Der Effizienz auf der Spur

Wenn Daten der Rohstoff der Zukunft sind, dann ist "Process Mining" das Werkzeug der Zukunft, um bestehende Abläufe in den Unternehmen neu zu überdenken und durch effizientere Abläufe abzulösen. Denn robuste, optimierte und gleichzeitig flexible Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette helfen, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, weil gleichzeitig die Produktivität gesteigert, die Kosten reduziert sowie die Qualität verbessert wird. Prozessabläufe in Echtzeit Process Mining ist ein IT-technologisches Konzept, das darauf abzielt, reale Prozesse (tatsächlich ausgeführte Prozesse - Anmerkung: die Redaktion) zu identifizieren, zu überwachen und zu verbessern, indem ausgeführte Prozessschritte aus Daten von Informationssystemen (etwa SAP, Oracle, Transportsysteme) abgeleitet, extrahiert und zu IT-technisch analysierbaren Abläufen zusammengesetzt werden. Process Mining ermöglicht es also Unternehmen kosteneffizient, reale Prozessabläufe in Echtzeit zu betrachten. Dies umfasst sowohl die automatische Prozessentdeckung, Prozesskonformität (struktureller Soll-Ist-Vergleich) als auch Prozessverbesserung. Zusätzlich lassen sich alle Prozesse mit betriebswirtschaftlich relevanten Informationen aus anderen Quellen anreichern. Das heißt für Unternehmen, dass sie bei einer bestimmten Prozessausführung jederzeit dazugehörige Informationen wie etwa Buchungskreis, Lieferanten- oder Kundennummer, Zahlungsbedingungen oder Rechnungsvolumen im Prozesskontext analysieren können. Das Beratungs- und Softwareunternehmen Scheer hat den Mehrwert von Process Mining bereits in verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette erprobt. Erkenntnisse dieser Anwendungsfälle waren, dass die Technologie auch in unterschiedlichen Umgebungen verlässlich funktioniert, valide Ergebnisse liefert und für den dauerhaften Einsatz geeignet ist. Unsere Erfahrung zeigt außerdem, dass jedes Unternehmen unterschiedliche Schwerpunkte setzt und dass deshalb jeder Einsatz individuell auf die Herausforderungen des Unternehmens ausgerichtet sein muss. Jedem Unternehmen, das Process Mining einsetzt, muss aber bewusst sein: Die Technologie selbst kann keine Probleme auf Knopfdruck lösen. Der Mehrwert ergibt sich nur im Zusammenspiel mit erfahrenen Process-Mining-Experten und involvierten Fachbereichen. Es muss ein gemeinsames Verständnis der Problemstellung geben und die entwickelte Lösung muss auf die Endanwender ausgerichtet sein, damit sie im täglichen Geschäft die angestrebte Verbesserung auch tatsächlich erzielt. Die Optimierung kann jeweils unterschiedlich aussehen: Es kann um die Automatisierung von Prozessschritten, um die Bereitstellung von passgenauen Informationen, die Vermeidung von Fehlern oder Fehlentscheidungen oder aber um die verbesserte Nutzung des Working Capital gehen. Im folgenden Artikel werden praxisnahe Anwendungsfälle im Bereich Supply-Chain erläutert (siehe auch Kasten). Effizienztreiber im Einkauf Im Einkauf zeigt sich in Projekten häufig ein Muster, das als "Maverick Buying" bezeichnet wird. Darunter versteht man ein Übergehen der Einkaufsabteilung beim Bestellen, sodass Rabatte und Lieferkonditionen nicht genutzt oder Liefermengen unterschritten werden. Dies ist unerwünscht und kann zu deutlich höheren Bestellkosten bei gleichzeitiger Mehrarbeit führen. Da Process Mining die Einkaufsvorgänge in der Analyse als realen Prozessfluss darstellt, können diese Muster leicht identifiziert und mögliche Gründe mittels intelligenter Ursachenanalyse ermittelt werden. Durch eine bessere Standardisierung des Prozesses, User Trainings oder intelligente Assistenten kann