Dauer-Brenner

Der Transitverkehr auf der Brenner-Autobahn erhitzt weiterhin die Gemüter. Das Land Tirol stemmt sich mit aller Macht nicht nur gegen eine weitere Zunahme der Transit-Lkw-Fahrten, sondern will schon die derzeitige Belastung nicht mehr akzeptieren. Der Landeshauptmann von Tirol, Günther Platter, findet im Gespräch mit der VerkehrsRundschau (siehe Seite 22) deutliche Worte: "Die Grenze der Belastbarkeit für Mensch, Natur und Infrastruktur ist längst überschritten." "Eine volle Katastrophe" Nicht nur die Tiroler Bevölkerung leidet. Auch das Transportgewerbe stöhnt und ächzt unter den Maßnahmen, die die Tiroler Landesregierung beschließt. "Es gibt Tage, da ist es eine volle Katastrophe", sagt Ralph Svehla, Leiter der Spedition Zitzlsperger, eine Tochter der Spedition Eberl in Aiging bei Traunstein. Svehla nennt als Erstes die Blockabfertigung, die "ganz erschwerend" sei. Aber damit nicht genug: Kopfzerbrechen bereiten ihm und seinen Disponenten und Fahrern die Baustellen zwischen Innsbruck und dem Brenner und die Ferienreiseverordnung, wonach man ab Samstag um 7.00 Uhr auch nicht mehr mit dem Lkw in Tirol fahren darf. Täglich sind drei bis vier Lkw von Eberl/Zitzlsperger auf der Route im Einsatz. Die Maßnahmen der Tiroler führen laut Svehla dazu, dass sie den "Dispositionsablauf komplett durcheinanderbringen". Er nennt ein Beispiel: Am 26. Juni hat ein Lkw in Burghausen geladen und ist um 11.00 Uhr abgefahren mit Ziel Mailand. "Das Fahrzeug war dann sage und schreibe erst um 18.15 Uhr am Brenner", sagt Svehla, weil es auf der Route aufgrund der Maßnahmen in Tirol zu permanenten Staus gekommen sei. Bei normalem Verlauf wäre der Lkw um 15.00 Uhr am Brenner gewesen. Das verursache Chaos und Zusatzkosten. Wenn ein Fahrzeug am Mittwoch losfahre nach Italien, komme es dann erst am Samstag zurück und nicht schon am Freitag. "Da geht ein kompletter Tagessatz verloren." Kann die Spedition diese Kosten weiterreichen an den Kunden? "Nein", sagt Svehla, "der beteiligt sich nicht an den Kosten." Aber das ist natürlich kein Dauerzustand. "Es geht ja noch weiter, wenn jetzt auch noch eine Korridormaut kommt", sagt der Spediteur. Deshalb befindet er sich auch in Verhandlungen mit den Kunden über eine Preisanpassung. Ausgang der Gespräche: angesichts des hohen Konkurrenzkampfs offen. Ein Experte in Sachen Transporte über den Brenner ist auch Nikolaus Wagenstetter, Geschäftsführer von Wagenstetter Transport in Forstinning. Seit 60 Jahren fährt das Unternehmen Güter zwischen Italien und Deutschland über den Brenner. Etwa acht seines 40 Lkw umfassenden Fuhrparks sind auf dieser Route unterwegs. Unter anderem transportiert Wagenstetter Papier und ist somit von der Verschärfung des sektoralen Fahrverbots betroffen (siehe Kasten Seite 21). Die Folge: "Wir müssen in neue Fahrzeuge investieren." Er kann zwar durch Umschichtung innerhalb seines Fuhrparks für Entlastung sorgen, doch kommt er wahrscheinlich nicht umhin, neue Lkw anzuschaffen. Er beklagt, dass es keine Ausweichmöglichkeiten gibt: "Die Schiene ist keine Alternative", sagt der Unternehmer. Von Wörgl zum Brenner benötigt er per Lkw etwa eine Stunde. "Mit der Bahn brauche ich mindestens dreieinhalb Stunden", beklagt Wagenstetter. Eine Stunde vor Abfahrt muss der Lkw in Wörgl sein, weitere Zeit beanspruchen die Verladung auf die Rollende Landstraße (Rola) und die anderthalbstündige Fahrt. Da Wagenstetter hauptsächlich in den Norden Italiens liefert, schlagen diese 3,5 