Den Bären nicht reizen

Eigentlich war alles auf Entspannung und Völkerverständigung ausgerichtet bei der diesjährigen Kieler Woche. Bei dem großen maritimen Volksfest in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt sollte am 20. Juni neben vielen anderen Gastschiffen auch die russische Fregatte "Boiky" mit 150 Mann Besatzung an Bord den Ostseehafen anlaufen. Die Stadt Kiel als Veranstalterin hatte zu diesem großen Event eingeladen - und die russische Marine auch zugesagt. Doch dann schlug die große Politik zu. Mit Hinweis auf die aktuelle politische Lage verweigerte das Bundesverteidigungsministerium der "Boiky" letztlich die Einlaufgenehmigung in deutsche Hoheitsgewässer. Der Nadelstich schmerzte - aber weniger die Russen, sondern mehr die Landespolitik in Kiel. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig wahrte zwar die Form und wies lediglich darauf hin, dass die Kieler Woche eigentlich auch ein Fest der Völkerverständigung sei. Dafür wurde FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki umso deutlicher und sprach von einem "grundfalschen Signal". Dem dürfte sich auch die Kieler Hafenwirtschaft im Wesentlichen anschließen. Dort weiß man allerdings auch, dass es gerade im Moment durchaus schlecht für das Geschäft sein kann, sich bei Sanktionen gegen Russland allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. 115 Milliarden US-Dollar Schaden Während der Jahreskonferenz der europäischen Hafenorganisation ESPO in Göteborg wies der Berater Steven Bouckaert (Maritime Transport und Business Solutions) auf die Folgen der Ukraine-Krise für die maritime Wirtschaft hin. "Die russische Wirtschaft wird durch die Ereignisse signifikant geschwächt. Die volkswirtschaftlichen Kosten liegen bei 115 Milliarden US-Dollar", sagte Bouckaert. Das betreffe auch Im- und Exporte. Zugleich habe die russische Seite damit begonnen, ihre Hafenpolitik zu überdenken. In der Tat mehren sich die Zeichen, dass die Russen die Karten gern neu mischen würden. Die Abhängigkeit des russischen Außenhandels von EU-Häfen gilt in Moskau schon länger als strategisches Manko. Gerne würde Russland mehr Ladungsvolumen über das Schwarze Meer bewegen. Doch das war bislang leichter gesagt als getan. Denn die russischen Schwarzmeerhäfen sind nautisch eher schwierig und liegen weitab der globalen Haupthandelsrouten. Nun setzen die Russen auf die Häfen der annektierten Krim. Dafür legten sie sogar vor wenigen Wochen das Großprojekt des Hafens Taman in Südrussland auf Eis (siehe Meldung auf verkehrsrundschau.de vom 20. Mai 2014). Plant Russland mit China Tiefseehafen? "Da es auf der Krim ein Dutzend Tiefwasserhäfen gibt, kann man auch auf etwas verzichten", begründete diese Entscheidung Premierminister Dmitri Medwedew bereits Mitte Mai. Dabei zeigte sich der Premier schlecht informiert. Die beiden wichtigsten Krim-Häfen Kertsch und Sewastopol bringen es an den Cargo-Terminals auf gerade mal 9,4 Meter Tiefgang und werden deshalb in geraumer Zeit wohl kaum einen Mainliner sehen. Allerdings plant Russland gemeinsam mit China offenbar einen Tiefseehafen vor der Krim. Die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten und andere Medien berichten von einem Projekt für einen Hafen mit 25 Metern Tiefgang, der von einer chinesischen Baufirma errichtet werden soll. Angesichts solcher Gedankenspiele versuchen die deutschen Seehäfen, sich gegenüber ihren russischen Kunden und der Politik als verlässlicher Partner zu präsentieren. Auf der diesjährigen Fachmesse Transrussia 2014 Ende April fehlte jedenfalls kein einziger wichtiger deutscher Hafen - von Emden bis Sassnitz-Mukran war in Moskau alles vertreten, was Rang und Namen als Nord- oder Ostseehafen hat. Handelskontakte nicht abbrechen Auch die Politik fehlte nicht. Christian Pegel, Mecklenburg-Vorpommerns (MV) Minister für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung, der im März bereits eine Logistikkonferenz in St. Petersburg besucht hatte, war auch bei der Transrussia am Start. Pegel warnt