Die Roboter kommen oder doch nicht?

Angela Merkel reicht dem Roboter Asimo die Hand. Dieses Bild der Bundeskanzlerin im Miraikan-Museum für zukunftsorientierte Wissenschaft und Innovation in Tokio ging vor einem Jahr um die Welt. Allein: Asimo wusste nicht, was er mit der Hand anfangen sollte, die ihm da entgegengestreckt wurde. "Roboter sind dumm", erklärt Frederik Brantner, Mitbegründer und Geschäftsführer des Roboter-Start-ups Magazino in München. "Ihre Programmierung, die Software, entscheidet über ihre Intelligenz und ihr Können." Im März hat Magazino auf der LogiMAT den mobilen Kommissionier-Roboter "Toru Cube" erstmals vorgestellt, der sich inzwischen bei Sigloch Distribution in Blaufelden bewährt (siehe Kasten Seite 30). "Intelligente Objekterkennung vereint mit präziser Greiftechnik ermöglicht stückgenauen Zugriff auf einzelne Objekte", beschreibt Brantner die Innovation der Prozesse. "Dabei kann das System nicht nur mit bestehenden Regalen umgehen, sondern sich dank Computer Vision auch an eine veränderte Warenstruktur im Lager anpassen." Sonn- und feiertags verfügbar Maßgeblich für die Leistung von Toru Cube ist die Software. Die Hardware-Komponenten bezieht die Firma von Herstellern in Süddeutschland. Das Gros der 50 Magazino-Mitarbeiter sind Roboter-Software-Entwickler. "Navigation, Vision-System, Gerätesteuerung und Sicherheitskonzept brauchen komplexe Informationsverarbeitung und Programmierung", erläutert Brantner. "Dabei beschreiten wir täglich Neuland." Roboter sind ein Wachstumssegment der Automationstechnik. "Ein wichtiger Markttrend", sagt Werner Kraus, Leiter der Gruppe "Intralogistik und Materialfluss" des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA (siehe Kasten Seite 29). Das zeige sich an vielen neuartigen Roboterlösungen für die Logistik und werde durch die Wachstumszahlen der International Federation of Robotics IFR untermauert. Demnach wurden 2014 in der Logistik weltweit 2644 Robotersysteme (plus 27 Prozent gegenüber 2013) installiert, davon 28 Prozent in Europa. Bis 2018 soll der weltweite Bestand an Industrierobotern von 1,5 Millionen Stück (2014) auf 2,3 Millionen Stück steigen. Grundsätzlich, so Ralph Ehmann, Vorstand der Logistikplanungs- und -beratungsfirma IWL, verspreche die Robotik Vorteile durch längere Einsatzzeiten sowie die Verfügbarkeit an Sonn- und Feiertagen auch in der Kommissionierung. Kosten im Pick senken Oberste Prämisse für ihren Einsatz: Kosten pro Pick senken. Doch es gibt auch Vorbehalte, wie die unlängst veröffentlichte IWL-Umfrage "Branchenübergreifender Einsatz robotergestützter Kommissionierung" zeigt. Danach schätzt rund ein Drittel der Teilnehmer robotergestützte Kommissionierung als realistisches oder eher realistisches Szenario ein. Die Hälfte der befragten Firmen steht dem aber skeptisch gegenüber. Gründe sind vor allem Bedenken bezüglich der Greiftechnik und Geschwindigkeit solcher Systeme, Probleme mit der Erkennungssoftware und Wirtschaftlichkeit. "Die Vielfalt der Kommissionieraufgaben und die Unterschiede der zu behandelnden Produkte macht den Einsatz solcher Service-Roboter noch schwierig", resümiert Ralph Ehmann, Vorstand der Logistikberatung IWL. Daher gebe es in der Logistik aktuell nur sehr wenige Roboteranwendungen, überwiegend für Palettier- beziehungsweise Depalettieraufgaben. "Dies wird sich in einigen Jahren aufgrund der großen technischen Fortschritte sicher ändern", glaubt er. Auch bei komplexeren Objekten, etwa biegeschlaffe Produkte, die von Robotern bislang nicht zuverlässig kommissioniert werden könnten, gehe die Entwicklung mit großen Schritten voran. "Kollaborierende Roboter können in Einzelfällen schon heute im Warenlager eingesetzt werden, um die Effizienz und das Arbeitsumfeld zu verbessern", sagt Denis Niezgoda, Projektmanager bei Deutsche Post DHL und dort für Kundeninnovationen zuständig. DHL testet seit 2007 den Einsatz von Robotern im Lager und will sie künftig verstärkt in der Kontraktlogistik einsetzen. Für den breiten Einsatz in der Fläche sieht Niezgoda jedoch "noch Verbesserungsbedarf an vielen Komponenten". Schlüsseltechnologien für die weitere Entwicklung der Kommissionier-Roboter sind, neben der Software, insbesondere die Sensorik und die 3D-Bilderkennung.Vor allen bei mobilen Systemen, die sich wie der Toru Cube im Lager bewegen, fehlt es den automatisierten Systemen bei der Kommissionierung noch an Dynamik. "Es mangelt an starken Algorithmen, die Bilder schnell und zuverlässig verarbeiten können", so Niezgoda. Folglich kommissionieren sie C-Artikel. Wo sich die Preisspanne bewegt Bei stationären Robotern ist das etwas anders. Die in geschlossenen Zellen arbeitenden Palettier-/Depalettierroboter und (Flächen-)Portalroboter stapeln und sequenzieren mit hohen Geschwindigkeiten bei maximaler Kommissioniersicherheit. "Gerade bei wiederkehrenden, gleichbleibenden Aufgaben bieten