Stunden stark zu Buche. Erschwerend komme hinzu, dass die Züge zu gewissen Zeiten ausgebucht seien und man daher bis zu vier Tage im Voraus einen Stellplatz buchen müsse. Doch vier Tage vorher weiß Wagenstetter in der Regel nicht, ob er tatsächlich zu diesem Zeitpunkt auch einen Auftrag auf der Route hat. Und dennoch nutzt er, sofern es geht, die Rola. ÖBB: Rola mit freien Kapazitäten Die Kapazität auf der Rola beträgt 200.000 Fahrten pro Jahr, wie ein Sprecher der ÖBB, die die Rola betreibt, mitteilt. Im letzten Jahr wurden 145.000 Transporte gezählt. "Die Kapazität ist also bei Weitem nicht ausgeschöpft", so der Sprecher gegenüber der VerkehrsRundschau. Doch vom sektoralen Fahrverbot sind nach Ausweitung auf weitere Gütergruppen zum 1. Januar 2020 nach Angaben des Landes Tirols 300.000 Fahrten pro Jahr betroffen. Es müssten also weitere Stellplätze bereitgestellt werden. "Wir könnten uns vorstellen, ab 2020 250.000 Stellplätze anzubieten", sagte der ÖBB-Sprecher. Für Mitte 2021 stellt er 450.000 Stellplätze in Aussicht. Dafür müssten ältere Wagen wieder aktiviert werden. "Da gehen wir aber auch nur in Vorleistung, wenn eine entsprechende Nachfrage vorhanden ist", so der Sprecher. Zudem versprach er Verbesserungen beim Buchungssystem, die das Anmelden erleichtern sollen. Am 25. Juli, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, fand in Berlin ein Brenner-Gipfel statt, an dem auch Platter teilnehmen wollte. Doch Hoffnungen brauchen sich die Spediteure nicht zu machen: Denn Platter ließ im Vorfeld keine Zweifel daran, dass er bei den Fahrverboten keine Zugeständnisse machen will, sondern Fortschritte bei der Korridormaut zwischen München und Verona erwarte. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Alpentransit" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Podcast Die VerkehrsRundschau bietet ab sofort einen frei zugänglichen Podcast an. Schwerpunktthema in dieser Woche: das sektorale Fahrverbot in Tirol. Auf Plattformen wie I-Tunes oder Spotify und direkt auf unserer Website können Sie per Audioformat mehr hören zu dem Thema: zum Beispiel weitere Einschätzungen des Landeshauptmanns von Tirol, Günther Platter, und die Ergebnisse des Brenner-Gipfels. Sektorales Fahrverbot wird ausgeweitet Das Land Tirol hat weitere Maßnahmen getroffen, um den Lkw-Transitverkehr einzudämmen. Neben der Blockabfertigung an 15 Tagen im zweiten Halbjahr 2019 gibt es unter anderem folgende Einschränkungen:- Nachtfahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen: von Mai bis Oktober an Werktagen zwischen 22.00 und 5.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen zwischen 23.00 und 5.00 Uhr. Von November bis April gilt an Werktagen das Verbot bereits um 20.00 Uhr. Eine Ausnahme gibt es für Euro-6-Lkw, allerdings nur noch bis 31. Dezember 2020.- Wochenendfahrverbot: für alle Lkw zusätzlich zum Sonntagsfahrverbot an allen Samstagen vom 6. Juli bis einschließlich 31. August 2019 von 7.00 bis 15.00 Uhr.- Sektorales Fahrverbot: Zu den bestehenden Fahrverboten für acht Gütergruppen kommen ab dem 1. Januar 2020 weitere Gütergruppen dazu: Papier und Pappe, flüssige Mineralölerzeugnisse, Zement, Kalk und gebrannter Gips, Rohre und Hohlprofile sowie Getreide. Ausnahmen gab es bislang generell für Euro-6-Lkw. Ab dem 1. Januar 2020 dürfen diese Güter aber nur noch von Euro-6d-Lkw transportiert werden, die nach dem 31. August 2018 erstmalig zugelassen wurden. cd

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