Die Ostseehäfen sind das Tor zum Baltikum

Die Ostseehäfen sind das Tor zum Baltikum Gut gerüstet für das Wachstum Im Schatten der Universalhäfen der Nordrange entwickeln sich die deutschen Ostseehäfen zu wichtigen Knotenpunkten. Vor allem Ro-Ro- und Fährverkehre sind die Wachstumsbringer. Was für die großen Universalhäfen der Nordsee der Containerverkehr ist, das ist für die Umschlagplätze an der Ostsee der Fähr- und Ro-Ro-Verkehr. Auch hier reißt die Serie der Erfolgsmeldungen über neue Umschlagrekorde nicht ab. Ein Grund hierfür ist die sehr erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung in den Ostseeanrainerstaaten. Für die Häfen in den Küstenländern bedeutet das: weiteres Wachstum in den kommenden Jahren. Die vier, für den Fähr- und Ro-Ro-Verkehr wichtigen deutschen Ostseehäfen Lübeck, Rostock, Kiel und Sassnitz/Mukran trifft das zum Teil zweistellige Mengenwachstum nicht unvorbereitet. Die Hafenbetreiber und Umschlagbetriebe haben seit den 1990er-Jahren kräftig in den Ausbau ihrer Anlagen investiert. Ein Umschlagunternehmen wie die Lübecker Hafen-Gesellschaft (LHG), der unumstrittene Platzhirsch an der Trave, wird bis 2010 rund 200 Millionen Euro ausgegeben haben. Der Fähr- und Ro-Ro-Verkehr ist auf Geschwindigkeit ausgelegt – die Umschlageinrichtungen müssen daher auf hohen Durchsatz getrimmt sein. Zusätzlich geht der Trend zu immer größeren Schiffen: So kann die LHG nach Neugestaltung des Skandinavienkais inzwischen Fährschiffe mit 200 m Länge und mehr abfertigen. Der „Skandikai“ ist die Drehscheibe für den Fähr- und Ro-Ro-Verkehr im Lübecker Hafen. 2006 gingen über diese Anlage mit rund 20 Millionen. Tonnen rund 66 Prozent des Gesamtumschlags (30 Mio. t) der Hafengruppe. Der Trend geht zu größeren Schiffen Im Zuge des mit Bundes- und Landesmitteln ebenfalls begleiteten Umbauprogramms präsentiert sich dieser Hafenanteil nun als in sich geschlossenes Gebilde. Wichtiger Nebeneffekt: Durch die vollständige Einzäunung erfüllt der Skandikai ideal die seit Juli 2004 geltenden neuen Sicherheitsbestimmungen der Maritimen Gefahrenabwehr (ISPS). Ein- und ausgehende LKW müssen ein Zentralgate passieren und werden entsprechend elektronisch erfasst. Auf diese Weise wird auch dem Ladungsdiebstahl ein wirksamer Riegel vorgeschoben. Wie in den großen Containerterminals muss auch im klassischen Fährhäfen mit jedem Quadratmeter Stellfläche gegeizt werden. Zur Verdeutlichung: Über den Skandikai gingen 2006 fast 710.000 Frachtsendungen nur im be- und unbegleiteten Trailerverkehr. Das gewaltige Verkehrsaufkommen wird inzwischen durch mehr als 80 Schiffsanläufe pro Woche bewältigt, wobei zur Gruppe der „Großen“ die TT-Line, die Stena-Organisation oder die sehr expansive Finnlines-Gruppe gehören. Der Kombinierte Verkehr ist eine Erfolgsgeschichte Eine besondere Erfolgsgeschichte ist für Lübeck die Entwicklung im kombinierten Verkehr Schiene/Schiff. Mit gut 80.000 KV-Sendungen, die 2006 über den Hafen bewegt wurden, stellt Lübeck den mit Abstand erfolgreichsten Ostseefährhafen beim KV dar. „Die Ankunftszeiten der Züge sind mit den Abfahrtzeiten der Fähren so vertaktet, dass ein direkter Anschluss möglich ist“, betont Antje Falk, Geschäftsführerin der Firma Baltic Rail Gate. Ein Standard, der inzwischen aber auch in den beiden anderen KV-orientierten Häfen wie Kiel oder Rostock verfügbar ist. Wie in Rostock und Kiel hat