davor, funktionierende Handelskontakte und langfristige Verträge mit den russischen Partnern abzubrechen. "In der Logistik ist es kreuzgefährlich, das Ruder ruckartig herumzureißen. Kaum ein Wirtschaftsbereich ist so deutlich auf Langfristigkeit und Verlässlichkeit angelegt", warnte Pegel. "Und es gibt auch kaum einen Bereich, in dem sich abweichendes Verhalten langfristig dermaßen rächt", sagte der Minister auf einer Konferenz in Sassnitz. Bisher sieht das offenbar auch die russische Seite so. Der Hamburger Hafen meldete für das erste Quartal 2014 ein Umschlagwachstum von 4,5 Prozent in den Verkehren mit Russland. Auch in den Ostseehäfen herrscht "Business as usual" vor. "Sowohl bei den Russland-Verkehren als auch bei den Verkehren ins Baltikum spüren wir keinen Mengenrückgang", sagt zum Beispiel Sebastian Jürgens, Geschäftsführer der Lübecker Hafen Gesellschaft LHG gegenüber der VerkehrsRundschau. "Im Gegenteil. Die dänische DFDS wird in zwei Wochen einen dreimaligen wöchentlichen Dienst von Lübeck nach Klaipeda aufnehmen. Unser Verbindungsbüro in St. Petersburg werden wir eröffnen, sobald die Lage sich entspannt hat", so Jürgens. Auch der Hafen Rostock meldet: "Keine Veränderungen". Mehrere maritime Experten sind ebenfalls der Meinung, dass sich an der stabilen Situation zumindest aus politischen Gründen mittelfristig nicht viel ändern wird. Im nordeuropäischen Raum gibt es schlicht und einfach keine Alternativen zu den Gateways auf EU-Territorium. Denn für Direktanläufe von Großschiffen sind die russischen Ostseehäfen weder nautisch noch wirtschaftlich eine wirklich interessante Alternative. Die Nordost-Passage von Fernost über die Arktis gewinnt zwar stärker an Bedeutung, aber im vergangenen Jahr wagten nur 71 Schiffe in der eisfreien Saison die Durchfahrt. Standortnachteil durch langen Nachlauf Und selbst wenn der Tiefwasserhafen vor der Krim gebaut werden sollte, stellt der lange Nachlauf in die russischen Industriezentren einen erheblichen Nachteil gegenüber dem Transit über nordeuropäische Häfen dar. In der Vergangenheit ist es den Russen allerdings durchaus gelungen, mittels der Trassenpreisgestaltung der Russischen Bahn RZD Verlagerungseffekte zwischen Häfen zu erzielen. Die baltischen Staaten (siehe Kasten "Russische Ostsee-Häfen-Strategie" oben) können ein Lied davon singen. Sie haben in den vergangenen Jahren, wie die finnischen Häfen auch, Marktanteile an Russland verloren. Russlands Ostsee-Häfen-Strategie Baltische Häfen verlieren Marktanteile Den russischen Außenhandel über russische Häfen abwickeln: Dieses Ziel hat die Russische Föderation bereits im Auge, seitdem klar ist, dass die baltischen Staaten ins EU-Lager strebten.Zu Zeiten der Sowjetunion waren die Häfen Klaipeda, Riga und Ventspils dagegen Garanten für einen ganzjährig eisfreien Zugang zur Ostsee - nun waren die wichtigsten Ostseehäfen aus russischer Sicht plötzlich im falschen Lager. Doch nach 1990 änderte sich lange Zeit nichts an der dominierenden Rolle des Baltikums als Transithäfen für russische Im- und Exporte auf dem Seeweg. Den Russen fehlte die Kraft, eigene Hafenprojekte voranzubringen.Das hat sich mittlerweile dramatisch geändert. Seit einigen Jahren verlieren die baltischen Häfen Marktanteile im östlichen Ostseeraum. Allein im Jahr 2013 waren es fünf Prozent. Grund dafür sind Verlagerungen von russischer Seite nach Ust Luga. Dort entstanden innerhalb weniger Jahre ein Containerterminal, ein Export-Terminal für Rohöl, ein Ro-Ro-Terminal, ein Multipurpose-Terminal und ein Terminal für den Umschlag von Kohle.Noch im Jahr 2011 lag der Umschlag in Ust Luga bei 22 Millionen Tonnen. Im Jahr 2013 überschritt er bereits die 70-Millionen-Tonnen-Grenze und wird in diesem Jahr vermutlich Primorsk bei St. Petersburg als größten Hafen in der östlichen Ostsee ablösen. Verlierer sind neben den baltischen Häfen auch die finnischen Häfen, die ihre Rolle als Automobildrehscheibe für Russland weitgehend eingebüßt haben. hel

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