Der Turnaround zum eigenen Lkw

Früher, also vielleicht noch vor einem Jahr, hätten sich die Anbieter von Lkw-Fuhrparks die Hände gerieben und zumindest im Stillen darüber gefreut, was der Bahn in diesem Sommer in Rastatt widerfahren ist: Da muss eine der wichtigsten Strecken für den Schienengüterverkehr in Europa für mehrere Wochen gesperrt werden. Als naheliegende Alternative wird nach dem Lkw gerufen, da flexibel und allzeit verfügbar. Was früher womöglich nahezu geräuschlos geklappt hätte, gestaltet sich im Sommer 2017 weitaus schwieriger. "Das war für die betroffenen Transportunternehmen eine enorme Zusatzbelastung", sagt Christoph Kösters, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Verkehrswirtschaft Logistik NRW. Denn Lkw-Frachtraum war schon ohne dem Rastatt-Chaos Mangelware, und zwar in der gesamten Branche. Egal wen man fragt, ob Verlader oder Dienstleister, ob Spediteur oder Transporteur, ob Handel oder Industrie: Jeder bestätigt, dass derzeit immer wieder Ladungen stehen bleiben. Die ersten Reaktionen aus dem Markt bleiben nicht aus. "Die letzten Wochen in diesem Jahr werden aufgrund der momentanen Laderaumproblematik und angesichts der Weihnachtsfeiertage eine Herausforderung", schwant einem leitenden Logistiker eines Handelsunternehmens, der seinen Namen nicht in der Öffentlichkeit sehen will, Böses. Schon heute würden Lieferanten, fallweise auch Spediteure, bei ihm anrufen, weil sie ihre Waren mangels Frachtraum nicht abfahren können. Die Situation sei kritisch. Immer häufiger versuchen Verlader und Spediteure, sich frühzeitig Laderaum zu sichern. "Kapazitätssicherung war aber gerade bei sensiblen Transporten schon immer ein Thema. Mit der anziehenden Konjunktur rückt dieses Ziel allerdings noch stärker in den Mittelpunkt", will Christian Labrot, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), die derzeitige Lage nicht beschönigen, aber auch nicht dramatisieren. "Die Ausschreibungsfrequenz ist geringer geworden", beobachtet Bernd Müller-Dauppert eine weitere Entwicklung im Zusammenhang mit den knappen Kapazitäten. "Ziel einer Ausschreibung ist ja immer auch, einen besseren Preis zu erzielen", fährt das Mitglied der Geschäftsleitung von Miebach und dort für das Marktsegment Industrie und High Tech verantwortlich, fort. Die Unternehmen würden immer nach dem Zeitpunkt für eine Ausschreibung suchen, an dem die Chancen auf geringe Frachtraten hoch sind. "Momentan sind Kapazitäten ausgelastet, die Gefahr teurer Frachtraten eher hoch, weshalb Ausschreibungen unterbleiben", sagt der Mitautor der Studie "Outsourcing im internationalen Vergleich" (siehe Kasten Seite 18). Wer den Fahrer hat, der hat die Fracht Eine andere Reaktion auf die Knappheit: Immer häufiger ist der Spruch zu hören "wer den Fahrer hat, der hat die Fracht". Daher ist die Frage, ob die Akteure im Markt sich zunehmend mit dem Gedanken befassen, eigene Fahrer und damit eigene Kapazitäten aufzubauen. Bei dem Handelslogistiker, der ungenannt bleiben will, ist die Renaissance des eigenen Fuhrparks ein Thema: "Das Ganze wird darauf hinauslaufen, dass wir beschaffungsseitig vermehrt die Transporte in Eigenregie fahren und auch über eigene Fahrzeuge nachdenken", kündigt er an. "Unser Eindruck ist: Viele Unternehmen der Transportbranche sind aktuell einfach überfordert", begründet er die Überlegungen seines Hauses: "Da kommt beschaffungsseitig im Moment vieles nicht pünktlich und die Zuverlässigkeit in der Supply Chain ist nicht gegeben." Was ihn besonders ärgert, ist die Tatsache, dass die Transportbranche erst jetzt merkt, dass sie keine Fahrer hat. "So eine Entwicklung kommt nicht von heute auf morgen." Anstatt sich aber jetzt mit den Verladern und Lieferanten gemeinsam an den Tisch zu setzen, um das Problem konzeptionell zu lösen, würden die Transporteure nur mehr Geld verlangen. Dabei gebe es viele Hebel, an denen sich im gemeinsamen Zusammenspiel ansetzen ließe, glaubt der Handelslogistiker. Deshalb werde er nun als Handelslogistiker diese Gespräche und Kollaborationsansätze