Ein Mann will nach oben

Nach der österreichischen Spedition Jöbstl hat Kühne + Nagel nun auch die Landverkehrs- und Logistikaktivitäten des Transport- und Speditionsunternehmens Rotra in den Niederlanden und Belgien übernommen. Warum? In den Landverkehren haben wir beim Stückgutnetz, aber auch im Teil- und Komplettladungsgeschäft, weiterhin Regionen, in denen wir unsere Präsenz verdichten können. Anfangs war es unser Weg, an solchen Orten externe Partner zu suchen. Mit steigenden Volumen wird dies schwieriger, weil die Partner nicht überall und vollumfänglich die notwendigen Kapazitäten zur Verfügung stellen können. Wir haben deshalb analysiert, welche dieser Regionen für uns strategisch wichtig sind, an welchen wir dies über organisches Wachstum lösen können und an welchen über gezielte Zukäufe. In Ländern wie Italien und Rumänien haben wir organische Lösungen gefunden und investieren entsprechend. In Österreich, auch in Hinblick auf Osteuropa, haben wir unlängst Jöbstl gekauft sowie in den Niederlanden und Belgien das Landverkehrsgeschäft von Rotra. Wir wollen also überall da unser Netz in Europa komplettieren, wo wir noch Potenziale sehen. Warum haben Sie nicht auch das See- und Luftfrachtgeschäft von Rotra gekauft? In der Seefracht und in der Luftfracht hat Kühne + Nagel bereits führende Positionen weltweit. Deshalb haben wir nur die Aktivitäten übernommen, bei denen wir uns weiterentwickeln können. Vor einem Jahr haben Sie angekündigt, im Landverkehr von Platz fünf auf Platz drei gelangen zu wollen. Wie wollen Sie diesen Sprung nach oben schaffen? In 2018 erwirtschafteten wir mit unseren Landverkehren einen Umsatz von über 3,5 Milliarden Schweizer Franken. Ausgehend davon, dass der Markt derzeit im niedrigen Prozentbereich wächst und unsere Mitbewerber mit dem Markt wachsen, benötigen wir jährlich rund 300 bis 400 Millionen Franken mehr Umsatz, um diese Position zu erreichen. Rein organisch wird das wohl schwierig. Rein organisch ist das in der Tat nicht möglich, dafür bräuchten wir ein ähnlich hohes Umsatzwachstum wie in den letzten zwei, drei Jahren, in denen wir im Schnitt zweistellig gewachsen sind. Solche Zahlen werden in den nächsten Jahren wohl nicht mehr möglich sein. Der gesamte Weltmarkt wird sich eher flach entwickeln. Sprich: Wir werden unser Ziel, wie in diesem Jahr auch, über eine Kombination von organischem und anorganischem Wachstum erreichen. In welchen Ländern sehen Sie in Europa noch weiße Flecken? Grundsätzlich bietet Osteuropa die größten Wachstumspotenziale. Das Wachstum in Westeuropa hat sich zwar abgeschwächt, aber in den großen Volkswirtschaften gibt es durchaus noch Potenzial. Und das wird sich voraussichtlich auch nicht ändern. Wie zufrieden stimmt Sie Ihre Entwicklung in Deutschland? Da haben Sie ja nach wie vor kein eigenes Stückgutnetz, sondern sind Gesellschafter der Kooperation IDS Logistik. Ich bin mit dem Managementteam in Deutschland außerordentlich zufrieden, auch mit der Weiterentwicklung des Netzes, und da schließe ich ausdrücklich IDS Logistik ein. Wir haben in Deutschland nicht nur ein tolles Team, sondern auch eine gute Ergebnisentwicklung. Woher kommt die neue Lust von Kühne + Nagel am Landverkehr? Lange Jahre fristete dieses Geschäft ja eher ein Schattendasein. Zum einen geht es um die Abdeckung der letzten Meile, um die Kunden flächendeckend zu versorgen. Zum anderen sehen wir, dass wir mit den Landverkehren Geld verdienen können, was nicht immer so war. Der Geschäftsbereich ist mittlerweile eine stabile Säule des Konzerns. Bei welchem Ebit und Nettoumsatz wird Ihr Geschäftsbereich Landverkehre in diesem Jahr voraussichtlich landen? 2018 lag der Ebit bei 76 Millionen Franken und der Nettoumsatz bei 3,5 Milliarden Franken. Sie müssen sich anschauen, woher wir kommen. Vor 2014 schrieben die Landverkehre rote Zahlen. Das haben wir kontinuierlich gedreht. 