sich die Frankfurter Kombiverkehr KG auch in Lübeck an der dortigen Terminal-Betreibergesellschaft Baltic Rail Gate mit 50 Prozent beteiligt. Die Anlage ist auf 140.000 Einheiten ausgelegt. Das Zugangebot wurde seit Aufnahme des Umschlagbetriebs im August 2003 systematisch erweitert und liegt bei derzeit rund 80 Zugpaaren pro Woche. Tendenz steigend. Scharfer Wettbewerb unter den Häfen Die Marktwirkung der deutschen Ostseefährhäfen hat sich seit den 1990er-Jahren deutlich erweitert. Zu den traditionellen Fährrouten von und nach den verschiedenen skandinavischen Ländern sind inzwischen die Fährverkehre nach Polen, Russland und in die Baltischen Staaten hinzugekommen. Der Beitritt Polens und der drei Balten-Republiken zur EU am 1. Mai 2004 hat neue Wachstumsperspektiven eröffnet, auch wenn es in den ersten Monaten nach dem Beitritt zu teilweise drastischen Verkehrsmengen-Verlusten in den Ost-Fährverkehren kam. Billigdiesel in Riesentanks, Dumpinglöhne für LKW-Fahrer und fehlende Überprüfungen der Ruhe- und Lenkzeiten in den genannten Ländern ließen mit einem Schlag einen Transport über die so genannte „Grüne Grenze“ attraktiver erscheinen. Aus dem Leitmotiv „From road to sea“ drohte mit einem Mal „From sea to road“ zu werden. Der Landweg als Konkurrenz Doch inzwischen ist die Krise überwunden, weisen die Transportmengen der Reedereien und die Umschlagleistungen der Häfen wieder nach oben. Viele Betriebe aus den Beitrittsländern haben es gelernt, zu kalkulieren – und da bietet sich gerade auf den langen Strecken der Seeweg immer klarer an. Noch bis Ende der 90er konnte der Hafen Kiel für sich behaupten, die meisten Abfahrten in Richtung östliche Ostsee zu verbuchen. Inzwischen haben Lübeck und Rostock den Kielern den Rang abgelaufen, für die der noch vorhandene Stamm von Reedern und das Linienangebot allerdings immer noch genügend Spielraum für weiteres Wachstum bietet. Immerhin: Am Gesamtumschlag im Fährverkehr von rund 3,6 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr hatten die Ost-Verkehre einen Anteil von zwei Drittel. Ein Novum in der Geschichte des Förde-Hafens, der im Fährverkehrsegment mit den Routen nach Schweden (Stena Line) und Norwegen (Color Line) groß geworden ist. Als sehr vorausschauend hat es sich erwiesen, die Ost-Verkehre in einem völlig neuen Hafenteil – dem Ostuferhafen (OUH) – zu konzentrieren. Im Sommer 2002 in Betrieb genommen, wurde er bis 2006 weiter ergänzt, unter anderem um ein eigenes KV-Modul. Bis 2008 kommen noch einmal vier Hektar neue Stellfläche hinzu. Dirk Claus, Geschäftsführer der Seehafen Kiel GmbH, freut sich: „Damit stehen Kapazitäten für weiteres Wachstum bereit.“ Der KV-Verkehr als Ganzes verzeichnet auch in Kiel stetiges Wachstum. Die Seehafen Kiel GmbH will in den kommenden Jahren weiter investieren. Rund 50 Millionen Euro sind bis 2010 für verschiedene Projekte vorgesehen. Als investitionsfreudig gilt auch Rostock. Vom einstigen „Tor zur Welt“ für die DDR durchlebte der Warnow-Hafen nach der Wende bis weit in die 90er-Jahre hinein ein Wechselbad der Gefühle. Der Umschlag brach millionentonnenweise weg. Doch das ist inzwischen Geschichte. Vor allem die Beseitigung von gesellschaftsrechlichen Irritationen sorgte dafür, dass es mit dem Hafen wieder bergauf geht. Mit 26 Millionen Tonnen wurde 2006 ein Rekordergebnis erzielt. Ulrich Bauermeister, Chef der Hafenentwicklungsgesellschaft Rostock (Hero) steuert einen klaren Kurs und hat Rostock wieder zu einem wichtigen Universalhafen gemacht, dessen Güterspektrum vom Massengut über das Stückgut bis hin zu den Fähr- und Ro-Ro-Verkehren reicht. Bauermeister: „Der Rostocker Hafen profitiert von der positiven Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und den Ostseeanrainer-Staaten.