"Die fetten Jahre sind vorbei"

Wir hatten in der Automobilindustrie sieben fette Jahre. Die fetten Jahre sind nun vorbei. Jetzt kommen die mageren Jahre", sagt Auto-Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch-Gladbach. Von Krise will der Marktkenner trotzdem nicht reden - ein konjunktureller Abschwung sei aber 2019 vorstellbar. So rechnet Bratzel mit drei bis fünf Prozent Rückgang der weltweiten Automobilproduktion. Und im Falle eines harten Brexits dürften die Absatzzahlen in Europa wohl ebenfalls um fünf Prozent zurückgehen. Wenngleich die Branche hier von einem sehr hohen Niveau komme, betont er. Selbst im vergangenen Jahr hätten sich Unternehmen immer noch sehr gut entwickelt - trotz vieler politischer Unwägbarkeiten. So habe Volkswagen für 2018 neue Rekord-Absatzzahlen vermeldet, und auch die anderen OEM-Größen hätten starke Zahlen - und diese würden sich wohl auch in den Gewinnen widerspiegeln. Viele Fragezeichen am dunklen Horizont Die Herausforderungen für die Player sind aber in den kommenden Jahren immens. "Es steht die größte Transformation an, die die Automobilbranche je durchlebt hat", warnt Bratzel eindringlich. Brexit, der schwächelnde Absatzmarkt China - nach 20 traumhaften Jahren mit Absatzsteigerungen von zehn Prozent oder mehr pro Jahr. Hinzu kommen der anhaltende Zollstreit mit den USA, die verschärften Abgasvorgaben der EU an die Automobilhersteller sowie der zunehmende Wettbewerbsdruck seitens Player wie Google & Co, die mit neuen Mobilitätskonzepten auf den Automobilmarkt streben. Hinzu kommen Unwägbarkeiten wie vergangene Woche im Audi-Motorenwerk im ungarischen Györ. Dort hatten fast eine Woche lang Tausende Mitarbeiter für 18 Prozent höhere Löhne gestreikt und so für drei Tage Bandstillstand bei Audi in Ingolstadt gesorgt. Und über allem schwebt das Damoklesschwert Elektrifizierung, wobei Bratzel nicht glaubt, dass in zehn Jahren ausschließlich E-Fahrzeuge eingesetzt werden. Wenngleich aktuell sehr viel Geld investiert werde. Zusammengenommen machen alle Unsicherheitsfaktoren Prognosen derzeit also fast unmöglich. Bratzel: "Es sind sehr viele Fragezeichen am dunklen Horizont." Für Logistikdienstleister muss diese Ungewissheit aber nicht schlecht sein. Im Gegenteil: Andreas Bunz, Vorsitzender der Geschäftsführung des Logistikunternehmens LGI in Herrenberg, rechnet gar mit neuen Geschäftschancen. "Wir erhalten verstärkt Outsourcing-Anfragen aus der Automobilindustrie." So würden in der Vormontage bestimmte Systeme, von denen die OEM ausgehen, dass sie diese mittelfristig nicht mehr benötigen, tendenziell eher an Dienstleister outgesourct, stellt er fest. "Das sind aber nur kurzfristige Mengeneffekte. Wirklich nachhaltig wird dies nicht sein", meint Bunz. Grund sei der Trend zu mehr E-Mobilität. Denn wenn sich der E-Antrieb einmal durchgesetzt habe, werde es deutlich weniger Teile geben, die logistisch gehandelt werden müssen. In der aktuellen Überbrückungsphase gebe es aber interessante Outsourcing-Projekte für Dienstleister wie LGI. "Trotzdem werden wir in diesem Jahr auf Sicht agieren, weil wir angesichts der aktuellen Gemengelage in der Automobilbranche nicht wissen, wie sich die Volumina in den nächsten zwölf Monate entwickeln", ergänzt Eckhard Busch, COO des Unternehmens. LGI habe aber den Vorteil, auch in den anderen Branchen logistisches Know-how zu besitzen, um einen etwaigen kurzfristigen konjunkturellen Einbruch in der Automobilbranche auffangen zu können. Hohe Nervosität im Markt "Die OEM und Zulieferer sind im Moment sehr nervös", beobachtet auch Jörg Witt, Geschäftsführer der Duvenbeck Solution & Engineering GmbH in Bocholt. Fakt ist, dass für 2018 ein heißer Herbst prognostiziert gewesen sei, die großen Abwicklungsmengen aber in dieser Form nicht gekommen sind. Gut möglich, dass dies schon die Vorboten eines möglichen Abschwungs sind. "Der drohende Brexit kostet Absatz, gerade die OEM, die stark im englischen Markt tätig sind." Ernsthaft Sorgen machen müsse man sich aber noch nicht, betont der Geschäftsführer: "Die Automobilbranche ist zehn Jahre lang stetig gewachsen. Und die