Die Aussichten für Transport und Logistik

Das Wetter in diesem Sommer: Viel wurde bislang darüber geschimpft. So eine richtig lange Phase mit Sonne pur, auf die hat man vergeblich gewartet. Obwohl, zumindest im Norden der Republik war der Start in den Sommer viel verheißungsvoller als im verregneten Süden. Zweiteilung nennt man das. Der Begriff Zweiteilung trifft auch zu, wenn man die Konjunktur in Deutschland mit der Lage im Speditions- und Transportgewerbe vergleicht. Die Logistikdienstleister haben offenbar mit einigen Wolken zu kämpfen. Ihre Einschätzungen zur aktuellen wirtschaftlichen Lage und ihre Erwartungen fallen jedenfalls nicht so gut aus wie im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt (siehe Kästen auf den folgenden Seiten). Für die gesamte deutsche Wirtschaft sieht es hingegen freundlicher aus: Die Prognosen der Forschungsinstitute für die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Deutschland liegen für 2016 in einem Korridor zwischen 1,5 und 1,9 Prozent. "Der robuste Aufschwung, in dem sich die deutsche Wirtschaft seit dem Jahr 2014 befindet, wird sich fortsetzen", schreibt beispielsweise das Ifo-Institut zur Konjunkturprognose 2016/2017. Es ist allerdings ein anderer Aufschwung als in den Jahren zuvor. "Wir befinden uns in einer Wachstumsphase, die wir über einen so langen Zeitraum noch nicht gehabt haben", sagt Professor Timo Wollmershäuser. Der Leiter des Ifo-Zentrums für Konjunkturforschung und Befragungen verantwortet den Ifo-Index, Deutschlands bekanntesten und wichtigsten Konjunkturindikator. Wollmershäuser spricht von einer Trendentwicklung "ohne große Ausschläge, weder eine Überhitzung noch eine Schwächephase". Für dieses Jahr rechnet sein Institut mit einem Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent, 2017 sollen es dann 1,5 Prozent mehr werden. Neben dieser konstanten Entwicklung stellt er noch einen anderen Unterschied zu den Jahren vor 2010 fest. "Was uns fehlt, ist die Industrie als treibende Kraft", sagt der Konjunkturexperte. Die Folge ist eine sehr moderate Zunahme der Unternehmensinvestitionen. Der Grund für die Zurückhaltung der Unternehmen: "Das Geschäftsmodell der deutschen Industrie, die Exportorientierung, funktioniert nicht mehr." Das wiederum liege daran, dass weltweit viele Staaten eine Schwächeperiode durchleben. Damit würden wichtige Impulse fehlen. Ausgeglichen wird dieses Manko von zwei Entwicklungen, die ebenfalls eine Besonderheit des neuen Trendwachstums sind. "Die starke Nachfrage der Konsumenten und die Bauwirtschaft sind zwei neue Treiber der Konjunktur." Derzeit kann er keine Anzeichen dafür erkennen, dass diese beiden Treiber an Dynamik verlieren. "Die niedrigen Zinsen fördern die Bauaktivitäten und die hohe Zahl der Erwerbstätigen und die niedrigen Energiekosten sorgen dafür, dass die Konsumnachfrage weiter wächst", sagt der Wissenschaftler. Doch könnten die Terroranschläge und der Putschversuch in der Türkei einen Strich durch die Rechnung machen? "Nein", erwidert der Konjunkturexperte, "der Terror ist ja leider nicht neu. Bislang konnten wir nicht feststellen, dass die Anschläge sich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung ausgewirkt haben." Und auch in dem Militärputsch in der Türkei sieht er keine Gefahr: "Dazu sind die wirtschaftlichen Verflechtungen längst nicht so stark ausgeprägt wie beispielsweise mit Großbritannien." Weshalb er im Brexit auch ein größeres Risiko für die Konjunktur sieht. Zwar will er zu den langfristigen Folgen nichts Konkretes sagen, da es abzuwarten gelte, welche Vereinbarungen Großbritannien und die EU treffen. "Aber eine Rückabwicklung der Integration wird Wachstum kosten, das ist sicher." Und der Brexit sei jetzt schon spürbar. "Es herrscht ein