“ Sassnitz wartet auf Investoren Die großen Hinterlandtrümpfe, der eigene Autobahnanschluss (A 19) und die Bahn, gehen hinsichtlich ihrer Trassenführung noch auf DDR-Zeiten zurück. Doch beides erfuhr inzwischen eine umfassende Komplettsanierung. Einen ganz bedeutenden Impuls löste der Anschluss des Rostocker Hafens an die A 20 – die „Ostseeautobahn“ – aus, die inzwischen bis zur Grenze nach dem polnischen Stettin zur Verfügung steht. Viel Geld wurde auch in die Hand genommen, um den KV-Terminal zu bauen. Denn die Bedeutung des KV Schiene/Schiff nimmt auch in Rostock beständig zu. Seit der letzten Modernisierung des KV-Terminals im Jahr 2006 stehen jetzt Umschlagkapazitäten für 85.000 Sendungen zur Verfügung. Schon jetzt denkt man an den Expansionsschritt in Richtung 120.000 Sendungen. Der mit Abstand kleinste deutsche Ostsee-Fährhafen ist Sassnitz auf der Insel Rügen. 1986 schlug die Geburtsstunde für einen Eisenbahn-Fährdienst zwischen Klaipeda (Litauen) und Sassnitz/Mukran. Fünf eigens für diesen Dienst gebaute Spezialschiffe hielten die Verbindung aufrecht. Zu den weiteren technischen Besonderheiten dieser Verbindung, die zunächst auch unter militärischen Gesichtspunkten eingerichtet wurde, gehörte der umfassende Bahnbereich in beiden Häfen. Die Anlagen erlaubten nämlich ein Umspuren von der europäischen Normal- auf die russische Breitspur und umgekehrt. Auch für Sassnitz/Mukran bedeutete die Wende 1989 und der Zeitraum bis Ende der 1990er-Jahre ein Auf und Ab. Mit mehrstelligem Millionenaufwand wurde der Umschlagterminal in den 90er-Jahren erneuert, und zwar unter Einbeziehung des wichtigen Eisenbahnpotenzials. Dabei drohte die Schienen-Fährverkehrsanbindung wiederholt von der Bildfläche zu verschwinden. Der boomende Russland-Handel hat diese Gefahr allerdings gebannt. Jetzt ist eine neue Bahn-Fährverbindung nach Ust Luga bei St. Petersburg in Vorbereitung. Harm Sievers, Geschäftsführer der Fährhafen Sassnitz GmbH, sieht den Hafen im Wettbewerbsumfeld solide verankert. Sein wesentlicher Trumpf ist die Bahntechnik, die die beiden Spursysteme miteinander kompatibel macht. Dass Sassnitz Zukunftspotenzial hat, davon ist man auch bei der Hamburger Umschlag- und Logistik-Gruppe Buss überzeugt. Dessen Geschäftsführer Renko Schmidt kündigte umfassende Investitionen vor Ort an. ❙❚■ Eckhard-Herbert Arndt Die Ostseehäfen Lübeck: Der Lübecker Hafen ist der am weitesten südwestlich gelegene Hafenumschlagplatz an der Ostsee und nimmt speziell in den Verkehren zwischen den traditionellen Wirtschaftsmetropolen West- und Zentraleuropas und dem sich rasch entwickelnden Wirtschaftsraum Ostsee die zentrale Drehscheibenfunktion ein. 2005 wurden insgesamt 27,3 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Die Lübecker Hafen-Gesellschaft mbH (LHG) als Betreiberin der öffentlichen Lübecker Häfen hatte daran einen Anteil von 24,6 Millionen Tonnen. Anbindung über die A 1 zwischen Hamburg und Kiel und A 20 in Richtung Rostock und Szczecin sowie Schienenanbindung