2018 steigerten wir unser Ergebnis, wie von Ihnen erwähnt, um rund 50 Prozent auf 76 Millionen Franken, bei einem Nettoumsatz von gut 3,5 Milliarden Franken. Ab einem gewissen Niveau wird es natürlich schwieriger, jedes Jahr im gleichen Umfang das Ergebnis zu steigern. Die veröffentlichten Zahlen der ersten neun Monate bestätigen den positiven Trend. Zum Jahresergebnis kann ich mich selbstredend nicht äußern, schließlich ist das Jahr noch nicht vorbei. Nur so viel: Die Landverkehre werden nachweislich zum Ergebnis unserer Gruppe beitragen. Wie stark trifft Ihre Geschäftseinheit die Talfahrt in der Industrie? Die konjunkturelle Eintrübung in bestimmten Bereichen, insbesondere in der Automobil- und Chemiebranche, spüren natürlich auch wir. Trotzdem konnten wir im Geschäftsbereich Landverkehre von Januar bis September 2019 unseren Nettoumsatz um erneut zwei Prozent - vor Währungseffekten sogar um 4,7 Prozent- gegenüber der Vorjahresperiode steigern. Positiv ist zudem, dass der Rohertrag im Bereich Landverkehr aktuell deutlich stärker wächst als der Umsatz. Sprich: Wir haben mit unserem Produktangebot vieles richtig gemacht. Werden die Landverkehre also in allen Produkten und Ländern in diesem Jahr schwarze Zahlen schreiben? Wir haben weltweit kein Kernprodukt, das nicht schwarze Zahlen schreiben würde. In den Ländern, in denen wir organisch wachsen wollen, haben wir entsprechende Anlaufkosten einkalkuliert. Sie wollen ja, wie man hört, in eigene Trailer investieren. Was planen Sie konkret? In Frankreich haben wir seit vielen Jahren eigene Zugmaschinen, die im Zyklus alle drei Jahre ersetzt werden. Eigene Trailer sind in diesem Markt eingeschlossen. Mittlerweile investieren wir auch für KN PharmaChain in eigenes Equipment, um die Anforderungen unserer Kunden noch besser abdecken zu können. Zusätzlich werden wir in der Tat im FTL-Segment ab 2020 verstärkt in eigene, kranbare Auflieger für den Kombinierten Verkehr investieren. Im ersten Schritt rechnen wir mit mehreren hundert Trailern. Jeder Trailer, den wir im internationalen Geschäft anschaffen, wird ohne Ausnahme kombifähig sein. Und wo immer möglich werden wir diese kranbaren Einheiten im unbegleiteten Kombinierten Verkehr befördern. Das wird hauptsächlich auf der Langstrecke erfolgen, zum Beispiel auf den Relationen Osteuropa-Nordeuropa sowie in Südosteuropa. Wir denken zusätzlich auch verstärkt über Short-Sea-Aktivitäten nach. Insgesamt gehe ich davon aus, dass für uns als großer Player auch mit eigenen Trailern Platz ist - insbesondere im Handel und im Konsumgüterbereich sehen wir erhebliches Potenzial. Sie haben im September Ihr Net-Zero-Carbon-Programm angekündigt, mit dem Sie bis 2030 CO2-neutral werden wollen. Welche neuen Anforderungen kommen damit auf Ihre Frachtführer zu? Als Vorreiter der Branche werden wir bereits ab nächstem Jahr CO2-neutral bei den eigenen Emissionen sein. Den CO2-Fußabdruck der Transporte unserer Zulieferer - also auch der Straßentransporteure - werden wir bis 2030 einbeziehen. Ziel ist eine umfassende CO2-Neutralstellung von Kühne + Nagel bis 2030. Das Net-Zero-Carbon-Programm von Kühne + Nagel beinhaltet die drei Aktionsfelder Erkennung, Reduktion und Kompensation von CO2. Sprich, den Anteil, den wir nicht reduzieren können, werden wir über bestimmte CO2-Kompensationsprogramme ausgleichen. Dafür werden wir entsprechend in bestimmte Zertifikate investieren, etwa in Waldaufforstungs-Programme. E-Lkw kosten in der Anschaffung rund dreimal so viel wie ein klassischer Diesel-Lkw. Das wird für Ihre Frachtführer richtig teuer werden. Wie wollen Sie das lösen - angesichts der niedrigen Margen, die im Landverkehr erzielt werden? Das ist ja, wie ich sagte, der letzte Schritt. Zunächst prüfen wir, wie wir in der Gruppe selbst den CO2-Ausstoß senken können. In dieser Hinsicht haben wir in den vergangenen Jahren schon viel erreicht. Unsere Ersatzinvestitionen, etwa in Fahrzeuge, werden nicht preislich getrieben sein, sondern von der Frage, wer die beste Technologie hat, und wie viel CO2 können wir dadurch einsparen. Fakt ist, dass Transporte aber dadurch insgesamt teurer werden. Ja. Nochmals zurück zu Ihrer Fuhrparkpolitik. Sie investieren jetzt im FTL-Segment in kranbare