organisieren. Sein Resümee: "Unser Unternehmen muss sich selbst helfen, Geld in die Hand nehmen und die Transporte vermehrt auch in der Beschaffung selbst organisieren." Aussagen, die nicht jeder so gelten lassen will. "Wir haben keinen Fahrermangel, weil wir uns mit dem Thema seit 2010 beschäftigen und damals bereits eine Unternehmensberatung gegründet haben, die auch die Ausbildung von Berufskraftfahrern übernimmt", sagt Willi Kellershohn, Inhaber der Spedition Kellershohn. Auch er vertritt die Ansicht, man könne nicht immer nur über den Mangel an Fahrern klagen, sondern müsse auch vor der eigenen Haustür kehren. Allerdings weist er im Zusammenspiel mit Kunden darauf hin, dass eine vernünftige und nicht zuletzt pünktliche Zahlung auch deshalb wichtig ist, um ein qualitativ gutes Personal garantieren zu können. Trotz der großen Nachfrage, trotz verfügbarer Fahrer: Mehr Lkw als seine bislang zwölf will er sich für seinen Fuhrpark nicht zulegen. "Das ist für mich genau die richtige Größe: klein, aber fein und mein", sagt Kellershohn. Ganz anders sind die Rahmenbedingungen für Bastian Niggemeier. Niggemeier ist Prokurist bei der Wesling Handel & Logistik und dort unter anderem für den Fuhrpark verantwortlich. Über 250 ziehende Einheiten verfügt das Unternehmen, das verschiedene Baustoffe befördert, aber auch Abfälle und Futtermittel. Etwa 40 bis 50 Prozent der Mengen sind Aufträge aus dem eigenen Unternehmen, der Rest kommt aus dem Markt. Auch Niggemeier beobachtet einen Mangel an Frachtraum. "Es fehlt an Kraftfahrern. Aber da ist die Branche selber schuld", sagt er. Die Attraktivität des Berufes sei "begrenzt", was er auf die finanzielle Entlohnung zurückführt. "Bei uns verdient ein Fahrer gut und wir bieten Nebenleistungen wie Altersvorsorge. Denn unser Ziel ist, dass der Fahrer von der Ausbildung bis zur Rente bei uns bleibt", sagt er. Noch geht daher der Kelch des Fahrermangels an Wesling Handel & Logistik vorbei. Auch Dienstleister findet das Unternehmen, "weil wir alles tun, um eine hohe Auslastung der Fahrzeuge zu erzielen", so Niggemeier. Nur von Großverladern, da lässt das Unternehmen derzeit zumindest etwas die Finger. "Wir gehen bewusster mit den Ausschreibungen um und lassen uns nicht dazu drängen, Frachtraten zu senken beziehungsweise lassen uns nicht von großen Mengen locken", sagt Niggemeier. Stattdessen sei eher der Mittelstand im Fokus, mit dem man auf Augenhöhe agieren könne. Auch unter den Speditionen führt die Knappheit an Frachtraum zum Sinneswandel. So schlagen selbst große Player, die jahrelang auf eigene Lkw weitgehend verzichtet haben, offenbar eine Trendwende in der Fuhrparkpolitik ein. "Sogar Schenker deckt sich wieder mit eigenen Lkw ein, um die zeitkritischen Transporte vermehrt selbst zu machen", formuliert es Fritz Tschirschwitz, Geschäftsführer der Spedition Tschirschwitz in Nürnberg. Der Unternehmer gegenüber der Verkehrs-Rundschau: "Auch wir haben eine Anfrage von Schenker vorliegen, ob wir für drei, vier Jahre Fahrzeuge und qualifizierte Fahrer stellen können." Ob Schenker Fuhrpark-Investitionen in größerem Umfang oder doch nur eine längerfristige Sicherung von Fremdkapazitäten plant, dazu äußert sich Schenker Deutschland "aus terminlichen Gründen" derzeit nicht. Dementi von Dachser Auch Dachser, so war aus dem Markt zu hören, überdenkt derzeit seine momentane Fuhrparkpolitik, nach der bislang nahezu ausschließlich Lkw-Verkehre an Transportdienstleister vergeben werden. Doch aus Kempten kommt dazu ein Dementi: "Es gibt bei Dachser in Deutschland keinen gezielten Aufbau eines Eigenfuhrparks im Bereich Nutzfahrzeuge. Die Anzahl der eigenen Lkw-Fahrzeugeinheiten, die auf verschiedenste deutsche Standorte zugelassen sind, bewegt sich seit Jahren auf konstantem Niveau", betont Andreas Froschmayer, bei Dachser unter anderem für die Strategie zuständig. Froschmayer stellt klar: "Dachser ist und bleibt seinem Geschäftsmodell und der vertrauensvollen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit seinen Unternehmern also