hohes Maß an Unsicherheit in der Wirtschaft. Die kostet kurzfristig Wachstum, vor allem in Großbritannien, weil die Unternehmen zunächst mal Investitionen zurückstellen werden", befürchtet der Wissenschaftler. Auch Deutschland kommt nicht ungeschoren davon. Derzeit wird im Ifo-Institut zwar noch gerechnet. "Aber ich kann mir schon vorstellen, dass uns die Unsicherheit ein Zehntel des Wachstums in diesem Jahr und 2017 kosten wird", sagt Wollmershäuser. Also "nur" noch 1,7 und 1,4 Prozent Wachstum beim BIP. Die Beobachtung, dass die Stimmung im Transport- und Logistikgewerbe derzeit schlechter ist als in der Gesamtwirtschaft, stellt auch Hans-Paul Kienzler, Bereichsleiter Mobilität & Transport bei der Prognos AG, fest. Er beruft sich auf das TransportmarktBaromter, bei dem Prognos und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) jedes Quartal die Einschätzung von 250 Unternehmen der Verladerschaft und Transportwirtschaft zu der Entwicklung der Mengen und Preise für die kommenden sechs Monate einholen. Branchenbarometer bricht ein "Bei der Befragung im ersten Quartal 2016 gab es einen deutlichen Einbruch, der dazu führte, dass die Erwartungen in allen Märkten massiv nach unten gingen", sagte Kienzler. Prognos und ZEW fragen die Entwicklung in allen Verkehrsträgern aufgesplittet nach verschiedenen Regionen ab. Im zweiten Quartal ging es zwar leicht bergauf, "aber die Lage ist immer noch stark von Unsicherheit geprägt", sagt er. Aber er will auch nicht den Teufel an die Wand malen: "Insgesamt ist die Situation nicht dramatisch. Wir befinden uns jedoch gerade in einem Tal und es sieht angesichts der Ereignisse wie dem Putsch in der Türkei derzeit nicht danach aus, dass sich die Lage bessert". Auch Reinhard Lankes, im Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) zuständig für Marktbeobachtung und Statistik, stellt einen gewissen Stillstand bei den Einschätzungen der Unternehmen fest. "Derzeit beobachten wir Monat für Monat ein ständiges Auf und Ab, das sich gegenseitig neutralisiert", sagt Lankes. Er sieht auch keinen Verkehrsträger, der sich in irgendeiner Form abhebt. "Die Gefahr, dass steigende Rohstoffpreise und damit auch steigende Treibstoffkosten die wirtschaftliche Entwicklung in der Speditionsbranche einbremsen, sieht er nicht. "Aktuell sind beispielsweise die Dieselpreise immer noch zehn Prozent unter dem Vorjahreswert", sagt Lankes. Wobei er davon ausgeht, dass langfristig Diesel wieder teurer wird. Inländische Fuhrbetriebe gehen leer aus Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), Karlheinz Schmidt, nennt einen weiteren Grund, warum trotz Wirtschaftswachstum die Stimmung unter den einheimischen Unternehmen des Straßengüterverkehrs derzeit nicht so gut ist. "Das Wachstum geht an ihnen vorbei. Von der steigenden Nachfrage profitieren vor allem die Ausländer", lautet seine Erklärung. Als Beleg führt er die Mautstatistik an. Hier hat sich die Fahrleistung der ausländischen Mautfahrzeuge im ersten Halbjahr 2016 um 12,4 Prozent erhöht. Zwar liegen die deutschen Mautfahrzeuge mit einem Wachstum von 11,2 Prozent fast gleichauf. Aber das führt Schmidt auf die Absenkung der Gewichtsgrenze für mautpflichtige Fahrzeuge von 12 auf 7,5 Tonnen zum 1. Oktober 2015 zurück und insbesondere auf die Ausweitung der Lkw-Maut auf mehr als 1100 Kilometer Bundesstraßen. Diese Neuerungen gelten zwar für alle. "Aber auf den Bundesstraßen sind kaum Ausländer unterwegs", sagt Schmidt, weshalb diese Mautausweitung seiner Ansicht nach nahezu ausschließlich von Inländern getragen werde und damit für den Anstieg der Fahrleistung bei den Inländern verantwortlich sei. Schmidt warnt davor, die Folgen des Putsches in der Türkei zu unterschätzen. Der Handel könnte ähnlich wie im Falle