Duisburg. Weil es seit gut sechs Monaten kaum oder gar nicht regnet, führen die frei fließenden Flüsse in Deutschland extrem wenig Wasser. Zuletzt steuerte zum Beispiel der Rhein auf neue Rekordtiefstände zu. Die Binnenschiffe können nur noch einen Bruchteil dessen laden, was sie sonst transportieren. Dadurch gibt es Lieferengpässe und die Kosten explodieren. In Brandenburg dürfen auf Elbe und Oder bereits seit dem Frühsommer keine Güterschiffe verkehren. Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), nimmt jetzt im Interview mit der VerkehrsRundschau die Politik in die Pflicht:
Die Pegelstände der Flüsse sinken seit Monaten immer weiter. Übersteht die Binnenschifffahrt die lange Niedrigwasserperiode?
Die Binnenschifffahrt und deren Kunden leiden unter anhaltender Trockenheit und sinkenden Wasserständen. Der dadurch entstehende Mehraufwand ist enorm. Trotz aller Bemühungen können manche Lieferverträge nicht mehr fristgerecht eingehalten werden. Die meisten Schiffe dürfen nicht mehr so schwer beladen werden und mancherorts musste der Güterverkehr ganz eingestellt werden – etwa auf der Elbe. Die lange Dürreperiode betrifft alle frei fließenden Flüsse und mittlerweile sogar den Rhein. Große und schwere Schiffe müssen deswegen die Fahrt einstellen.
Die Situation ist für die klein- und mittelständisch geprägte Branche mitunter existenzbedrohend. Die Einbußen belaufen sich auf der Donau etwa auf 1000 bis 4000 Euro pro Tag und Schiff. Dies führt dazu, dass auch der vielfach vertraglich vereinbarte Kleinwasserzuschlag den finanziellen Schaden nicht mehr kompensieren kann.
Muss die Politik den Binnenschiffern helfen, wie sie es bei den Bauern tut, wenn der Regen ausbleibt?
Bevor ich Staatshilfen für die Binnenschiffer fordere, wünsche ich mir, dass Infrastrukturvorhaben bei Flüssen und Kanälen deutlich schneller durchgeführt werden. Der Ausbau dauert momentan stellenweise zu lange. Gerade am Mittelrhein darf es bei der Fahrinnenvertiefung zum Beispiel nicht Jahrzehnte dauern, bis die in puncto Nutzen-Kosten-Verhältnis sehr gut bewerteten Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan 2030 realisiert sind. Das muss aus meiner Sicht absolute Priorität haben.
Also braucht es keine Staatshilfe für Binnenschiffer, weil die aktuelle Dürrekrise unter das unternehmerische Risiko fällt?
Die Land- und Forstwirtschaft verfügt in Deutschland über einen Krisenmechanismus, der bei Naturereignissen anspringt, wenn etwa ein widriges Witterungsereignis nationalen Ausmaßes festgestellt wird. Agrarministerin Julia Klöckner hat die Dürre 2018 so eingestuft. Der Bund wird den Betroffenen, deren Existenz bedroht ist, mit 150 bis 170 Millionen Euro beistehen.
Die Schifffahrt operiert auf frei fließenden Flüssen, deren Pegelstände durch den Klimawandel zunehmende Extreme aufweisen. Sei es in Form von mehrmonatigem Niedrigwasser oder durch Hochwasser. Ein Krisenmechanismus analog zur Land- und Forstwirtschaft, der bei extremen Veränderungen der Wasserstände und existenzbedrohenden Auswirkungen Hilfszahlungen an die Binnenschifffahrt ermöglicht, erscheint angemessen.
Unter dem Niedrigwasser leiden auch Unternehmen, die auf Flüssen Massengüter transportieren lassen. In einigen Industriezweigen kam es zuletzt stellenweise zu Versorgungsengpässen. Wann ist Besserung in Sicht?
Bis es zu einer Normalisierung der Pegelstände kommt, dauert es wohl noch ein paar Tage. Ich rechne damit, dass sich die Situation Ende Oktober oder Mitte November wieder entspannt. Es muss erst einige Tage ergiebig regnen, bevor sich der Niederschlag auf den Flüssen bemerkbar macht.
Durch knappe Kapazitäten auf den Flüssen und mangels Alternativen auf anderen Verkehrsträgern sind die Frachtpreise in der Binnenschifffahrt explodiert. Inwiefern profitieren einige Ihrer Mitglieder sogar davon?
Die Verlader stöhnen derzeit, dass die zu transportieren Tonnen deutlich teurer geworden sind. Das liegt unter anderem an den Kleinwasserzuschlägen. Daran verdienen sich die Binnenschiffer aber keine goldene Nase. Es ist vielmehr ein finanzieller Ausgleich für die höheren Betriebskosten, die durch die geringere Auslastung und den Mehraufwand entstehen. (ag)