treu." Im Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) kann man derzeit nicht erkennen, dass die Mitgliedsbetriebe verstärkt eigene Fuhrparks aufbauen, um sich so den Zugriff auf Lkw-Kapazitäten zu sichern. "Weder investieren unsere Unternehmen derzeit mehr in neue Fahrzeuge und Mitarbeiter", sagt DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster, "noch ist für unsere Mitglieder der Aufkauf von Speditionen mit Fuhrpark eine Alternative." Als Antwort gibt es ein Schulterzucken Aber Huster bestätigt, dass Lkw trotz hoher Nachfrage nicht bewegt werden, weil es an Fahrern mangelt. "Das ist eine gefährliche Lage. Aber es gibt dazu gerade keine Lösung", so der Verbandsexperte. In vielen Unternehmen gäbe es nur ein "Schulterzucken", wenn es darum geht, wie man das Problem lösen kann. "Und es ist doch ein Nullsummenspiel, wenn man Fahrer abwirbt oder eine Spedition kauft. Deshalb erhöht sich doch nicht das Angebot im Markt, dann bleibt nur an anderer Stelle die Ladung stehen", gibt Huster zu bedenken. Den Vorwurf, dass der Werkverkehr seine Fahrer besser bezahlt als die Transportdienstleister, will er so nicht stehen lassen. "Da hat doch bereits vor Jahren eine Angleichung stattgefunden", sagt er. BWVL-Hauptgeschäftsführer Labrot vertritt mit seinem Verband vor allem die Unternehmen aus Industrie und Handel. Er kann nicht erkennen, dass dort der eigene Fuhrpark an Bedeutung gewinnt. Denn: "Der Fuhrpark hat bei ihnen schon in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt." Zwar hätten sich in den letzten Jahren die Angebote der Dienstleister deutlich verbessert und es sei tatsächlich zu Ausgliederungen gekommen. "Aber viele Industrie- und Handelsunternehmen haben ihren Fuhrpark nur in ein Unternehmen ausgegliedert, um danach als Spedition aktiv zu sein und somit eine bessere Auslastung zu erzielen", sagt Labrot. Wenn also in der Statistik die Zahl der Werkverkehrsunternehmen mit eigenem Fuhrpark gesunken sei, müsse man diese Angaben entsprechend relativieren, da es viele Werkverkehrsunternehmen mit angegliederter Spedition gäbe. Aber Labrot macht unter seinen Mitgliedsfirmen auch die Beobachtung, dass der Fuhrpark zumindest nicht weiter abgebaut, sondern tendenziell eher aufgestockt werde: "Diese Frage stellt sich für Werkverkehrsbetriebe wie für Speditionen gleichermaßen: Welche Kapazitäten muss ich mir sichern, um unabhängig zu sein oder zumindest mein Grundbedürfnis an Transporten jederzeit befriedigen zu können?" Als bekanntes Beispiel nennt er Amazon: "Die versuchen auch ihre Logistik weitestgehend mit eigenem Fuhrpark zu machen, um jederzeit die Auslieferung gewährleisten zu können." Zunehmend würden die Unternehmen auch im nationalen Verkehr auf Anbieter aus dem Ausland zurückgreifen, weil deutsche Frachtführer nicht mehr entsprechende Kapazitäten bereitstellen könnten. Letztlich sei für viele Werkverkehrsunternehmen und Speditionen nicht die Frage: eigener Fuhrpark ja oder nein. Sondern die Frage sei, wie viel sie mit eigenen Fahrzeugen bestreiten und welchen Prozentsatz sie fremd vergeben. "Da habe ich das Gefühl, dass der Prozentsatz der Eigentransporte derzeit zunimmt." Wobei er Wert darauf legt, dass die Kapazitätssicherung nicht der alleinige Treiber ist: "Die Digitalisierung versetzt die verladende Wirtschaft in die Lage, mit einem eigenen IT-System und geringem Aufwand die Prozesskette zu steuern. Da lassen sich dann eigene Einheiten besser integrieren als wenn eine Handvoll Dienstleister koordiniert werden muss." Labrot kann nicht erkennen, dass bestimmte Branchen von diesem Trend stärker betroffen sind als andere: "Überall dort ist eine solche Tendenz zu beobachten, wo es auf eine hohe Lieferbereitschaft ankommt: Das kann in der Autoindustrie genauso sein wie in der Frischelogistik oder an einer Baustelle." Als weiteres Indiz für das Insourcing von Logistikleistungen bei Industrie und Handel sieht Labrot die steigende Zahl an Auszubildenden in diesem Segment: "Früher haben die Verlader mit einem hohen Gehalt die Fahrer der Dienstleister abgeworben. Heute