Der Trend zu kleineren Sendungsgrößen

Die deutsche Stahlindustrie kommt nicht zur Ruhe. Auf der einen Seite zeigen die protektionistischen Maßnahmen der Europäischen Union (EU) gegen billige Stahlimporte aus China und Russland Wirkung. Zum anderen wächst die Angst vor eben solchen Maßnahmen durch die USA. "Ein zentrales Risiko sehen wir darin, dass sich protektionistische Tendenzen auf den globalen Stahlmärkten noch weiter ausbreiten", sagte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, bei der Vorstellung des Branchenausblicks Anfang des Jahres. Die Vereinigten Staaten sind mit 31 Millionen Tonnen pro Jahr immerhin der mit Abstand größte Stahlimporteur der Welt. Allerdings gilt der US-Stahlmarkt ohnehin schon als der weltweit am besten geschützte Markt. Mehr Sorgen bereiten da die Entwicklungen innerhalb der EU. 80 Prozent der Stahlgeschäfte wickelt Deutschland mit anderen EU-Ländern ab. Einer der größten Handelspartner ist das Vereinigte Königreich. So transportierte etwa die Sterac Transport & Logistik aus Braak in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr 133.800 Tonnen Industriegüter von und nach Großbritannien. Mit etwa 30 Prozent des Gesamtumsatzes ist Großbritannien einer der wichtigsten Märkte für die Sterac. Neben Metall liefert man unter anderem Rohstoffe für die Chemie- und Papierindustrie auf die Insel. Trotz des Votums der Briten für einen Austritt aus der EU erwartet die Sterac noch keine nennenswerten Auswirkungen auf die Frachtmengen. "Wir gehen davon aus, dass der Trend zu immer kleineren Sendungsgrößen weiterhin anhält und wir 2017 noch mehr Expresslieferungen für unsere Kunden abwickeln", erklärt Philipp Sanftleben, der bei Sterac für Großbritannien und Irland zuständig ist. Der bevorstehende Brexit ist nicht die einzige Sorge. "Globale Überkapazitäten, Dumpingstahl aus China und anderen Ländern und die industriefeindliche Politik beim europäischen Emissionsrechtehandel bedrohen weiterhin die Substanz unserer Stahlindustrie", so Kerkhoff weiter. Dabei hat die Branche eigentlich keinen Grund zum Klagen. Die Auftragseingänge der Industrie sind in den vergangenen Monaten gestiegen. Den stahlverarbeitenden Branchen in Deutschland geht es gut. Die Automobilindustrie, der Maschinenbau und die boomende Baubranche haben einen Anteil von fast 70 Prozent am Stahlbedarf in Deutschland. Bescheidenes Wachstum in 2017 Der Stahlverband schätzt, dass die Rohstahlproduktion im laufenden Jahr leicht um ein Prozent auf 42,7 Millionen Tonnen zulegen wird. Auch europaweit ist von einem Einbruch keine Rede. Der europäische Stahlverband Eurofer geht davon aus, dass die Stahlnachfrage in der EU auch 2017 und 2018 ihr bescheidenes Wachstum fortsetzen wird. Diese Tendenzen seien aber kein Grund für eine Entwarnung, warnt der Verband. Vielmehr sei der Konjunkturausblick mit einer ungewöhnlich großen Unsicherheit verbunden. Neben den rückläufigen Stahlexporten belaste auch der Emissionshandel in der EU die Stahlproduzenten. Durch den hohen Anteil des Imports haben sich die Verkehrsströme in den vergangenen Jahren bereits erheblich verlagert. "Der Import ist deutlich stärker geworden als der Export", beobachtet Dirk Michael Müller, Geschäftsführer des Duisburger Logistikunternehmens Rheinkraft International (RKI). Was vor einigen Jahren noch in die ARA-Häfen Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam geliefert wurde, holt man jetzt dort ab. Auch der Druck aus Osteuropa nehme zu. Damit wächst für die Stahltransporteure seit Jahren die Konkurrenz aus diesen Ländern. Vor allem bei internationalen Transporten seien osteuropäische Unternehmen stark vertreten. Das bedeutet vermehrten Kosten- und Preisdruck. "Ein Ende ist da nicht in Sicht", befürchtet Müller. Marcel Hergarten, Geschäftsführer der Hergarten Spedition aus Köln, sieht zudem in der Umweltpolitik der EU ein potenzielles Risiko. "Die immer zahlreicheren Auflagen in Deutschland sowie die steigenden Energiekosten könnten langfristig im schlimmsten Falle zu einem Abgang des produzierenden Stahlgewerbes führen", befürchtet er. Hinzu kommt ein Problem, das die Branche schon seit Jahren beschäftigt. Weltweit haben die Stahlproduzenten zu viele Kapazitäten für die nach wie vor schwache Nachfrage auf dem Weltmarkt aufgebaut. Allein China produziere jährlich etwa 330 