Trailer. Im Pharmabereich setzen Sie schon seit Jahren auf eigene Fahrzeuge. Verabschiedet sich Kühne + Nagel nun von seiner Asset-Light-Strategie und macht im Landverkehr künftig alles nur noch selbst? Nein, wir halten an der Asset-Light-Strategie fest. Aber es hängt natürlich vom jeweiligen Markt und Produkt ab. In den USA nutzen wir zum Beispiel das Brokerage-Modell. Hier sind wir reiner Mittler und arbeiten nahezu ausschließlich mit externen Frachtführern. In Europa dagegen haben wir einen Mix aus eigenen ziehenden Einheiten und Trailern sowie aus externen Transportdienstleistern. Künftig werden wir ein balanciertes Netzwerk haben: Da, wo wir merken, dass wir etwas tun müssen, investieren wir entsprechend. Mit wie vielen Frachtführern arbeiten Sie heute, und mit wie vielen planen Sie das in Zukunft - auch um Komplexität zu reduzieren? In den USA nutzen wir etwa 8000 Carrier in unserem Brokerage-Modell. Und in Europa arbeiten wir mit mehr als 10.000 Frachtführern. Besonders eng ist die Abstimmung und Entwicklung dabei mit den umsatzstärksten 500 bis 600 Unternehmern. Rein aus Komplexitätsgründen werden wir die Gesamtzahl mit der Zeit zurückfahren. Das tun wir insbesondere auf den internationalen Linien und im Komplettladungsgeschäft. Ein zu starker Fokus wäre aber gerade im Spotmarkt falsch. Wir können von einem größeren Angebot durch die derzeit schwächere Nachfrage profitieren. Insgesamt ist das immer ein Abwägen und hängt von der Konjunktur, der Entwicklung in den einzelnen Ländern und letztendlich vom jeweiligen Produkt ab. Welche technischen Anforderungen kommen durch die Digitalisierung auf Ihre Frachtführer und Ihre eigenen Fahrer neu zu? Für unsere Kunden sind Visibilität und Transparenz von zentraler Bedeutung. Deshalb ist für uns von höchster Priorität, dass wir unseren Kunden für jede Sendung, die wir in Europa ausliefern, diese Informationen sofort nach Ablieferung mit einem elektronischen Ablieferbeleg zur Verfügung stellen. Und zwar für alle unsere Produkte im Landverkehr, also für Teil- und Komplettladungen, Stückgut, Pharma und alle anderen industriespezifischen Lösungen. Dies rollen wir nun sukzessive in Europa aus. Was müssen Ihre Frachtführer dafür konkret investieren? Wir stellen eine App-Lösung zur Verfügung, falls der Partner nicht bereits eine eigene Lösung für die Fahrerkommunikation hat, die bei Kühne + Nagel integrierbar ist. Dafür reicht ein Smartphone. Dank GPS ist Geofencing möglich, zudem kann sich der Fahrer bei Auslieferung der Sendung sofort den Empfang der Ware quittieren lassen. Ein weiterer Vorteil ist, dass unmittelbar nach der Quittierung die Rechnungstellung in unserem Transportmanagement-System ausgelöst wird. Die neue App wird von den Fahrern sehr gut angenommen. Letzte Frage: Welche Umsatzziele peilen Sie mit den Landverkehren an? Auch über die nächsten Jahre streben wir in Europa ein doppelt so starkes Wachstum wie der Markt an und in den USA sowie in Asien ein überproportional starkes Wachstum. Mehr zum Thema finden Sie unter #LkwLandverkehr www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Als Stefan Paul 2013 als Landverkehrsvorstand bei Kühne + Nagel (KN) antrat, schrieb dieser Geschäftsbereich noch rote Zahlen. Mit seiner Strategie "Road 2 Profit" trimmte er den Landverkehr bei KN auf Profitabilität. Doch Paul will mehr: Sein nächstes Ziel ist es, weltweit die Nummer drei im Landverkehr zu werden. Bislang rangiert KN hier auf Platz fünf. Mit welcher Strategie er dieses Ziel erreichen will, verrät Paul im Interview. Vita Stefan Paul, geboren in 1969, ist seit 2013 Vorstand bei Kühne + Nagel (KN) und verantwortet dort die Geschäftseinheit Road & Rail (Landverkehr). Paul ist ausgebildeter Speditionskaufmann und hatte nach seinem beruflichen Start bei KN in diversen namhaften Logistikunternehmen Führungspositionen inne, unter anderem bei DHL Danzas Air & Ocean, später bei Exel. 2010 wurde Stefan CEO von DHL Freight Germany und wechselte im Jahr 2013 schließlich als Executive Vice President Overland zu Kühne + Nagel. eh