bilden unsere Unternehmer selber aus, und zwar nicht nur Fahrer, sondern mittlerweile in nahezu allen Logistikberufen." Die Schattenseite des Wachstums Kösters befürchtet, dass der bereits jetzt zu beobachtende Frachtraummangel erst der Anfang ist - sofern zumindest die Wirtschaft weiterhin so wächst wie bislang. Und davon gehen die Wirtschaftsinstitute aus. "Hinzu kommt der Demografieeffekt - immer mehr Fahrer gehen in Rente - und gleichzeitig studieren immer mehr junge Menschen und verringert sich das Potenzial der Berufsanfänger, die für den Berufskraftfahrer zur Verfügung stehen", sagt Kösters. Eine mögliche Folge: "Der Frachtraummangel könnte ein begrenzender Faktor für wirtschaftliches Wachstum werden", so die Einschätzung des Volkswirtes. Wie lässt sich dann das Problem lösen? Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen sieht Kösters die einzige Lösung in der Ausbildung von Fahrern. Deshalb begrüßt er auch Ausbildungsinitiativen wie die von Rewe. Mit Werbeanzeigen unter anderem im Internet sucht der Handelskonzern Nachwuchs für Berufskraftfahrer und für Logistikberufe. "Zwar fehlen dann den Dienstleistern potenzielle Kandidaten. Dafür wird das Image der Branche positiv dargestellt", sagt Kösters. Mehr zum Thema im Dossier Markt für Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers In- oder Outsourcing des Fuhrparks "Unternehmen mit eigenem Fuhrpark sind derzeit glücklich" Bernd Müller-Dauppert kennt sich im Logistik-Markt aus. Er ist Mitautor der Studie "Outsourcing im internationalen Vergleich". Seit mittlerweile 20 Jahren fertigt das Beratungsunternehmen in regelmäßigen Abständen Untersuchungen zum Outsourcing in der Logistik an."Derzeit ist ein Outsourcing des Fuhrparks in der Industrie kein Thema", sagt der Experte. Im Gegenteil, Lkw, die ursprünglich abgegeben werden sollten, versuche man "am Leben zu halten": "Die Unternehmen mit eigenem Fuhrpark sind derzeit glücklich, weil es schwierig ist, am Markt Kapazitäten zu finden", so seine Einschätzung. Allerdings glaubt er nicht, dass es in der Industrie zu einem großen Insourcing-Trend kommen wird."Hier besteht das Problem der Rückfracht, das die Dienstleister viel besser lösen können", sagt er. Stattdessen würden die Verlader mehr Wert auf ein partnerschaftliches Miteinander legen. Zudem beobachtet er, dass viele Verlader gegenwärtig auf Ausschreibungen verzichten würden, weil sie derzeit eher mit Preissteigerungen rechnen müssen und daher die Finger davon lassen.Im Handel hingegen kann sich der Berater schon eher ein Insourcing vorstellen:"Vor allem, wenn man die Lagerprozesse enger mit der Transportlogistik abstimmen will, kann das ein Argument dafür sein, auf eigene Lkw zurückzugreifen", so Müller-Dauppert. cd Kommentar Augen zu und durch: Das wird schiefgehen Sendungen, die nicht abgefahren werden können, weil es an Frachtraum fehlt: Wann hat es das zuletzt gegeben? Hat es das überhaupt schon mal gegeben?Dabei ist das, was derzeit im Transportgewerbe zu beobachten ist, worunter Verlader, Speditionen, aber auch die Transporteure leiden, erst die Spitze des Eisbergs. Unter dem Wasser befindet sich ein riesiges Demografieproblem: die vielen älteren Fahrer, die in den kommenden Jahren in Rente gehen, und die viel zu wenigen Nachwuchskräfte, die diese Lücke nicht annähernd schließen können. Alle Akteure im Transportgewerbe kennen das Problem, sie handeln aus unterschiedlichen Gründen nicht oder ungenügend. Hier ist eine gemeinsame Aktion von Wirtschaft, Spedition und Transportunternehmen dringend erforderlich. Ansonsten wird vor allem die Wirtschaft leiden, wenn sie ihren Kunden die Produkte nicht (pünktlich) liefern kann. Deshalb muss dringend ein gemeinsames Bündnis zur Bekämpfung des Frachtraummangels her. Ansonsten ist zu befürchten, dass an Deck des Schiffs Deutschland Lobeshymnen auf die florierende Konjunktur gespielt werden, aber verdrängt wird, dass das Schiff auf einen riesigen Eisberg zusteuert.michael.cordes@springernature.com

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