dieses Verhalten im Anschluss verbessert werden. Die auf Prozessdaten basierende Analyse ermöglicht es auch, Bottlenecks im Prozessablauf zu identifizieren. So kann beispielweise gemessen werden, wie lange es dauert, bis geblockte Bestellungen wieder freigegeben werden. Ineffizienzen in diesem Bereich führen unter anderem dazu, dass Produkte nicht oder nur mit Verzögerung produziert werden können. Dies hat negative Auswirkungen auf die gesamte Supply-Chain. In interaktiven Dashboards können Benutzer sehen, welche Bestellungen mit höchster Priorität bearbeitet werden müssen. Dadurch kann die Durchlaufzeit der kritischen Fälle reduziert werden. Transportqualität gezielt verbessern Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Energiekrise - alles das führt dazu, dass bei der Auswahl von Transport- und Logistikpartnern für Kunden der Preis nicht mehr das alleinige Auswahlkriterium ist. Stattdessen gewinnen Qualitätsmerkmale wie zum Beispiel Lieferzuverlässigkeit, Erreichbarkeit, flexible Transportmöglichkeiten und Nachhaltigkeit an Bedeutung. Mit Process Mining lassen sich auch diese Qualitätsmerkmale messen, analysieren und dadurch Verbesserungsinitiativen anstoßen. So ermittelt das Process-Mining-Tool aus den Daten alle relevanten Prozessschritte innerhalb der einzelnen Buchungsvorgänge, listet sie chronologisch auf und ist dann in der Lage, Teillaufzeiten zwischen den einzelnen Schritten sowie die Gesamtlaufzeit bis zur Transporterstellung zu berechnen. Da viele Prozessschritte vollautomatisiert durchlaufen, entstehen Verzögerungen im Ablauf meist innerhalb der Kundenkommunikation, etwa bei unvollständigen oder inkorrekten Buchungsanfragen. In einem Kundenprojekt bei einer Reederei wurden zum Beispiel zwei Qualitätskennzahlen identifiziert, deren Messung, Auswertung und Verbesserung mittels Process Mining wichtig für die Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sind. Eine Qualitätskennzahl ist die "Reaktionszeit für Buchungen". Sie misst die Zeit zwischen der Buchungsanfrage des Kunden, die elektronisch (online, via E-Mail) oder per Telefon gestellt wird, und der Buchungsbestätigung oder -absage der Reederei. Dieses Versprechen, innerhalb einer bestimmten Zeit die Buchungsanfrage zu beantworten, ist häufig Teil von Dienstleistungs-Vereinbarungen, also sogenannten "Service Level Agreements". Die Zeitdauer wird im Wesentlichen durch die Prüfung der Kundenangaben, die Prüfung der Container-Verfügbarkeit für eine bestimmte Schiffsroute und die Ermittlung der Frachtkosten bestimmt. Eine zweite Qualitätskennzahl ist "fristgerecht gebucht und geladen". So können zum Beispiel die Buchungsbestätigung, die Erstellung der Zoll- und Frachtpapiere, die geplanten Abfahrtsund Ankunftszeiten und die Mitteilungen der termingerechten Verladung der Fracht aus den Daten abgeleitet werden. Terminabweichungen lassen sich auf diese Weise identifizieren. Sie werden zum Teil durch nicht fristgerechtes Beladen des Containers durch den Auftraggeber hervorgerufen, aber auch durch Überbuchungen des jeweiligen Containerschiffes. Transportplanung: schlankere Prozesse Abgesehen davon lassen sich mittels Process Mining auch Transporte von der Planung über die Ausführung bis hin zur Abrechnung der Frachtkosten (End-to-End-Sicht) über mehrere Abschnitte lückenlos verfolgen. So konnte in einem Projekt mit einem Transportunternehmen identifiziert werden, dass Frachtplanung und -raten zu häufig manuell geändert wurden. Durch eine Optimierung des Vorschlagswesens und der Qualität der genutzten Stammdaten, konnte die Zahl der manuellen Änderungen reduziert werden, was schließlich den gesamten Prozess effizienter machte. In