Mainz/Koblenz. Vorn im Führerhaus des Lastwagens schläft der Fahrer, hinten stehlen Diebe die Ware von der Ladefläche. Auch in Rheinland-Pfalz sind Autobahn-Rastplätze beliebt bei Langfingern. Zahlen des Polizei zeigen, dass die organisierten Banden in diesem Jahr so umtriebig waren wie lange nicht. Dabei ist das Jahr noch nicht vorbei, und die längsten Nächte stehen noch bevor. „Die Saison geht gerade erst los“, sagt Jörg Wegener, Leiter der Autobahnpolizei Gau-Bickelheim.
Die Täter nehmen so ziemlich alles mit, was sie abtransportieren können: Computer, Fernseher, Spielekonsolen, aber auch Reifen, Lebensmittel, Getränke, Kosmetik und Spiele. Erst jüngst schnitt jemand an der Raststätte Wonnegau Ost an der Autobahn 61 die Plane eines slowakischen Sattelzuges auf und stahl Schuhe. Der Marktwert der Beute jedes Jahr in Rheinland-Pfalz: mehrere Hunderttausend Euro. Hinzu kommt der Schaden an den Lastwagen.
Doppelt so viele Vorfälle zwischen Januar und Juli wie im Gesamtjahr 2015
Die Dunkelziffer ist laut dem Landeskriminalamt (LKA) in Mainz hoch, und selbst die angezeigten Fälle seien nicht auswertbar, weil die Straftaten nicht gesondert in der Kriminalstatistik erfasst würden. Eine Sonderauswertung der Autobahnpolizei für die A 3, A 48 und A 61 aber zeigt: Allein von Januar bis Juli dieses Jahres gab es dort bereits 141 solcher Taten – fast doppelt so viele wie im ganzen Jahr 2015. „Im Vergleich zu den Vorjahren zeichnet sich für das Jahr 2016 eine Steigerung der Fallzahlen ab“, erklärt das LKA.
Die Täter suchen dabei sowohl kleine und unbeleuchtete Parkplätze als auch betriebsame Tank- und Rastplätze auf. Für Wegener von der Autobahnpolizei gibt es drei Tätergruppen. Zum einen organisierte Banden – oft aus Osteuropa – , die mit einem Kleintransporter kommen. Zweitens Täter, die sich mit Gegenständen für ihren eigenen Haushalt eindecken. „Da fehlen dann von einer Palette zwei Asbach Uralt“, sagt Wegener. Zur dritten Gruppe zählt er diejenigen, die Diebstähle vortäuschen, um ihre Versicherung zu betrügen.
Manchmal sind die Täter so dreist, dass sie die Heckklappen der Lastwagen öffnen, um die Ladung herauszuholen. Die Klappen seien oft nur mit einfachen Schlössern oder Plomben gesichert und machten kaum Geräusche, erklärt das LKA. „Das Entdeckungsrisiko ist durch die nahezu lautlose Tatbegehung, den Geräuschpegel am Tatort, den Sichtschutz geparkter Lkw und die nächtliche Tatbegehung sehr gering.“ Heißt also: Nur wenige Täter werden geschnappt.
Speditions- und Transportverbände fordern mehr Sicherheitsparkplätze für Lkw
Die Logistik-Verbände DSLV und BGL fordern wegen der Planenschlitzer mehr bewachte Parkplätze. Es gibt noch andere Ideen, etwa Alarmanlagen, Bewegungsmelder oder schlitzfeste Planen. Marc Köhler vom Speditions- und Logistikverband Hessen/Rheinland-Pfalz aber sagt, das sei schlussendlich zu teuer. „Die Preise im Frachtverkehr werden von Subunternehmern gedrückt.“ Immer mehr osteuropäische Fahrer seien im Land unterwegs, die sich solche Zusatzausgaben nicht leisten könnten.
Einige Logistikunternehmen setzen lieber auf sogenannte Guck-Fenster, um den potenziellen Tätern zu zeigen, dass sich unter den Planen Güter mit nur geringem Wert verbergen. Oft nämlich bleibe es beim Versuch – die Täter schlitzten so lange, bis sie etwas Interessantes fänden, erläutert das LKA.
Wegener von der Autobahnpolizei sieht einen Verdrängungseffekt. Vor Jahren hätten die Banden häufig in den Niederlanden zugeschlagen, bis dort flächendeckend Kameras auf den Autobahnparkplätzen installiert worden seien. Dann seien die Täter nach Nordrhein-Westfalen und schließlich auch in den Norden von Rheinland-Pfalz gekommen. Hier gebe es nur ganz vereinzelt überwachte Parkplätze, die nur wenigen Lkw Schutz böten. Köhler vom Speditions- und Logistikverband sagt, Parkplätze an Autobahnen seien ohnehin Mangelware. Und so stünden die Fahrer mit ihren Lastwagen oft in den Auffahrten – wo es nicht einmal Laternen gebe. (dpa/ag)