Duvenbeck Gruppe konnte auch an diesem Wachstum partizipieren. Außerdem rechne er - zumindest in den kommenden Jahren - mit steigenden Volumina. "Solange sich das E-Fahrzeug nicht durchgesetzt hat, müssen alle Antriebsformen bedient werden, sprich: die Teilevielfalt und -menge steigen zunächst. Zumindest so lange, bis sich die E-Mobilität wirklich durchgesetzt hat. Dann sinken die Mengen wieder aufgrund des Wegfalls der Komplexität und Vielfalt." Neuer Trend zur lokalen Produktion Und sollte in diesem Jahr wider Erwarten die Branche doch in die Krise rutschen, ist für Witt der Weg klar: "Duvenbeck wird weiterhin ganz stark auf Automotive setzen." "Das ist ein Segment, das wir beherrschen. Hier haben wir die guten Kontakte und stehen mit den Entscheidern im engen Austausch, was die Mengenentwicklung und die Erfordernisse betrifft." Aber noch bleibe die Automobilbranche für Logistiker attraktiv, wenngleich er derzeit keine höhere Outsourcing-Bereitschaft seitens der OEM und Zulieferer feststelle. Worauf sich Transport- und Logistikdienstleister dagegen einstellen können, ist mehr Protektionismus: So erwarten Experten, dass die USA weiter die Handelsschranken erhöhen, zudem droht durch den Brexit Chaos im Verkehr mit Großbritannien. Um Zöllen und logistischen Unsicherheiten aus dem Weg zu gehen, werden die OEM umdenken. "Das Produzieren im näheren Umfeld wird wieder interessanter", erwartet Christian Wibbe, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter des Geschäftsbereichs Automotive bei Miebach Consulting in Berlin. Seine Prognose: Die Hersteller werden sich zunehmend von der alten Strategie, von einem Werk aus die ganze Welt mit einem Automodell zu versorgen, verabschieden. Stattdessen setzen sie mehr auf lokale Produktion. Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass es dank Automatisierung und Industrie 4.0 einfacher ist, in einem Hochlohnland Fahrzeuge zu bauen. Stehen nur Roboter am Band, spielt der Tarifvertrag vor Ort keine Rolle mehr. Indizien für diese Entwicklung zeigen sich überall: Volkswagen siedelt die Produktion des neuen Stromers ID in Zwickau an, Audi baut seinen elektrischen SUV im Werk Brüssel, BMW investiert derzeit wieder in deutsche Werke. Welche Transport- und Logistikdienstleister werden vom Trend zur lokalen Produktion profitieren? Sicherlich regionale Betriebe, die die Produktionsversorgung an den marktnahen Standorten übernehmen, schätzt Wibbe. Mehr lokale Werke bedeuten indes auch, dass mehr Teile von den Zulieferern zu Autofabriken in Übersee transportiert werden müssen. "Hier sind die großen Anbieter mit ihren globalen Netzen gefragt", meint Wibbe, der zu dem Thema "Nearshoring" auch eine Studie erstellt hat. Zweiter prägender Faktor der kommenden Jahre wird die E-Mobilität sein. "2019 schaffen die Hersteller die Grundlage für diesen Markt", erwartet Wibbe. Denn die meisten OEM haben sich auf die Agenda geschrieben, bis Ende 2019 ein oder mehrere wettbewerbsfähige Modelle an den Start zu bringen. Für die Logistik wird das aber kurzfristig keine gravierenden Folgen haben, dafür ist die Zahl der abgesetzten Stromer zu gering. Bei 1,9 Prozent liegt hierzulande der Marktanteil von E-Fahrzeugen laut CA - noch zu wenig, um die Logistikströme wirklich zu verändern. "Hier ist nur vereinzelt ein anderes Teilespektrum nötig", so Wibbe. Jetzt gefragt: höchste Agilität Und für eine Überganszeit, deren Dauer derzeit keiner abschätzen könne, werden sich Fahrzeuge mit Elektroantrieb und Verbrennungsmotor den Markt aufteilen. Damit rechnet LGI-Geschäftsführer Bunz. "Das wird die Logistik deutlich komplexer machen, weil Supply Chains für alte und neue Teile parallel betrieben werden müssen", sagt er. LGI rüste sich bereits für diese Neuerungen und sei schon auf der Suche nach Logistikimmobilien, auf denen beispielsweise Lithium-Ionen-Batterien künftig gelagert werden können. "Das stellt zusätzliche Anforderungen in puncto Brandschutz und Gefahrgut-Handling", weiß COO Eckhard Busch. "Herausforderung sind hier die zu erwartenden Mengengerüste. Die kennen ja selbst die Hersteller noch nicht." Um hier aber