Anbieter über die Hälfte des Marktes bedienen. „Die Technik ist in den vergangenen zehn Jahren sehr viel leistungsfähiger und zuverlässiger geworden. Durch bessere Sensoren, Sicherheitstechnik und Steuerelemente, die vor allem aus der Produktionstechnik und Automobilindustrie stammen, sind FTS-Anlagen deutlich schneller in Betrieb zu nehmen als früher. Zusätzlich kann die Anlage im Betrieb mit wenig Aufwand verändert werden, sich also wechselnden Anforderungen erheblich besser anpassen“, sagt Christoph Schaeffer, Leiter des Bereiches Geschäftsentwicklung beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart. Mit der erhöhten Flexibilität werden die FTS auch für Nischenmärkte interessant. „Statt den klassischen Einsatzbereichen wie in der Automobilindustrie, in der pro Anlage schon mal 80 bis 100 Fahrzeuge zusammenkommen, haben zunehmend auch Dienstleister oder öffentliche Betriebe die FTS-Technik für sich entdeckt und setzen die Helfer in kleineren Stückzahlen ein“, berichtet Schaeffer. Einsatz auch im Werkverkehr Von Materialflussinstallationen in Krankenhäusern bis hin zu Hotels, die künftig fahrende Roboter als mobile Minibars einsetzen wollen, reichen die neuen Referenzen. „Anderseits sieht auch die Industrie die Systeme längst nicht mehr als reine Transportmittel. In der Automobilindustrie agieren FTS zunehmend als mobile Installations- und Montageplattformen sowie als fahrende Durchlaufregale in der Teilebereitstellung, dann als low-cost-Variante“, so der Forscher. Ein weiteres Einsatzgebiet der Selbstfahrer ist insbesondere der Umgang mit schweren Lasten wie in der Papierindustrie oder in Gießereien. Selbst im Werkverkehr rollen die umgebauten Trucks, wie das Beispiel der Götting KG zeigt. 2001 stellte die Fox GmbH, welche heute zur Götting KG aus Lehrte gehört, ein Duo von Mercedes-Benz Actros vor, das vollautomatisch be- und entladen wird und im Werkverkehr beim Klebstoffhersteller Uzin Utz AG in Ulm fährt. Auf einer Strecke von gut 300 Metern liefert das Duo palettierte Ware aus der Produktion in das Logistikzentrum. Die Trucks sind dabei auf Schrittgeschwindigkeit (6 km/h) gedrosselt. Für den permanenten Kriechgang der als Maschinen deklarierten LKW, die keine Straßenzulassung besitzen, nutzen die Tüftler einen hydrostatischen Antrieb. Ein mechanischer Kollisionsverhinderer stoppt den Dauerläufer, sobald er auf einen Widerstand trifft. Und die Familie der Trucks mit dem auffälligen, frontalen Abstandswarner wächst: Ein umgebauter Axor fährt in der chemischen Fabrik Budenheim nahe Mainz, allerdings nicht mit dem Kofferaufbau, wie das Actros-Duo, sondern als Sattelschlepper. Zwei weitere Vollautomaten setzt Mercedes-Benz in seinem Berliner Werk ein. Und der Umbauer aus Lehrte will bis Jahresende noch ein Duo in Kundenhand geben. „Wir haben einen Grad der Standardisierung der Produkte erreicht, dass sich die Lösungen immer leichter rechnen, für den Kunden und für den Produzenten“, bestätigt Ralf Berger, Verantwortlicher für die Automatisierung von NFZ bei Götting. Vollautomatische LKW-Beladung Eine der spektakulärsten Umsetzungen des Konzeptes autarker Logistiksysteme ist die vollautomatische Beladung von LKW durch fahrerlose Gabelstapler, wie sie der belgische Anbieter Egemin vertreibt – ein System, das allerdings noch keinen deutschen Anwender finden konnte. Eines der größten Probleme sind momentan die Lieferzeiten. In dem hoch spezialisierten Markt gibt es nur wenige Komponentenanbieter und kaum alternative Beschaffungswege. Dennoch gibt es auch für diese komplexen Installationen vermehrt Nachfragen aus der Pharmaindustrie, der Lebensmittelbranche, von Papierherstellern und Getränkeanbietern – sodass sich so mancher internationale Transporteur in Zukunft vielleicht plötzlich selbst vor einem dieser smarten Selbstfahrer wiederfinden dürfte. ❙❚■ Rocco Swantusch Um Zusammenstöße zu verhindern, besitzt der umgebaute, selbstfahrende Actros einen Kollisionswarner FTS-Systeme: Der Axor (links) tourt allein auf dem Werksgelände. Der Actros wartet auf die Ware. Der Stapler (rechts) be- und entlädt selbstständig Fahrerlose Transportsysteme Verkaufszahlen der Fahrerlosen Einheiten 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 Weltweite Inbetriebnahmen von Fahrzeugen in FTS-Neuanlagen von europäischen Herstellern Im Jahr 2008 erreichte die Nachfrage nach Anlagen mit fahrerlosen Transportsystemen einen Höhepunkt. Gut 1400 Fahrzeuge wurden in rund 200 Neuanlagen eingesetzt. Der Knick im Folgejahr rührt aus der Wirtschaftskrise, die viele Projekte stoppen ließ – mittlerweile laufen diese aber wieder an. rs

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