für den Kombinierten Verkehr. Kiel: Der Kieler Hafen wurde 2006 von 1908 Seeschiffen angelaufen. Der Gesamtgüterumschlag betrug 5.023.947 Tonnen. Verladen wurden vor allem Fahrzeuge, Getreide, Futtermittel, Splitt, Stückgüter und Forstprodukte sowie Mineralöle, Schrott, Eisen und Kohle. Fährverkehr: 3.633.091 Tonnen (2006) Kombinierter Ladungsverkehr (Schiene/Schiff) 12.070 Einheiten (2006). Dies entspricht einer Steigerung von 31,0 Prozent gegenüber 2005 Containerumschlag 19.028 TEU in 2006 Rostock: Im Jahr 2006 konnte der Seehafen Rostock das beste Umschlagergebnis seiner Geschichte verzeichnen. Gesamtumschlag: 25,2 Millionen Tonnen (2006) Fähr- und Ro-Ro-Verkehren Fährverkehr: 13,9 Millionen Tonnen (2006) Ro-Ro-Verkehr: 1,4 Millionen Tonnen (2006) Kombinierten Ladungsverkehr: 59.500 Ladeeinheiten (2006) Massengüter: 9,9 Millionen Tonnen Sassnitz: Größter Eisenbahnfährhafen Deutschlands und einziger Hafenstandort Europas mit Möglichkeit zum Umschlag von Eisenbahnwaggons finnischer und russischer Breitspur. Der Fährhafen Sassnitz liegt an der Ostseite der Insel Rügen und ist damit der östlichste Tiefwasserhafen Deutschlands. Als Nischenanbieter erfolgreich Rostock und Sassnitz haben die DDR-Vergangenheit längst überwunden. Mengenwachstum in den Ostseehäfen Fähr- und Ro-Ro-Verkehr in deutschen Ostseehäfen (in 1000 t) Lübeck Rostock Sassnitz Kiel Zusammen Entwicklung beim KV-Umschlag in den Ostseehäfen 2006 Sendungen Veränderung in % Quelle: eigene Angaben Häfen 2005 27.363 13.957 4807 3295 59.708 Kiel 12.000 + 31 2006 30.556 15.348 4811 3633 66.280 Lübeck 80.000 + 13 Veränderung in % + 10,45 + 9,97 + 0,1 + 10,28 Rostock 59.500 + 9 Der Mittelstand bildet das Rückgrat Die Estnische Tallink Silja-Gruppe betreibt inzwischen sieben eigene Linien in der Ostsee. Sales- and Marketing-Chef Markku Onniselkä im Gespräch. Herr Onniselkä, der Markt freut sich über den Boom auf der Ostsee. Können Sie das bestätigen? Aber gewiss. Die ersten Monate in diesem Jahr hat sich die positive Entwicklung bei den Beförderungszahlen fortgesetzt. Damit werden wir unser Ziel, in unserem Netzwerk bis Ende 2007 rund 300.000 Frachtsendungen zu befördern, erreichen. Welches sind die für Sie wichtigsten Verkehrsrelationen, wenn Sie diese Transportmenge zu Grunde legen? Das Aufkommen konzentriert sich auf die Achse Schweden-Finnland und Estland-Finnland mit jeweils 100.000 Frachteinheiten. Die dritte, starke Relation ist der Verkehr zwischen Deutschland und Finnland sowie Estland mit gut 70.000 Sendungen. Auf welche Kundenstruktur setzen Sie? Setzen Sie eher auf einige wenige Firmen oder bevorzugen Sie eine breitere Streuung? Letzteres ist der Fall. Natürlich haben wir einige Großkunden wie DHL, Schenker, Lkw Walter oder Ewals Cargo Care. Die Großen sorgen für die solide Grundauslastung unserer Kapazitäten. Das ist wichtig für unsere Planung. Aber wir wollen uns nicht nur auf die großen Anbieter verlassen. Wir kümmern uns auch sehr aktiv um die kleinen und mittelgroßen Speditions- und Transportbetriebe. Wo sieht Ihr Unternehmen seinen Tätigkeitsschwerpunkt? Wir sehen uns in erster Linie als Erbringer der reinen Seetransportdienstleistung für unsere Kunden, die ihren Schwerpunkt in der Logistik, dem Trucking oder dem Speditionsgeschäft haben. Diese klare Arbeitsteilung vermeidet das Entstehen von Interessenkon-flikten mit unseren Kunden. Interview