Millionen Tonnen zu viel, erklärt der Stahlverband. Außer Acht lassen dürfen Transportdienstleister das Geschehen an den weltweiten Stahlmärkten nicht. Die Überkapazitäten führen dazu, dass immer mehr unrentable Produktionsstätten geschlossen werden. Außerdem wird die Konzentration in der Branche voranschreiten. "Seit Jahren verdienen wir unsere Kapitalkosten nicht", erklärte Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger auf der Hauptversammlung des Unternehmens Ende Januar in Essen. Die jeweiligen Sparprogramme würden den Unternehmen immer nur kurzfristig eine Atempause verschaffen. Seit Längerem schon versucht Thyssenkrupp einen Konkurrenten zu einem Zusammenschluss zu bewegen. "In einer solchen Situation spricht jeder mit jedem. Unter anderem sprechen wir mit Tata Steel", sagte Heisinger. Fusionen würden zwangsläufig auch die Transporteure treffen. Weniger Unternehmen bedeuten schließlich weniger Auftraggeber und weniger Fahrten. Müller sieht diese Tendenzen entspannt. "Es wird noch Jahre dauern, bis das spürbar wird", sagt der RKI-Chef. Dennoch machen sich Veränderungen in den Unternehmen bereits bemerkbar. "Wir müssen uns stärker mit dem Thema Teilladungen und Zusammenlegen von Ladungen beschäftigen", sagt Müller. Die Stahlfirmen würden die Lose immer weiter verkleinern, um Lagerkosten zu reduzieren. Trotz aller Widrigkeiten gibt man sich in der Transportbranche zuversichtlich. "Wir gehen davon aus, dass es ein leichtes Marktwachstum gibt", sagt Müller. Allerdings werden seiner Einschätzung nach der Preisdruck und die Schwankungen am Markt bestehen bleiben. Die Planbarkeit bleibe eine der großen Herausforderungen. Insbesondere im Stahlhandel und bei den Stahlserviceanbietern sieht er weiter ein leichtes Wachstum. Das bestätigt Jörg Feger, Bereichsleiter Research beim Bundesverband Deutscher Stahlhandel. Die Abnehmer von Stahl seien gut beschäftigt. Vor allem der Automobilindustrie gehe es immer noch sehr gut. Er sieht im laufenden Jahr keine großen Veränderungen anstehen, was die transportierten Mengen betrifft. "Für die Spediteure wird ein ordentliches Mengenaufkommen vorhanden sein", sagt Feger. Stahlhandel ist ein lokales Geschäft Vor allem im Handel könnten die protektionistischen Tendenzen zwar das Angebot verringern, Sorgen bereitet ihm das allerdings nicht. "Der Stahlhandel ist ein lokales Geschäft", sagt Feger. Über 90 Prozent der Transporte werden innerhalb Deutschlands oder mit den direkten Nachbarländern abgewickelt. Die meisten Fahrten finden in einem Radius von gerade einmal 150 Kilometern statt. Optimistisch blickt auch Hergarten in die Zukunft. 2016 transportierte die Stahlspedition erstmals mehr als eine Million Tonnen in Deutschland. In diesem Jahr will das Unternehmen seine Aktivitäten ausbauen. Schon im vergangenen Jahr übernahm Hergarten die Rettenmaier Spedition aus Tuttlingen und erweiterte damit die Fahrzeugflotte um 20 Lkw. "2017 wollen wir unser Stahlsammelgutnetzwerk für unsere Kunden noch weiter ausbauen und dabei auch weitere Regionen in Deutschland erschließen", kündigt Hergarten an. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Branchenporträts In der Serie analysieren wir verschiedene Branchen, deren Stärken und Schwächen und die Trends in den Wirtschaftszweigen. Die Serie im Überblick:- VR 50: Chemielogistik- VR 51/52: Handelslogistik- VR 1/2: Möbellogistik- VR 3/4: Automobillogistik- VR 5: Lebensmittellogistik- VR 6: Bau- und Entsorgungslogistik- VR 7: Stahllogistik- VR 8: Pharmalogistik- VR 9: Maschinen- und Anlagenbau Tipps für Dienstleister Anforderungen, die Dienstleister erfüllen müssen Das erwarten Unternehmen heute von ihrem Stahl-Transportdienstleister:- Tracking und Tracing: Immer mehr Unternehmen der Stahlindustrie fordern zeitgenaue Anlieferungen in definierten Zeitfenstern. Um planen zu können, müssen die Firmen wissen, wo sich die Lkw aktuell befinden. Transporteure müssen daher ihre IT anpassen, um diese Informationen liefern zu können.- Mehrwerte: Zusätzliche Serviceleistungen werden im Stahlgeschäft zunehmend wichtiger. Branchenspezifisches Know-how ist unerlässlich.- Ladungssicherung: Einheitliche Standards fehlen immer noch. Fahrer müssen daher bei jeder Ladestelle die jeweiligen Anforderungen erfüllen können.ah

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