Zukunft wird das Emissionsmanagement im Kontext der Transportplanung weiter an Bedeutung gewinnen. Process Mining bietet hier die Möglichkeit einer integrierten Sichtweise anstelle einer isolierten Betrachtung einzelner Sachverhalte. Informationen, wie etwa der Kraftstoffverbrauch, CO2-Emissionen oder aber der Typ des verwendeten Fahrzeugs, könnten zum Beispiel in Process-Mining-Analysen einbezogen werden. Gewonnene Erkenntnisse könnten Transportund Speditionsunternehmen dazu nutzen, um den Kraftstoffverbrauch ihres Fuhrparks zu senken, und ihre CO2-Bilanz auf diese Weise zu verbessern. Anwendung: neues Lieferkettengesetz Darüber hinaus sind in näherer Zukunft weitere Anwendungsfälle vorstellbar. Beispielhaft ist das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, durch das sich viele Unternehmen aktuell vor ganz neue Herausforderungen gestellt sehen. Da Process Mining sich nicht nur auf die strukturelle Analyse der ausgeführten Prozesse beschränkt, sondern auch um zusätzliche Daten erweitert werden kann, werden in ersten Projekten bereits Lieferanten-Ratings und ESG-Daten in die Analyse miteinbezogen. Prozesse können dadurch auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft, nachhaltige Entscheidungen besser unterstützt und letztendlich das Einhalten von gesetzlichen Vorgaben besser überwacht werden. Auch das bringt wertvolle Vorteile. Und das sind nur einige wenige Beispiele, in denen sich Process Mining in der Logistik sowie in der gesamten Supply-Chain sinnvoll anwenden lässt; es gibt noch deutlich mehr - der Fantasie der Unternehmen sind da keine Grenzen gesetzt. Entscheidend ist lediglich eines: für ein erfolgreiches Projekt ist der Fokus auf die wichtigsten Fragestellungen essenziell. Viele Optimierungspotenziale lassen sich überdies in einer kommunikativen und engen Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen und Beratern identifizieren. Resümee Process Mining kann also als zentrale Plattform für den Aufbau und die Analyse einer transparenten und nachhaltigen Wertschöpfungskette (Supply-Chain) genutzt werden. Dies verstärkt das Vertrauen der Stakeholder, kann zugleich das Unternehmenswachstum beschleunigen und die Kosten durch Erhöhung der Effizienz senken. Fernanda Carcamo, Andreas Kronz und Fabian Zoller, Beratungs- und Softwarehaus Scheer Autoren Fernanda Carcamo, Andreas Konz und Fabian Zoller bei Scheer Fernanda Carcamo ist seit 2020 Senior Business Process Management Consultant im Beratungs- und Softwareunternehmen Scheer. Sie betreut DACH- und internationale Unternehmen mit Fokus auf End-to-End-Prozessanalyse in unterschiedlichen Bereichen. Die gebürtige Chilenin studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Logistik und kam 2016 an das Karlsruher Institut für Technologie. ehAndreas Kronz ist Leiter des Bereichs Process und Management Consulting bei Scheer. Sein Schwerpunktthema ist das Geschäftsprozessmanagement - von der strategischen Einführung und Organisation bis zur Implementierung von BPM-Lösungen. Er leitete viele Projekte, u. a. in den Telekommunikation, Logistik, Finanzdienstleistung und Automobilindustrie. Kronz promovierte in der Wirtschaftsinformatik bei Professor August-Wilhelm Scheer. ehFabian Zoller ist Senior Consultant und Trainer bei Scheer. Seit 2017 begleitet er als Berater die Einführung von Process Mining industrieübergreifend. Er hat Wirtschaftsinformatik an der Universität des Saarlandes studiert und sich am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit der Fragestellung beschäftigt, wie mittels künstlicher Intelligenz Prozesse optimiert werden können. eh

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