Deutschland in Zugzwang

Es war vielleicht kein Zufall, dass die EU-Kommission just an dem Tag ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den deutschen Mindestlohn einleitete, an dem sie ihren Feldzug gegen die Bürokratie eröffnete. Die Unternehmen müssten sich mehr um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern und weniger Zeit damit verbringen, Formulare auszufüllen, sagt Kommissions-Vize-Präsident Frans Timmermans. Genau daran stört sich die Kommission beim deutschen Mindestlohngesetz. Grundsätzlich unterstützt sie das damit verfolgte Ziel, dem Sozialdumping auf den europäischen Straßen Einhalt zu gebieten. Verkehrskommissarin Violeta Bulc will die europäischen Sozialvorschriften stärken: "Wir müssen für Arbeitsbedingungen sorgen, die Fairness und Gleichbehandlung garantieren." Dass der Mindestlohn dazu beitragen kann, erkennt Brüssel an. Gleichzeitig ist die Kommissarin davon überzeugt, dass die Bundesregierung mit dem Mindestlohngesetz (MiLoG) weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Dabei geht es um den Anwendungsbereich und die, vorsichtig formuliert, robuste Durchsetzung der Mindestlohnvorschriften. Für vollkommen überzogen hält die Kommission, dass ausländische Unternehmen praktisch für jede Stunde, die ein Fahrer auf einer deutschen Straße verbringt, den deutschen Mindestlohn bezahlen müssen. In Berlin hat man das auch schnell eingesehen und verzichtet auf die Durchsetzung des MiLoG im Transitverkehr. Der Kommission reicht das allerdings noch nicht. Sie verlangt, dass auch bestimmte "internationale Transporte" nicht unter das neue Gesetz fallen. Für unverhältnismäßig hält die Kommission auch die Dokumentationspflichten für Transportunternehmen. Zu detailliert und umfangreich müssten sie nachweisen, wann ein Fahrzeug welche deutschen Straßen benutzt habe. Der bürokratische Aufwand sei mit einem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr unvereinbar. Das gelte auch für die angedrohten Bußgelder: bis zu 30.000 Euro bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflichten und bis zu 500.000 Euro, wenn eine Firma weniger zahlt als 8,50 Euro die Stunde. Gütertransporte auf den deutschen Straßen, klagt der Branchenverband IRU, würden damit zu einem unkalkulierbaren Risiko - zumal die deutschen Vorschriften an vielen Stellen so unklar formuliert seien, dass es zu Missverständnissen kommen müsse. BGL warnt vor "Kuhhandel" Das deutsche Verkehrsgewerbe besteht dagegen auf der Beseitigung des Lohngefälles zur Konkurrenz aus Osteuropa. Hier gehe es um "mehr als ein bisschen Dienstleistungsfreiheit", sagt BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt. Das Geschäft mit grenzüberschreitenden Transporten werde inzwischen "nur noch von Lohn- und Sozialkostenvorteilen" bestimmt. Schmidt warnt die Bundesregierung vor einem "Kuhhandel" mit der EU, "der alles so belässt, wie es seit Langem ist." Nach einem Kompromiss sieht es jedoch aus. Die Bundesregierung hat zwei Monate Zeit, um der Kommission ein akzeptables Angebot zu machen. In Berlin gebe es dafür das notwendige "Unrechtsbewusstsein", sagt der CSU-Europaabgeordente Markus Ferber. Schließlich lasse die Arbeitsministerin das MiLoG im Transitverkehr schon seit Februar nicht mehr anwenden. Das müsste dauerhaft so bleiben, wenn die EU auf eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof verzichten soll. Auch ein Teil der internationalen Transporte dürfte am Ende nicht mehr unter das MiLoG fallen. Ein Kompromiss müsste außerdem die Berichtspflichten erleichtern und die Bußgelder berechenbarer machen. Daran sind nicht nur die ausländischen Unternehmen interessiert. Auch die deutschen Speditionsfirmen halten das bürokratische Beiwerk des MiLoG, insbesondere die damit verbundene Haftung der Spediteure für Verstöße ihrer Auftragnehmer, für existenzgefährdend. Das MiLoG, sagt DSLV-Geschäftsführer Frank Huster, "verkennt die Realitäten des internationalen Logistikgeschäftes". EU-Vorschlag Möglicher Kompromiss Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur signalisiert Brüssel Kompromissbereitschaft. Die EU-Kommission habe der Bundesregierung einen Vorschlag gemacht: Ausländische Spediteure, bei denen nur ein geringer Teil ihrer jährlichen Fahrtstrecke auf Reisen durch Deutschland entfällt, müssten den deutschen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde nicht zahlen, berichtet die Agentur unter Berufung auf EU-Kommissionskreise. dpa/ks

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