von Russland einbrechen, wenn Sanktionen beschlossen würden: "Zwar sind unsere Unternehmen nicht so stark im bilateralen Verkehr vertreten, aber man sollte nicht die Verteilerverkehre unterschätzen, die häufig von deutschen Fuhrunternehmen übernommen werden." Schmidt geht davon aus, dass das laufende Jahr für die Unternehmen im Straßengüterverkehr nicht schlechter wird als 2015. "Aber die Preise stehen weiter unter Druck", gibt er zu bedenken. Mit einer Zunahme der Insolvenzen rechnet er zwar nicht. Aber er befürchtet, dass langfristig Lkw stehen bleiben könnten, weil es an Fahrern fehlt und die Betriebe nicht genügend Geld haben, um mögliche Interessenten über höhere Löhne für den Job zu begeistern. Ifo-Experte Wollmershäuser nennt einen weiteren Grund dafür, warum sich die positive Grundstimmung in der Wirtschaft nicht im gleichen Ausmaß im Speditionsgewerbe widerspiegelt. "Ein wichtiger Treiber des derzeitigen Wachstums ist das Dienstleistungsgewerbe. Hier wird jedoch weniger transportiert als in der Industrie." Schmidt ergänzt: "Selbst im Handel sind die Entfernungen in der Regel kürzer." Es gibt also gute Gründe, warum die Sonne nicht so sehr über dem Transport- und Logistikgewerbe lacht und daher die Säulen im VR-Wachstumsthermometer, die mit dem Transport zu tun haben, nicht die Höhe der Säulen für die gesamte Wirtschaft erreichen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Konjunktur www.verkehrsrundschau.de/dossiers Prognose der Bundesbank Wirtschaft wächst 2016 um 1,7 Prozent Die Bundesbank schätzt die aktuellen Perspektiven für die deutsche Wirtschaft als günstig ein. "Tragende Säule ist die lebhafte Binnennachfrage, die von der günstigen Arbeitsmarktlage und den steigenden Einkommen der privaten Haushalte gestützt wird", kommentierte Bundesbankpräsident Jens Weidmann die Prognose seines Hauses, erstellt Anfang Juni. Für 2016 rechnet die Bundesbank mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,7 Prozent, für das kommende Jahr prognostiziert sie ein Plus von 1,4 Prozent. Und 2018 soll das Wachstum auf 1,8 Prozent steigen, weil dann die Auslandsgeschäfte wieder stärker anziehen. Damit würde das BIP fünf Jahre in Folge mit deutlich mehr als über einem Prozent wachsen.Fazit VR-Wachstumsthermometer: Sicher, kein starkes Wachstum aber ein konstantes, weshalb unser Thermometer fast den Bereich "stark" erreicht hätte. Die Konstanz führt dazu, dass Politik und Unternehmen besser planen können - anders als noch vor wenigen Jahren, als es massive Ausschläge nach oben und unten gab und der Begriff "Volatilität" die Runde machte. cd Mittelfristprognose Bundesverkehrsministerium Güterverkehrswachstum flaut ab Die halbjährlich vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Prognose zur Entwicklung des Güterverkehrs in Deutschland ist das Standardwerk, wenn es darum geht, mit welchen Mengen und Transportleistungen in naher Zukunft in Deutschland zu rechnen ist.Die letzte Prognose aus dem Februar geht von einem Plus der Transportleistung für 2016 in Höhe von 1,9 Prozent aus. Ein Wachstum, das den Vorhersagen für die BIP-Entwicklung entspricht, aber sich noch eher am oberen Rand der Prognose befindet. Leicht überdurchschnittlich entwickelt sich der Straßengüterverkehr (+2,1 Prozent), während Schiene (+ 1,5 Prozent) und Binnenschifffahrt (+ 1,1 Prozent) darunter bleiben. Für 2017 und die folgenden drei Jahre wird nur noch eine Zunahme der Transportleistung in Höhe von 1,1 Prozent erwartet.Fazit VR-Wachstumsthermometer: 2016 scheint noch ein ganz gutes Jahr zu werden, doch danach sinken die Wachstumsraten. Die Zeiten, in denen in Deutschland der Güterverkehr stärker wuchs als das BIP, die sind offenbar vorbei. cd

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