nicht auf Mehrkosten aufgrund der drohenden Parallelität sitzen zu bleiben, hilft laut der beiden LGI-Geschäftsführer nur eines: "Höchste Agilität - wir brauchen sehr flexible Lösungen." Konkret investieren werde LGI indes in noch mehr Automatisierung der Prozesse und Digitalisierung und entsprechende Innovationsprojekte auflegen, kündigt Busch an. Wirklich grundlegende Umbrüche sind zu erwarten, wenn E-Fahrzeuge den Massenmarkt erreichen. Darüber, wann das sein wird, streiten die Experten noch. So sagt der Wirtschafts-Informationsdienst Bloomberg in einer Studie voraus, dass Elektrofahrzeuge schon 2025 preislich mit den Verbrennern gleichziehen, während andere Experten erst 2030 damit rechnen. Setzt sich die E-Mobilität auf breiter Front durch, wären die Auswirkungen auf die Logistik und Speditions- und Logistikdienstleister allerdings spürbar. "Die Anzahl der transportierten Teile wird sich vermutlich verringern, weil im Bereich Antriebsstrang und Antrieb weniger Bauteile benötigt werden", erwartet Jürgen Braunstetter, Leiter Automotive Supply Chain Management bei Continental. Er spricht aber auch von neuen Chancen. "Bedingt durch den Anstieg der Transporte im Bereich Austausch-Batterien und Fertigfahrzeuge mit eingebauter Batterie, sehe ich einen steigenden Bedarf im Bereich Gefahrstofftransporte und deren Abwicklung." Mehr zum Thema im Dossier Automobillogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Experten-Tipps Sicher ist sicher: immer einen Plan B in der Schublade habenNoch sind die Renditen auskömmlich, doch die Zukunft in der Automobilbranche ist ungewiss. Was Speditions- und Logistikbetriebe deshalb jetzt tun sollten, sagt Stephan Freichel, Professor für Distributionslogistik an der Fakultät für Fahrzeugsysteme und Produktion der TH Köln.Engen Kundenkontakt halten: So banal es klingen mag: Seien Sie als Dienstleister möglichst nah am Kunden, suchen Sie mit den Entscheidern den Dialog. Das betrifft das Thema Volumen, aber auch Sendungsstrukturen, Güterarten und neue Services - Stichworte sind da E-Mobilität und digitale Vernetzung. Vorsicht bei Anzeichen, dass Forecasts der OEM abgemeldet werden und damit Mengen absehbar wegbrechen.Verträge prüfen und Konditionen anpassen: Überprüfen Sie Ihre Verträge! Kritisch sind All-in-und Full-flex-Verträge. In sonnigen Zeiten unterschrieben, droht bei "Wetteränderung" die Katastrophe, wenn Risiken aus Mitarbeiterübernahmen, Haftungsklauseln und fehlende Untergrenzen voll durchschlagen. Wenn Mengen wegbrechen, droht für den Logistikdienstleister Unterdeckung, weil bestimmte Fixkosten (Personal, Lkw und Lagerhallen) weiterlaufen - schlimmstenfalls sogar die Insolvenz. Vereinbaren Sie daher dringend mit Ihren Auftraggebern Mengen-Untergrenzen. Auch diese scheuen sich nicht bei laufenden Verträgen Nachverhandlungen zu starten. Überprüfen Sie die "Treiber" Ihrer Verträge: Laufen Touren zum Beispiel schleichend unterausgelastet, muss in der Preisstruktur und -höhe nachgesteuert werden.Flexibel und agil bleiben: Eigene Kapazitäten vorhalten zu können, kann noch immer ein Wettbewerbsvorteil sein. Vermeiden Sie in volatilen Zeiten trotzdem spekulative Investitionen, die sich erst nach zehn Jahren rechnen. Entscheiden Sie sich dann lieber für die Miet-/Leasing- und nicht die Kauf-Variante. Denn etliche Player im Automotive-Geschäft stehen zunehmend unter Druck und plötzliche Werkschließungen, Zusammenlegungen können rasch zu Leerstand führen. Achtung auch vor kaltem Outsourcing und Mitarbeiterübernahmen mit anschließender Insolvenzgefahr des Kunden.Sich für die Krise rüsten: Das Wichtigste ist, in der Krise schnell handeln und notfalls hart durchgreifen zu können. Dulden Sie keine Außenstände, betreiben Sie straffes Forderungsmanagement. Haben Sie Ihre relevanten Verträge parat. Sondieren Sie jetzt schon die Rechtsanwälte und Berater, die Ihnen helfen, wenn es eng werden sollte. Fangen Sie jetzt schon an, systematisch und regelmäßig Krisenszenarien mit Ihrem engsten Team zu durchdenken. Haben Sie Ihren Plan B in der Schublade. eh

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