die Roboter gegenwärtig eine leistungsstarke Automationskomponente", erklärt Elmar Issing, Bereichsleiter New Technologies and Solutions SSI Schäfer, Giebelstadt. Mit dem Schäfer Robo-Pick SPP hat die Firma eine vollautomatische Pickzelle für die Kommissionierung von quadratischen Kleinverpackungen auf den Markt gebracht. Ein zweistufiges Bilderkennungssystem erfasst die Position von Produkten auf einem Tablar und steuert den entsprechenden Zugriff eines Delta-"Spinnenarm"-Roboters. Bis zu 2400 Picks pro Stunde soll das System ermöglichen. Wirtschaftlich interessant wird der Robotereinsatz, "wenn sich die Investition gegen die Einsparungen bei Personalkosten über einen definierten Zeitraum rechnet", urteilt IWL-Vorstand Ehmann. Anhaltspunkte für die Kalkulation: Ein Serviceroboter, der kommissionieren kann, kostet derzeit etwa 100.000 Euro. Autonome Mobile Roboter (AMR), Fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) mit intelligenter Sensorik für Navigation und Hinderniserkennung, sind für niedrige fünfstellige Beträge zu haben. Zwischen dieser Preisspanne bewegen sich - je nach System - die Anschaffungskosten für stationäre Palettierroboter. Nach oben offen ist die Preisskala für Portalroboter. Zudem kommen die stationären Robotersysteme nicht ohne weitere Automationskomponenten, Fördertechnik und dynamische Lagersysteme aus. Ziel sind aber autonome Systeme, die sich selbstständig organisieren, frei im Lager bewegen - und sowohl die Kommissionierung als auch die innerbetrieblichen Transporte übernehmen. "Der Anspruch, der sich aus Industrie 4.0 ableitet, ist ein klarer Treiber der aktuellen Entwicklung", betont Kirt Laeske, Produkt Manager Robotics bei Swisslog. Die unlängst von Kuka übernommene Firma hat mit der Muttergesellschaft einen Arbeitsplatz entwickelt, an dem Menschen und Roboter-Greifarm simultan arbeiten und ohne Abgrenzungen oder Zäune gemeinsam Auftragsbehälter befüllen. Der eingesetzte Leichtbauroboter LBR iiwa ist mit zusätzlichen Bildverarbeitungstechnologien und integrierten Gelenkmomenten-Sensoren in allen sieben Achsen ausgestattet. Die nächsten Entwicklungsschritte Weitere Forschungs- und Realisierungsansätze zielen auf die Kombination von Transportsystem, Pickroboter und IT. "Bei hoher Variantenvielfalt der Artikel bietet die elegante Verbindung zwischen Mensch und Maschine die höchste Produktivität", sagt Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer des Bereichs Robotik und Automation im VDMA. "Die Roboter übernehmen den Transport und sparen Wegezeiten, der Mensch die Auswahl- und Verpackungsprozesse." So stellte Servus Robotics in Dornbirn ihr schienengeführtes Behältertransportsystem "Servus ARC" mit dem Aufbau eines kleinen Knickarmroboters und servoelektrischen Parallelgreifers der Schunk Intec vor. Für die Produkterfassung sorgt eine 3D-Robot-Vision-Lösung von Isra Vision in Darmstadt. Damit kann das Transportsystem auch Handlingsaufgaben und Prüfanwendungen übernehmen. Robotersysteme für Einzelteilzugriff werden derzeit aber kaum nachgefragt. Magazino erhält vornehmlich Anfragen nach Lösungen mit Zugriff auf Kleinteileladungsträger, Behälter und Kartons, die vom Stellplatz entnommen und zu einem Bearbeitungsplatz transportiert werden. "Fahrende Systeme mit verschiedenen Greifarm-Varianten sind der nächste Entwicklungsschritt, den wir in 2017 umsetzen", sagt Brantner. "Spätestens 2018 wird der Griff in die Regalkiste Realität. Hochkomplexe Prozesse mit hohem Programmieraufwand." Mehr zum Thema unter "Trends in der Intralogistik" www.verkehrsrundschau.de/dossiers FTF mit Pick-Funktion So arbeitet der Toru Cube Der Pick-Roboter "Toru Cube" ist für quaderförmige Objekte wie Bücher, Schachteln oder Schuhkartons optimiert. Beim Buchdistributeur Sigloch kommissioniert er Pickaufträge für die Auftragsfertigung aus einer Fachbodenregalanlage. Die Aufträge werden über WLAN an den automatisierten Mitarbeiter übertragen.Der Kommissionier-Roboter besteht aus einem Fahrerlosen Transportfahrzeug FTF mit Aufbau aus Hubeinrichtung, Greifarm und kleinem Pufferregal. Das FTF fährt in die entsprechende Regalgasse. Routing und Navigation erfolgen mittels eines Laserscanners. Im Regalgang fährt der Roboter das Greifersystem auf die Ebene des Stellplatzes aus. Wenn die erreicht ist, erfasst ein Kamerasystem die Artikel. Im Abgleich mit den hinterlegten Artikelstammdaten zur Größe, zum Gewicht und weiteren Spezifikationen richtet der Roboter dann den Greifer aus. Der besteht aus einem Linearachsensystem. Schließlich erfolgt der Zugriff. Das Buch wird auf das Lastaufnahmemittel LAM des FTF übernommen, das LAM abgesenkt und der Artikel in eines der Transportfächer übergeben, die in den FTF-Aufbau integriert sind. Mit Abschluss der Kommissionieraufträge bringt der Roboter die Bücher zur Versandstation. rb

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